Capitul XX
Judicium über das frühzeitige Doctorieren

[55] »Ha«, sagte Lorenz, »dieser ist der rechte, Hans, dem Kerl höre ich lieber zu als einem jungen Schulfuchs, der mich zu seiner Valediction einladet.« »Ja«, sagte der Doctor ohne Bart ferner, »alsdann will ich Gift in die Salbe legen und unter die Türken reisen, da müssen sie davon sterben wie die Sperlinge, welche man mit Blasröhren von den Dächern schießet. Sodann will ich lauter Doctores in die Türkei setzen, die müssen mir die Digesta in die wallachische Sprache übersetzen. Die Venetianer will ich durch meine Juristerey wieder in die Insel Candien einsetzen, und wenn ich sage, der Baum steht nicht recht oder dieses Haus ist nicht wohl gebaut, so wird es einfallen und zerreißen. Allen meinen besten Freunden will ich vorn fuchsschwänzen und ihnen das Allerschlimmste auf den Rücken nachreden, denn ich weiß mich sonst nicht groß zu machen noch in Ansehen zu bringen. Darnach will ich alle Badergesellen, die auf der Harfe spielen können, befreien, daß man sie nicht mehr Arschkratzer nennen solle. Ein solcher Kerl will ich sein, und wenn ich einen Bart kriege, will ich ihn nicht jedermann sehen lassen, sondern solchen gleich einem schweizerischen Schlachtschwert in der Scheide tragen. Wer nicht auf meiner Seite stehet, dem will ich sub poena praeclusi alle Güter confiscieren lassen, und im Güldenen Lamm will ich mich so voll saufen, daß man den Rausch den folgenden Morgen aus den Hosen waschen muß. Saprament, wird einer ein Buch wider mich ausgehen lassen, so will ich ihm ein Loch in Hintern beißen wie die Bresche, so Anno 1663 zu Neuhäusel geschossen worden.«

Als er noch so redete, kam derjenige die Treppe hinauf, welcher von der Frau verfolget worden. »Hans«, sagte Herr Lorenz, »dieser[55] ist gewiß derjenige, von welchem die Frau erzählet hat, daß er die Reitschul geschrieben habe.« Diese Wort hörte der Fremde, und die ganze Compagnie bekam dadurch Gelegenheit zu fragen, wo denn Monsieur Vogibilis mit der Frau geblieben? Man hatte sich bis daher so sehr in die Narren verliebt, daß man ihres Abseins nicht gewahr worden. Deswegen schickte man zwei Knechte hinaus, sie hereinzubringen. Der Fremde aber trat zu dem Gitter des Doctors ohne Bart und sprach: »Du guter Freund, ich höre, daß du mir dort und dar eine Klette anhängest. Ich achte zwar deiner Gunst so wenig als deines Neides, denn du bist ein Fuchsschwänzer all dein Leben lang gewesen und wirst auch in dem Narrenspital noch deine Grabschrift erleben. Dennoch sage ich dir, lasse deine Aufstecherei unterwegens oder ich will dich karbatschen wie einen Tanzbären.« »Was?« sagte der Doctor ohne Bart, »sollstu mich so anfahren, weißtu nicht meine Dignität besser zu respektieren?« »Du Hundsfutt«, antwortete der vorige, »ich will dich dignitäten, daß du gedignität sein sollst. Willstu einen Gradum haben, so lasse die Bubenpossen unterwegens und rede, was zu verantworten stehet, oder du kriegst Pumpernüsse.« Mit solchen Worten ging der Kerl wieder von dem Gitter und machte vor uns eine Abschiedsreverenz.

»Ha«, antwortete der Doctor gegen uns, »der Kerl ist ein grober Flegel und unhöflicher Bachant. Er hat mich in den Narrenspital gebracht. Wär er nicht gewesen, ich wär nicht mehr hereingekommen. Aber ich schwöre dir, du Bärenhäuter, sobald ich supremam totius orbis jurisdictionem bekomme, so will ich dich so gut einen Hundsfott heißen, als du mich einen geheißen hast. Er heißet mich den Doctor ohne Bart. Was kann ich davor, daß mir das Rabenzeug nicht wachsen will? Ich schwöre, daß ich viel mehr Schermesser bei mir getragen als ich Haar am Maul hatte. Ich schor mich alle Wochen neunmal, es wollte doch nicht kommen. Nun, patientia per forza, sobald als ich mir in Podolien huldigen lasse, so lasse ich den Kerl hängen, anders kann nichts draus werden. Soll mich ein solcher Lumpenhund so beschimpfen? Ha, ich will ihn umblasen wie eine Filzlaus, und sobald die Roßtäuscher aus Böhmen kommen, will ich ihn in vier Viertel zerreißen und seinen Kopf auf die Schießscheibe stecken.«

Es wußte sich unter unsrer Compagnie keiner in diesen Wortstreit zu finden. Aber der Spitalmeister sagte: »Ihr Herren, die beiden Kerle sind nicht wohl in eine Orgel zu stimmen. Der Doctor ohne Bart hat jenem dort und da verfuchsschwänzet und ihn abscheulich in die Pfanne gehauen, darum so sperrte er ihn ins Narrenspital, sonst wäre es nicht geschehen.« »Es ist recht«, sprach Lorenz hinter der Wiesen, »daß man's solchen Narren so mache. Da wollen die Narren flugs Doctores sein und haben doch weder Not noch Ursach darzu, und es heißet wohl, wie das Sprichwort saget: Wirst du Magister fix, so wirst du auch Doctor nix. Aber wenn man solchen jungen Gelbschnäbeln ihre Fehler vorwirft, so kommen sie mir vor wie die Schüler,[56] die defendieren strenue, sie wären Studenten. Wenn sie aber auf die Academie kommen, so gestehen sie, daß sie nur Füchse gewesen. Also auch die jungen Doctores, die bringen einen Haufen Similia wegen des Barts mit der Ziege undsofort auf die Bahn; aber nachdem sie etwas älter werden und ein bißchen das quid iuris et quid consuetudinis practiciert haben, da beklagen sie erst, daß sie so frühzeitig zum Doctorat geschritten. Ich geschweige, daß ihnen das frühzeitige Doctorieren an ihrer Beförderung oft viel schädlicher als nützlich ist. Exempla sunt odiosa, sonst wollte ich eine ganze Profession einführen, die endlich das Miserere zu schmelzen angefangen haben. Es wird nicht geredet, daß es simpliciter eine Torheit sei, frühzeitig Doctor zu werden, sondern nur dieses ist eine Narrheit, ohne Ursach und Gewißheit der künftigen Condition zu graduieren, denn dadurch verschlägt man oft sein eigen Glück. Das Eisen, das einmal zum Nagel geschmiedet ist, daraus wird selten ein Harnisch. Der Doctor auf den Dienst und nicht der Dienst auf den Doctor, so steht es reputierlich und judiciös. Es werden wenig kluge Leute gefunden werden, welche von dieser Sache eine andere Meinung führen. Mich geht es zwar nichts an, und meinetwegen mag da Doctor werden, wer nur will, denn ich habe gottlob besser zu leben als fünfzehn solche Doctor mit aller ihrer Wissenschaft, aber das muß ich lachen, daß heutzutage Leut sind, die wollen Juristen, Medici und Theologi zugleich und in Summa alles in allem sein. Wenn nun dergleichen Leute aufs Secret gehen, ihre Notdurft zu verrichten, so muß ich lachen, daß einem solchen Menschen alle drei Facultäten den Hintern wischen.«

Quelle:
Johann Beer: Das Narrenspital sowie Jucundi Jusundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung. Hamburg 1957, S. 55-57.
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