483. Schlangensuppe

[339] Am Wartberg entspringt auch ein Brunnen, der heißt der Silberborn, an dem rastete an einem goldnen Sonntag (Trinitatissonntag) der Hirte von Schmerbach, da sah er aus dem Walde heraus einen Mann mit allerlei Gerät und in fremdländischer Tracht auf die maigrüne sonnige Bergestrift treten und sah auch gleich an einem Felsen nahebei eine früher nie daran wahrgenommene Öffnung. Der fremde Mann grüßte den Hirten, packte seinen Kram ab, winkte den Hirten zu sich und bat ihn, ihm behülflich zu sein, es solle sein Schade nicht sein, hieß ihn ein Feuerchen anmachen und schnitt sich von einem Haselnußstrauch eine Gabelgerte ab. Dann breitete er ein Tuch auf den Rasenteppich, zog drei Kreise mit einem weißen Stabe, den er in der Hand trug, und langte ein Pfeifchen hervor, darauf pfiff er in seltsamer Weise. Da kamen Schlangen und Würme in großer Zahl aus den Felsenklüften und Büschen und endlich auch ein großer Lindwurm, der setzte sich gerade vor den Beschwörer hin und riß den Rachen auf, und alle andern zischten greulich und ringelten sich in einem weg, und der Venetianer, denn ein solcher war der Schlangenbeschwörer, zitterte. Endlich erschien auf einer hohen Ulme eine ganz silberweiße Schlange mit einer goldnen Krone, die schlängelte sich von ihrem Baume herab, kroch über die Trift und auf das Tuch, da sprang der Beschwörer schnell hinzu, schlug das Tuch zusammen, nahm die Krone und barg sie und tötete den Lindwurm, den er festspießte, dann pfiff er wieder, und die Schlangen krochen von dannen. Die gefangene Otterkönigin tötete hierauf der Venetianer, zerstückte und kochte davon in seinem Kesselchen eine kräftige Suppe, dann setzte er sich hin, gemütlich seine Schlangenmahlzeit zu halten, zu der er den Hirten gastlich einlud. Dieser weigerte sich beharrlich, bis er sich endlich zureden ließ, mit vieler Überwindung einen Löffel voll zu genießen, doch als es nun ging wie bei jenem Kinde auf dem Thüringer Walde, zu dem der Hausunk kam und mit von seiner Milchsuppe aß, aber nur die Milch, und das Kind zu ihm sagte: Eß nett nu Nü, eß a Nocke! (Jß nicht nur Brühe, iß auch Brocken), und der Venetianer dem Hirten auch zuredete, von den Schlangenbrocken zu essen, da verweigerte das der Hirte durchaus. Gleichwohl wurden ihm schon von der guten Suppe, die viele Schlangenfettaugen hatte, die eignen Augen hell; er sah alles rings im überirdischen Glanze und in der Berghöhle, die sich aufgetan, alles voll Gold und Silber, das ist auch das Geißbeinsloch gewesen. Beide gingen nun und nahmen davon, und dann verschwand alles, wie hinweggeblasen. Hättest du von der Schlange selbst gegessen, sagte, als er fortging, der Venetianer, so hättest du immerfort die Höhle offen gesehen und immer wieder hineingehen und holen können, so aber nicht. Lebe wohl und besuche mich einmal in Venedig. Hier hast du ein Wünschtüchlein, das bindest du dir um den Kopf. Da hat sich hernach der Hirte bald da, bald dorthin gewünscht, und einmal auch nach Venedig; da kam er in einen Marmorpalast, vor welchem eine Wache stand, und da fand er in einem reichen Nobile seinen Schlangensuppenkoch wieder, der ihn gastlich empfing und herrlich beschenkte.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 339.
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