934. Die Heiden

[603] Zu Kettershausen, das nicht gar weit von Babenhausen in Schwaben liegt, heißen die Wichtelmännchen Heiden. Sie hausten allda in einem Berge und ahmten Sankt Sebald nach, sie nahmen Einkehr bei einem Wagner. Wenn sie diesem auch nicht mit Eiszapfen Feuer anmachten und einheizten, wie jener Heilige tat, so leisteten sie doch alle die Dienste, welche hülfreiche Hausgeisterlein stetig leisteten, und die dankbare Frau des Wagners legte jeden Abend ein Brötlein unter die Türe und stellte ein Krüglein voll Wasser hinzu oder auch voll Bier oder Milch, wie es kam, besonders wenn es viel zu schaffen gab, da mehrte sich auch die Zahl der Brote und Krüglein. Einmal aber, da eine Frau Nachbarin kam und lobte, wie schön es bei den Wagnersleuten sei, wie blank alles und aufgeräumt, und wie alles Spuren des Fleißes verrate, da verpappelte und verschwätzte sich die Hausfrau und ließ etwas fallen von unsichtbarer Hülfe – und da blieben die Heiden von Stund an weg und kamen nimmer wieder, und mußten nun der Wagner und seine Frau das selber tun, was sie getan haben wollten. Der Name Heiden – auch Haiden von andern geschrieben – weist deutlich auf einen verdrängten Volksstamm hin als Grundzug der so häufigst und besonders auch in Schwaben verbreiteten Wichtleinsagen. In Schwaben heißen die Wichtlein zumeist Erdmännele, Rotmänndele, Erdwichtele; es gab weiße und schwarze, und es gibt der Geschichten von ihnen sehr viele auf den Dörfern.

Quelle:
Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 603.
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