811. Das Kitzinger Kätterle

[532] Über den Namen der guten Stadt Kitzingen am Main, Geburtsort des berühmten Theologen Eber, Melanchthons rechte Hand, haben die Sprachdiftler so viel Abgeschmacktes zusammenetymologisiert und ihren Kohl hernach als Sage ausgegeben, daß einem übel und weh von solcher losen Speise werden mag. Am Rathause daselbst wird ein Mädchenbild in Flammen erblickt, vielleicht eine arme Seele im Fegefeuer oder eine unkenntlich gewordene Madonna in der Glorie ihres fliegenden Goldhaars; davon geht diese Sage. Vor langer Zeit lebte in Kitzingen ein durch seine Schönheit berühmtes Mädchen, welchem ein eigentümliches Unglück widerfuhr. Einstmals hatte Kätterle (Kätchen) sich schon ausgekleidet und stellte sich im Hemd nah an den heißen Ofen; auf einmal begann dieses zu brennen, und das Mädchen konnte die Flammen nicht löschen; in voller Angst lief die Arme auf die Straßen, doch je ärger sie lief, desto stärker brannte das Feuer, und das Kätterle mußte eines jämmerlichen Todes sterben. Zum Andenken an das schöne Kätterle ist dasselbe brennend am Rathaus zu Kitzingen abgebildet, und im Volk lebt noch ein Sprüchwort von ihm, denn wenn ein Kind zu nah an den Ofen tritt, so sagt man warnend: Hüte dich, daß es dir nicht ergehe wie dem Kätterle von Kitzingen.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 532.
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