316. Der Graf im Feuer

[229] In der Gegend um Halberstadt liegt ein Berg, der ist der Feuerberg geheißen, darin hat der Böse sein Wesen und quält die Bösen. Ein schlimmer Graf schuldete einem Manne seit vielen Jahren vieles Geld, und der Gläubiger konnte die Bezahlung nimmer erlangen. Nach einer Zeit war der Graf abhandengekommen, und die Rede ging, er sei in fernen Landen gestorben, der Teufel möge wissen, wo er liege. Der wußte auch, wo er den Grafen hingetan. Nun machte sich jener Mann noch einmal auf, von den Erben seine Schuld zu heischen, allein die wußten von keiner Schuld und drohten dem Manne Zahlung mit harter Münze auf seinen Rücken an, so er nicht gehe auf Nimmerwiederkehr. Da ging der arme betrogene Mann traurig im Walde, und da trat ihn ein Fremder an und fragte ihn, was ihm denn fehle. Und da klagte ihm der Mann sein Leid und seinen Kummer. Willst du den Grafen sehen, so folge mir nach, sprach der Fremde, und der Mann folgte ihm nach und kam auf einen hohen kahlen Berggipfel, der tat sich auf, und da sah jener alles darinnen hell und lichterloh brennen, und mitten in der ungeheuern Flammenlohe saß auf einem glühenden Stuhle der Graf und schrie ihn an: Nimm dies Tuch, bringe es den Meinen zum Zeichen, daß du mich gesehen, und sag ihnen, wie ich leiden muß, und reichte es dem Gläubiger hin, und seine Finger und Hände glühten und knisterten und sprühten Funken von sich. Darauf ward der Mann zurückgeführt und hat sein Geld dann gern erhalten. Später hat sich der kahle Feuerberggipfel mit Eichen und Tannen bewaldet.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 229-230.
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