135. Der Schwanritter

[109] Da Herzog Gottfried von Brabant zum Sterben kam und hatte keinen Sohn, so wollte er sein Land und Erbe seiner Gemahlin und seiner Tochter überlassen. Aber Gottfrieds Bruder, der Sachsenherzog, wollte darein nicht willigen und sagte, das Land sei kein Weiberlehen und Erbe, und nahm Brabant für sich. Da ward die Herzogin klagend bei König Karl, und der lud sie und auch ihren Schwager gen Neumagen (Nimwegen, Nijmegen) am linken Arm des Rheinstroms, die Wal geheißen, und da kam sie mit ihrer Tochter hin, und auch ihr Gegner. Und da geschah es, daß Karolus durch ein Fenster hinausschaute und hinab auf den Strom, da sah er einen Schwan schwimmen, der hatte ein silbern Halsband um und zog mit diesem an silberner Kette einen Nachen nach sich, und in dem Nachen lag ein Ritter im gleißenden Harnisch, auf seinem Schilde ruhte sein Haupt, seinen Helm und Halsberge hatte er abgetan und neben sich gelegt, und der Schwan ruderte an das Ufer heran. Alle Hofleute, die das samt dem Kaiser sahen, verwunderten sich hoch, vergaßen den Rechtshandel und eilten nach dem Ufer hinunter. Der ritterliche Jüngling im Nachen aber erwachte, tat sein Gewaffen wieder an, erhob den Schild, darauf acht Szepterlein um einen weißen Karfunkel gestellt waren, und stieg aus der Barke, zu dem Schwane sprechend: Fliege deinen Weg wohl hin, lieber Schwan, so ich deiner bedarf, will ich dir rufen! Da wandte sich der Schwan und ruderte im Wasser und entschwand samt dem Nachen den Augen der ihm Nachblickenden. Alles blickte ganz verwunderungsvoll nach dem Gast, dem Karol selbst die Hand bot und ihn nach der Burg geleitete, dann setzte er sich auf den Richterstuhl und hieß den Fremdling bei den Fürsten und Herren eine Stelle einnehmen. Es erhub nun die Herzogin ihre Klagen, und ihr Schwager brachte seine Gegenrede vor und sprach, daß er bereit sei, für sein Recht zu kämpfen, sie solle ihm nur einen Kämpen stellen, der mit ihm[109] für ihr und ihrer Tochter vermeintes Recht stritte. Der Sachsenherzog war aber gar ein mannlicher Held und dem Besten im Kampfe überlegen, darum erbebte die Herzogin, denn sie wußte keinen Kämpen in ihrer Sippschaft, den sie wagen konnte aufzufordern, sich jenem gegenüberzustellen. Da weinte sie im bittern Schmerz, und ihre Tochter weinte mit ihr, und es war ihr weh im Herzen. Siehe, da erhob sich der junge Ritter, so mit dem Schwan gekommen war, von seinem Stuhl, neigte sich gegen den Kaiser und sprach: So du es mir vergönnest, großer Kaiser, so will ich wohl dieser Frauen Kämpe sein. Das wurde ihm gewährt, und er stritt darauf einen schweren Streit mit dem Sachsenherzog, doch obsiegte er ihm endlich und machte so der Herzogin und ihrer Tochter Erbe frei und ledig. Die danketen ihm in Züchten, und die Herzogin bot ihm jeden Kampfeslohn, den sie gewähren könne, und wär' es selbst ihrer Tochter Hand und einstiges Erbe. Da sagte der Jüngling, Werteres könne ihm nimmer geboten werden; sein Name sei Helias, das und mehr könne er von sich nicht sagen, und müsse er unerläßlich bedingen, daß seine Braut und Vermählte nie und nimmermehr ihn frage, wo er hergekommen, welches sein Geschlecht sei, wer ihm Vater und Mutter wäre, und solcher Fragen mehr, denn sowie sie solche Frage auch nur die leiseste und nur ein einziges Mal an ihn richte, müsse sie auf immer ihn verlieren.

Diese Bedingnis deuchte der Prinzessin von Brabant gar leicht zu halten; sie gelobte ihm das und vermählte sich dem Schwanenritter Helias. Sie zogen nach Cleve, der uralten Stadt, wo schon Julius Cäsar eine Burg erbaut, erneueten das Schloß und nannten es die Schwanenburg und freuten sich des Lebens und der Landschaft, die schon manche mit den elyseischen Feldern der alten Mythe ob ihrer Anmut verglichen. Beide gewannen auch zwei blühende Kinder und waren sehr glücklich, wären es auch geblieben, wenn nicht der Weiber Erbsünde, die schlimme Neugier, die junge Herzogin gequält und immer mehr gequält hätte. Die mochte gar zu gerne wissen, wer denn eigentlich ihrer Kinder Vater sei, und so drückte es ihr fast das Herz ab, bis sie endlich die Frage tat, die ihr doch so ernst verboten war. Da sprach Helias: Nun hast du dein Glück zerbrochen und mein Glück und hast mich am längsten gesehen. – Und waffnete sich und winkte zum Fenster hinaus – da kam schon der Schwan geschwommen mit seinem Schifflein. Und der Herzog küßte seine Kinder und drückte seiner Gemahlin stumm und schmerzlich die Hand – die weinte überlaut und stürzte ihm voll Reue zu Füßen und wollte ihn zurückhalten, und auch alles Volk flehte ihn an, daß er bleiben sollte. Aber Helias konnte nicht bleiben – er segnete alle, bestieg seinen Kahn und fuhr von dannen. Tief drang der Kummer ins Gemüt der Herzogin, doch erzog sie die Kinder zu tüchtigen Rittern, und ihnen entstammten alle spätern Grafen und Herzoge von Cleve und Geldern und Reineck, die führten meist den Schwan im Wappen. Des Landes Heerschild aber blieb der weiße Stein im roten Felde, um den die acht goldnen Szepterstäbe gestellt sind, bis auf diesen Tag. Auf dem Schwanenturme der Schwanenburg aber zeugt noch ein weißer Schwan, der sich im Winde dreht, von dieser Geschichte.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 109-110.
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