375. Die Erbsensteine

[262] In einer Zeit großer Teuerung trug sich's zu, daß ein reicher Bauer in der Mark, der noch mehrere Ernten liegen hatte, vermeinte, er werde Hungers sterben müssen, denn solche Zagheit befällt oft die Geizigen, und weil das Korn sich nicht mehren und nicht wohlfeiler werden sollte, so besäete der Geizige seinen[262] Acker mit Erbsen, aber ganz heimlich, und sprach dazu:


Ich säe Erbeis,

Daß's weder Gott noch die Welt weiß.


Aber ein Nachbar, welcher der Erbsen wirklich bedurfte und deren ebenfalls säete, hörte diese Worte und rief jenem auf seinen Acker hinüber.


Lieber Nachbar! Ich säe auch Erbeis,

Aber, daß Gott und die Welt darum weiß.


Da geschahe das Wunderbare, daß des letztern Mannes Erbsensaat keimte und fröhlich aufgrünte, aber die Saat des Geizigen, die ist durch Gottes Schickung samt der Ackerkrume versteinert. Und die in Steine verwandelten Erbsen sind noch heutiges Tages vorhanden, man kann darin Erbsen aus der versteinerten Ackerkrume gleichsam wie aus einer Hülse lösen, und die Hülsen selbst lösen sich vom Gestein ab und sind steinern.

Solcher Erbsensteine und Erbsenäcker finden sich aber nicht allein in der Mark, sondern auch in Thüringen und in Westfalen.

Zwischen Eisfeld und Krock am Abhang des Thüringer Waldes gegen Franken liegt ein solcher Erbsenacker, aber die Sage von ihm lautet ganz anders. Ja dieselbe Sage in wieder veränderter Form klingt aus Palästina herüber und tut überall dar, wie die kindliche Phantasie wundersame Gebilde der Natur sich poetisch zu deuten und zu erklären versuchte und verstand. Und da war es vorzugsweise das Reich der Steine, an dem jene Phantasie ihre Kraft übte.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 262-263.
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