Die Katze und die Maus

[355] »Es war einmal ein Mann, dem taten die Mäuse in seiner Speisekammer vielen Schaden, da nahm er eine Katze an, damit sie die Mäuse vertreibe und vertilge. Nun war unter den Mäusen eine recht große, und war auch stärker wie die andern, und wie sie wahrnahm, was geschehen war, da suchte sie eine Gelegenheit, wo sie von einem sichern Ort aus mit der Katze sprechen konnte, und sagte zu dieser: ›Ich weiß, daß dein Herr dich bestellt hat, mich und meine Freunde zu vertreiben und zu töten. Nun freut es mich, deine Bekanntschaft zu machen, und ich möchte mich deiner Gunst empfehlen und guten Frieden mit dir halten.‹ Sprach die Katze: ›Es freut mich ausnehmend, dich kennen zu lernen, und es wird mir äußerst schätzbar sein, wenn du mich mit deiner Freundschaft beehren willst. Auch wäre dein Umgang mir der erwünschteste, allein ich darf dir nichts versprechen, was ich dir nicht zu halten vermag. Siehe, verehrteste Maus, mein Herr hat mich zum Bewahrer seines Hauses gesetzt, daß du und deine Sippschaft ihm nicht länger Schaden zufügst, schonte ich nun deiner, so würde es heißen: das ist eine schlechte Katze! Darum meide entweder, meinen Herrn zu schaden, oder meide das Haus, und suche dir einen andern dir genehmen Aufenthalt, außerdem gib mir keine Schuld, wenn du Schaden hast.‹ Die Maus sprach: ›Ich habe dich[355] höflich gebeten, und so bitte ich nur noch, verzeihe mir meine Freiheit, und schenke mir deine Freundschaft.‹ – ›Ja‹, sprach die Katze, ›du bist mir lieb und wert, wie soll ich aber die Freundschaft zu dir vereinigen mit meiner Pflicht bei dem Schaden, den deine Gesellen meinem Herrn zufügen? Lasse ich euch leben, so tötet er mich, das ist billig. Darum, so gewähre ich dir drei Tage Frist, in welcher Zeit du dich nach einer andern Wohnung umtun magst.‹ – Die Maus erwiderte: ›Sehr schwer und ungern trenne ich mich von dieser Wohnung; ich werde mich hüten, dir zu nahe zu kommen, und hier bleiben, so lange es mir gefällt.‹ Die Katze schonte die Maus, ihrem Wort getreu, drei Tage lang, da wurde diese ganz sicher, und tat nun gar nicht mehr, als sei eine Katze im Hause vorhanden; als die drei Tage herum waren, und die Maus wieder ganz unbesorgt aus ihrem Löchlein lief, da lag die Katze im Winkel der Speisekammer und lauerte, sprang zu und fing und fraß die Maus mit Haut und Haaren.«

»Das ist ein Gleichnis«, fuhr Vogel Mosam fort, »an dem du sehen kannst, daß nicht ziemt dem Verständigen, zu verachten der treuen Freunde Rat. Und das Sprichwort sagt, daß der Freunde Rat oft gleiche bittrer Arzenei, die doch heilsam ist und das Siechtum bannt.«

Das Vogelweib bedachte sich lange und schwankte, was sie tun solle, und wie es zu vollbringen sei, daß auch kein Schein böser Tat auf sie fiele. Da riet der falsche Freund, sie solle einen Fisch nehmen, durch den die Fischer zur Lockung großer Fische eine spitze Angel gesteckt, und den dem Mann unter die andern Fische, die er speise, legen, so werde er daran erwürgen. Das tat das Weib, und weil Vogel Holgott alt war, und nicht selbst mehr Fische fing, und sein Weib ihn bisweilen Hunger leiden ließ, so schluckte er gierig den Fisch mit dem Angelhaken in sich hinein und erwürgte daran, und wie das geschah, so verfluchte er die, die ihn so schmählich dem Tod geweiht. Als das geschehen war, lebte der Vogel Mosam noch eine kurze Zeit mit dem ungetreuen Weibe, aber weil die Nahrung immer seltener wurde, so begann er ihrer sehr überdrüssig zu werden, und stürzte sich auf sie, sie zu töten. Da flogen gerade ihre Söhne daher, die kamen, um ihre lieben Eltern zu besuchen, und fielen herab auf den Vogel Mosam, als schon ihre Mutter im Sterben lag, die ihnen alles bekannte und verschied. Da hackten[356] sie mit ihren spitzigen Schnäbeln dem Vogel Mosam die Augen aus, und ließen ihn elendiglich verhungern, und rächten so den Doppelfrevel, der von ihm an ihren Eltern begangen worden war.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Sämtliche Märchen. München 1971, S. 355-357.
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