799. Christnachtwunder

[525] Im Frankenlande herrscht gar mancher Aberglaube im Volke, und es hat dort so wenig gegen ihn geholfen, daß 1477 die Asche des Paukers von Niklashausen in den Main gestreut ward, als die Aufklärung der Philosophen, Pfarrer und Schulmeister vom Ende des vorigen Jahrhunderts an bis auf den heutigen Tag im ganzen übrigen Deutschland. In der Christnacht, wann es zwölfe schlägt, so glauben die Landleute, rede das Vieh in deutscher Menschensprache, und wer da lausche, der höre und verstehe, was ein Vieh zum andern sagt, und braucht nicht erst von der weißen Schlange gegessen zu haben wie der Graf Isang. Da war ein Bauer im Dorfe Riedenheim, einige Stunden von Niklashausen, der war neugierig, mocht'[525] gar zu gern wissen, was das Vieh in der Christnacht für einen Diskurs führen würde, und barg sich unter die Krippe und lauschte. Und wie die Glocke zwölf schlug, so tat ein Ochs sein Maul auf und sprach zum Nachbarochsen: Du! heut über acht Tage wird unser Herr sterben! – Da antwortete der andere: Du! das geschieht ihm recht, dem Viehschinder! – und da fing der ganze Stall an vor Freude zu brüllen, aber weil die Uhr schon ausgeschlagen hatte, so hörte und verstand er nichts weiter als: Juhu! ju! ju! juhu! – Nun war aber besagter Bauer selbst der Herr und hatte genug gehört und verstanden, und nach acht Tagen lag er auf der Bahre.

Ein anderes Christnachtwunder in Franken, an welches starker Glaube herrscht, ist, daß mit dem Schlage zwölf der Mitternachtstunde, solange die Glocke dröhnt, Wein anstatt Wassers aus jedem Brunnen springe. Gar wunderselten aber wagt es einer oder eine, sotanes Wunder zu erproben. Nun war einmal in demselben Dorfe Riedenheim eine vorwitzige Magd, die wagte es, in der Mitternachtsstunde der Christnacht an den Brunnen zu gehen und während des Stundenschlages ihre Butte zu füllen. Freudezitternd trug sie die Butte nach Hause, da begegnete ihr ein schwarzer Mann, der hatte eine rote Feder auf dem Hut und feurige Augen, faßte die Magd hart an und sprach zu ihr:


In deiner Butte trägst du Wein,

Für deine Sünde bist du mein! –


faßte sie, riß ihr die Butte vom Rücken, die man am andern Morgen leer auf der Straße liegend fand, und fuhr mit ihr durch die Lüfte von dannen.

Ähnliches erzählt man sich im Dorfe Weinheim an der Bergstraße. Alldort stritten sich zwei Bürger über die Wahrheit oder Unwahrheit des Volksglaubens, daß in der zwölften Christnachtstunde Wein aus dem Brunnen fließe. Darauf wurden sie einig, der Knecht des einen solle am Brunnen stehen und die Probe machen, sie aber wollten im nahen Hause am Fenster lauschen. Die Nacht kam, der Brunnen lief, der Knecht stand und probte von Zeit zu Zeit. Wasser! rief er dann jedesmal. Wasser! Wasser! – Jetzt schlug die Glocke zwölf. Ach! jetzt lauft Wein! rief der Knecht und hatte einen prächtigen Schluck getan. Und du bist mein! rief hinter ihm eine schwarze Gestalt, griff ihn und verschwand mit ihm.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 525-526.
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