955. Die Untergänger

[615] Untergänger heißen in Schwaben die falschen Feldmesser und Feldrichter, welche die Flur- und Triftgrenzen und die Einzelgrundstücke unrichtig und zu andrer Schaden vermessen, Grenz- und Marksteine versetzen, Furchen von des Nachbars Acker ab und zu dem ihren pflügen, und alle diese Leute, von denen auch im übrigen Deutschland allgemein die Sage geht, daß sie nach dem Tode umgehen, schweben oder geisten müssen, und zwar zumeist als Feuermänner und große Heerwische. Davon hat es auch in Schwaben vordessen viel gegeben; es war nicht gut, ihnen zu begegnen oder auf sie zu stoßen. Sie schlugen mit ihren feurigen Rutenstäben und Pickeln, umschlangen mit glühenden Meßketten, und wenn sie niemand hatten, an dem sie ihre Wut auslassen konnten, so plätzten sie aufeinander selbst los, daß die Funken weit umherspritzten, und schimpften einander kurz und lang. Solcher Männer, die nach dem Sprüchwort Himmel und Erde betrogen mit ihrer Falschmesserei, gab es bei Tübingen eine ganze Gesellschaft, da sind ihrer fünf; andre sah man bei Betzingen laufen; in der Rothenburger Markung schwebten ihrer sieben; bei Bühl im Neckartale geistet auch einer umher, und so an vielen andern Orten und Enden.

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Ludwig Bechstein: Deutsches Sagenbuch. Meersburg und Leipzig 1930, S. 615.
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