680. Adamiten in Böhmen

[451] Im Jahre 1421 erhob sich auch im Lande Böhmen jene Sekte von ganz abscheulicher Art; neuer Zeit würde man deren Bekenntnis Emanzipation des Fleisches genannt haben. Die Bekenner verwarfen das Kleidertragen, weil Gott ja den Vater Adam und die Mutter Eva im Paradiese auch nackend erschaffen; sie gingen demnach nackend und lebten paradiesisch, wenn auch gerade nicht im Stande der Unschuld. Männlein und Weiblein machten sich keine Schürzen, dieweil sie sich nicht schämten. Diese schamlosen und schändlichen Possenreißer fanden viel Anklang und Zulauf, denn die Frechheit und der Unsinn sind ansteckend. Einer dieser Adamiten nannte sich Adam, ein anderer sagte, was neuere[451] Weltweise gleichen Glaubens auch gesagt haben: Es gibt keinen Gott, der Mensch ist Gott – denn es ist alles schon dagewesen. Auch die Adamiten waren schon lange vor denen dagewesen, die sich in Böhmen auftaten. Die menschliche Narrheit, Bosheit und Wollust kommen immer aufs neue wieder und kleiden sich in das Gewand ihrer Zeit. Die Hussiten machten den Adamiten in Böhmen ein schnelles Ende.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 451-452.
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