Siebenter Auftritt.

[58] Schmerl, Amalie, Blase der sich wie erschöpft in den Armstuhl gesetzt.


SCHMERL. Victoria! Helfen Sie mir Victoria rufen, Madame Blase-Walter. Victoria, Freudenschießen – Dings da – Te deum –

AMALIE. Nicht doch, Herr Schmerl! Auf Blase deutend. Der Schwager!

SCHMERL tritt zu ihm. Papa Blase! Nun, wie geht's?

BLASE. Wie soll's gehen? Mein Reich ist aus –

SCHMERL. Nicht doch, Papa Blase! Ein politischer Charakter darf den Kopf nie verlieren. Munter, frisch! Das Leben ist ja so schön – wie der Dings da sagt –

BLASE. Ich hab' zu leben aufgehört.

SCHMERL mit einem Blicke auf Amalien. Und ich will erst recht anfangen –

BLASE. Ist nicht der Mühe werth. Es ist Alles aus, rein aus, seit ich nicht mehr – Schreibt in die Luft. Blase – Blase! – O, warum hab' ich ihn großjährig erklären lassen! – Seit Jahren und Jahren bin ich so sicher und bequem auf meinem Prinzip herumgeritten, und nun – Warum hab' ich ihn großjährig erklären lassen! – Herr Schmerl! Frau Schwägerin! Haben Sie's gehört? Reformen! Der junge Mensch will Reformen machen!

SCHMERL. Da hat er recht. Was soll er denn sonst machen?

BLASE steht auf. Was er machen soll? Nichts soll er machen. Abwarten soll er – das Gute kommt von selbst.

SCHMERL. Das Schlimme leider auch. Wir haben's erlebt.

BLASE. Er will Pflanzungen anlegen, neue Bauten herstellen, Sümpfe und Moräste austrocknen – was soll das helfen? S' ist kein System darin – kein System!

SCHMERL. Na, hören Sie, Papa Blase, ich denke, die Sümpfe passen in gar kein System.

BLASE. Wer sagt Ihnen das? In das meinige haben sie gepaßt. Ich seh' es wohl, die guten alten Zeiten sind vorüber.

SCHMERL. Das ist eben das Gute!

BLASE. Die neue Generation taugt nichts –[59]

SCHMERL. Optische Täuschung, Papa Blase! In fünfzig Jahren wird wieder die gute alte Zeit daraus.

BLASE. Nichts wird daraus, sag' ich Ihnen – gar nichts!

SCHMERL. Das ist auch möglich!

BLASE. Ich sage Ihnen noch mehr: der Welt-Unter gang steht vor der Thür, wenn man uns beseitigen will, uns Männer des Bestehenden, der Ordnung.

SCHMERL. Sorgen Sie nicht. Wir werden uns zu helfen wissen, wir Männer des Fortschritts, des – Dings da – der Bewegung.

BLASE. Bewegung! Fortschritt! Nun hören Sie einmal, Frau Schwägerin! Die Männer des Fortschritts! So sehen Sie aus. Wahrhaftig, Ihr kommt mir vor, wie die blinden Pferde in der Tretmühle; die heben immer die Beine, bleiben aber immer auf dem alten Fleck.

SCHMERL. Tretmühle? Nun hören Sie einmal, Madame Blase-Walter! – Herr Blase, wollen Sie mich beleidigen?

AMALIE. Nicht doch, Herr Schmerl –

BLASE. Ei was! wenn er beleidigt sein will –

AMALIE. Nicht doch, Herr Schwager –

BLASE. Ich habe dem Herrn längst sagen wollen, daß mir seine modernen Redensarten im höchsten Grade zuwider sind.

SCHMERL. Und ich habe dem Herrn längst versichern wollen, daß mich das nicht im Geringsten bekümmert.

AMALIE. Aber Herr Schmerl – aber Herr Schwager –

BLASE. Nun wird's mir klar: der Einwirkung dieses Herrn habe ich es zunächst zu verdanken, daß sich mein Mündel gegen mich empört hat.

SCHMERL. Das ist die Schuld des Herrn! Ich rieth Ihnen immer wie der Marquis – Dings da – geben Sie ihm Gedankenfreiheit.

BLASE. Was hilft ihm die Freiheit, wenn er keine Gedanken hat?

SCHMERL. Was helfen ihm die Gedanken, wenn er keine Freiheit hat?

BLASE. Er braucht keine. Er ist nicht reif dafür.

SCHMERL. Es gibt Leute, die längst überreif sind.

BLASE. Überreif? So kann nur Einer sprechen, der kein administrativer Kopf ist.[60]

SCHMERL. So kann nur Einer sprechen, der ein – Dings da – ist –

AMALIE. Aber Herr Schmerl –

SCHMERL. Ja, das ist er!

AMALIE. Nein, er ist's nicht!

SCHMERL. Ja, er ist's!

BLASE. Was bin ich denn eigentlich?

SCHMERL. Was Sie sind? Sie sind ein Conservativer.

BLASE. Conservativ? Hören Sie's, Frau Schwägerin? Conservativ! Ja, das bin ich – und ich bin stolz darauf.

SCHMERL. Stolz?

BLASE. Allerdings, Herr Schmerl, allerdings! Denn das ganze Weltsystem, der liebe Gott selber ist conservativ.

SCHMERL. Ich behaupte das Gegentheil.

BLASE. Die weite Schöpfung beruht auf dem Prinzip der Stabilität.

SCHMERL. Stabilität? Im Gegentheil –

BLASE. Lassen Sie mich ausreden! – Ist nicht Alles so geblieben, wie's am ersten Schöpfungstage war? Ist das Firmament nicht stabil? Und die Sonne, der Mond, die feuerspeienden Berge und die vier Jahreszeiten? Spazieren die Planeten nicht beständig in ihrer vorschriftmäßigen Bahn herum? Ziehen sich die Körper nicht an nach dem Gesetz der Schwere, und gibt's irgendwo einen absolut leeren Raum als in gewissen Köpfen? Blöckt das Schaf nicht gerade so wie vor sechstausend Jahren? Und der Löwe brüllt, das Pferd wiehert, die Taube girrt und der Esel yaht! Fressen nicht die wilden Thiere die zahmen, die Raubvögel die kleineren Vögel, diese die Käfer, der Mensch so ziemlich Alles, und die Würmer auch den Menschen? Ist dieses Fressen und Gefressenwerden nicht eigens weise darauf eingerichtet, die Welt zu erhalten? Ist's nicht conservativ? – Ja, der Hunger ist das Eine große Lebensmotiv, und die Liebe ist das Andere. Hunger und Liebe erhalten die Welt im Gange, und darum sorgen auch wir Männer der Ordnung immer dafür, daß die Kartoffeln nicht ausgehen, damit die Leute zu essen haben, und sich lieb haben können. Mehr braucht's nicht. Hab' ich nicht recht, Frau Schwägerin? hab' ich nicht recht?

AMALIE. Es scheint wirklich –[61]

SCHMERL. Ich behaupte von Allem das Gegentheil. Ihr wollt die Welt erhalten?

BLASE. Ja, das wollen wir.

SCHMERL. Warum? Wozu?

BLASE. Wir wollen –

SCHMERL. Lassen Sie mich ausreden! – Die Welt ist fertig, und sie erhält sich von selbst – bloß durch das Dings da – die Bewegung. Freilich, folgte man Euch, so säßen wir wackere Deutsche noch im finstern Urwald, das Bärenfell um die Schulter, verspeis'ten Wurzeln und Eicheln, und wären mit einem Wort – Dinger da – Barbaren. Aber da kam die große Bewegung – die Völkerwanderung – ein Zauberschlag – verschiedene andere Schläge – die neue Welt war da. Die Wälder brennen jetzt in unsern Öfen, aus dem Bärenfell ist ein Salonfrack geworden, aus den Eicheln Thee und Kaffee, und die Barbaren sind gegenwärtig Commerzienräthe, Kammerjunker, Garde-Lieutenants und Börse-Spekulanten – wodurch? Durch die Bewegung. Der physische Mensch muß sich Bewegung machen – das ist das Erste – fragen Sie nur Ihren Arzt – und ein Bischen geistige Commotion kann auch nicht schaden. Darum Bewegung! nur Bewegung! – Hab' ich nicht recht, Frau Blase-Walter, hab' ich nicht recht?

AMALIE. Man sollte meinen –

BLASE. Was meinen? Ich bleibe bei meiner Meinung.

SCHMERL. Und ich bei der meinigen. Ich sage, es geht vorwärts.

BLASE. Und ich behaupte, es bleibt beim Alten.

AMALIE. So ist's recht! Meine ein Jeder, was er will: so handelt Ihr Beide, wie es vernünftigen Männern ziemt. Bewegen Sie sich, Herr Schmerl – bleiben Sie stille stehen, Herr Schwager – kümm're sich Keiner um den Andern! Die Welt wird ohne Euch Beide wissen, was sie zu thun hat. Was mich betrifft, so will ich mich zu meiner Tochter bewegen.

SCHMERL. Das bewegt mich, Ihnen das Geleite zu geben. Adieu, Papa Blase! Nichts für ungut! Aber ich bleibe dabei: es geht vorwärts. Beide ab.


Quelle:
Der deutsche Michel, Revolutionskomödien der Achtundvierziger. Stuttgart 1971, S. 58-62.
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