144. St. Johannisäpfel

[116] Es war ein heiliger Bischof von Tongern, zubenannt das Lamm, der war vorher ein Ackersmann gewesen, der seiner Pflicht lebte und fromme Werke übte. Eines Tages zog Johann seine Furchen auf dem Acker, da stand ein Mann in Pilgertracht vor ihm, von überirdischem Ansehen, und sprach: Gott grüße dich, Bischof von Tongern!

Wen grüßet Ihr also? fragte Johann, indem er sich rings umsah. Dich! antwortete der Pilger, den der Herr ob deiner Frömmigkeit erkor zum heiligen Amte. – Solches glaube ich nimmermehr! Hebe dich weg, Versucher! rief Johann aus, so wahr das trockne Holz deines Stabes grünet und Früchte trägt, so wahr werde ich Bischof von Tongern. – Schaue und glaube dann! rief der Pilgrim, stieß seinen Stab in den frischgepflügten Ackerboden, und alsbald bedeckte sich derselbe mit junger Rinde, trieb Sprossen und Zweige, die setzten Blüten an, und die Blüten wurden schöne Äpfel.

Alles ging in Erfüllung, der Baum blieb stehen, und seine lieblichen Äpfel wurden durch Schößlinge weit im Lande verbreitet und heißen St. Johannisäpfel bis auf den heutigen Tag. Noch weiter verbreitet sind die Sagen von grünenden Stäben, die meist zu Wunderbäumen erwuchsen, wie in Thüringen jener Wunderbaum zu Varila, den Bonifazius aufpflanzte, des Papstes Urban Stab in der Sage vom Ritter Tannhäuser und manche andere mehr.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 116.
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