363. Der Blumenthal

[253] Zwischen Berlin und dem Oderbruch liegt ein weit ausgedehnter Wald, darin hat vor alten Zeiten eine Stadt gestanden, von der sich noch Spuren finden lassen, aber keine Sage, keine Chronik kündet von ihrem Ursprung, Bestehen und Vergehen. Nur übergroße und bemooste Trümmer zeigen noch alte Ummauerung, Straßen und Tore an, und zur Nacht tanzen Irrlichter über der längst verödeten Stätte. Blumenthal soll die Stadt geheißen haben, und manchesmal soll sie in besondern Nächten sich sichtbar zeigen voll ernster Schönheit, belebt von einem ernsten Volke. Man hat den Raum des alten verschollenen Blumenthal gemessen nach Länge und Breite; vier Tore führten hinein, die Hauptstraße hatte die Richtung nach Strausberg. Vier ummauerte Plätze trugen eine Kirche, ein Schloß, ein Rathaus und ein Kloster. Mitten in der Stadt ruhen drei mächtige Hünengräber. Man sagt, daß vor einigen hundert Jahren das Mauerwerk noch manneshoch über der Erde sichtbar gewesen, jetzt aber ist alles überraset und übergraset, und starke Baumstämme bedecken den Boden. Von dieser vormaligen Stadt Blumenthal hat der ganze weite Forst den Namen der Blumenthal empfangen.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 253-254.
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