Capitul IX
Lorenz bringt unauflösliche Fragen auf die Bahn

[30] Man hätte uns da leichtlich für solche Leute ansehen können, welche aus dem Paradies entlaufen wären, oder, wenn der seltsame Grillen-Jubilierer, der alte Bruder Plato in unser Auditorium gekommen, hätte er ohne Zweifel geglaubt, wir hätten uns ihm und seiner definitio de homine zum Schimpf also entkleidet. Aber in Wahrheit zu sagen, so war keines von beiden zu argwohnen, denn dieses nackigte Turnierfest ist von dem wunderlichen Lorenzen verstandener Maßen aus allzu großem Mutwillen recht leichtfertig angestellet und mit schrecklichem Geschrei verübet worden. Denn wir mußten zu jedem Sprung, den wir taten, das Maul wie die Ochsen aufreißen und schreien, was wir von Leibeskräften vermochten.

Die Magd war aber zum allerübelsten dran, und weil sie den Herrn Lorenzen immer einen Schelm und liederlichen Teufel über den andern hieß, so revanchierte er sich gegen dieselbe mit seinem Blasrohr, indem er ihr über die fünfzig erdene Kugeln auf den Leib schoß, davon sie wie eine Spansau zu kürren angefangen. Endlich sprangen wir dem Torwärter gar in die Geige, und weil der Narr vor allzu, großem Trunk nicht wußte, ob es Mittwoch oder Freitag sei, machte er selbst mit. Also zerstörten wir unsere Musik, und weil Herrn Lorenzen eine sonderliche Mücke ins Gehirn gehofieret hatte, ließ er Lehm ins Zimmer bringen. Damit warf einer dem andern so ins Gesicht, daß wir weder sehen noch hören konnten.

In solchem Tumult hatte die Magd die Tür ergriffen und sich fasennackigt in den Schloßhof hinunter salviert. Diejenigen, welche noch kein nackigt Weibsbild gesehen hatten, hielten sie für die Melusina, andere aber, die etwas mehr in den Historien gelesen und gesehen, lachten so sehr, daß sie sich in der Mitte mit beiden Händen untersetzen mußten. Herr Lorenz warf ihr noch zum Valet etliche Lehmklotzen auf den Buckel, und weil ihm zu kalt werden wollte, ließ er unsere Hemden heraufholen, welche wir über den Leib warfen und in solchem Habit Toback zu trinken anfingen.

Damit wir nun selbst über unsern Aufzug zu lachen hatten, brachte Herr Lorenz etliche Spiegel ins Zimmer, die er rings um den Tisch herumsetzte. Also lachten wir uns selbst wie die Narren aus, und wer die abenteuerlichste Positur machen konnte, der schätzte sich vor dem andern, ein sonderliches Kunststücke verübt zu haben. Aber ach, wir elende Toren, solchergestalten lachten wir über unsere eigene Narrheit, die wir doch billiger vielmehr hätten beweinen sollen! Wir glaubten, lobenswürdige Sachen verübet zu haben, die doch im Grund die lasterhaftigsten waren, suchten also in der Schelmerei Ehre und von den Lastern Lob zu verdienen. Ich zwar habe es damals nicht verstanden noch besser gewußt, denn weil ich all mein[31] Lebtag niemals in der Welt gewest, dachte ich, es wäre so der Gebrauch, und müßte derjenige, welcher etwas Rechtschaffenes lernen wollte, sich auch rechtschaffen närrisch anstellen.

»Hans«, sagte mein Herr Lorenz, »so mußt du es machen, wenn du ein brav Kerl werden willst. Narr, du wirst wohl an hunderttausend Höfe kommen, da es nicht so lustig wie bei mir hergehet. Sauf deine Pfeife Toback aus, danach wollen wir auf Ofenkrücken, Ofengabeln und Kehrbesen im Hemd den Schloßhof auf und abreiten. Saprament, Hans, das ist lustiger als das beste Ringelreiten! Narrenpossen, was scher ich mich danach, was die Leute dazu sagen. Wenn ich kein Geld hab, und sie sagen, ich sei acht Tonnen Goldes reich, so ist's doch erlogen und hilft mich nicht. Sagen sie, ich sei ein armer Gesell und habe nicht vier Groschen, ich dagegen fresse und trinke etwas Gutes, Hans, so schadet es mir auch nicht. Sie mögen sagen, was sie wollen, Narr, ich lache wacker dazu, und je schlimmer man mir nachredet, je lustiger springe ich herum.« »Ja, Herr«, sagte ich, »das kann der Tausendste nicht tun.« »Ei«, sagte er, »drum bin ich auch glückseliger als tausend andere, und ich will auch noch das Rauchfangkehren lernen. Alsdann will ich in die Camin hinaufsteigen und heulen wie die Wölfe und Katzen, das ist mir lieber als auf der Zither und auf der Orgel schlagen, denn es braucht nicht so viel Fingerns und Greifens. Hans, meine Vettern meinten mich zu examinieren, aber, saprament, Hans, ich kann mehr als sie, du und alle Schulmeister der Welt. Damit du aber siehest, daß ich nichts ohne Grund und außer dem Fundament rede, so ist's wahr, daß ich allen Doctoren in der ganzen Welt will eine Frage aus dem Vaterunser vorlegen, die soll mir keiner geschwinde zu beantworten wissen. Ja, Hans, das will ich tun. Sie bilden sich einen Haufen Zeugs ein, aber es sage mir einer, hat er anders ein Herz im Leibe: Wenn man das Vaterunser in zwölf Teile teilet, welches sind die mittelsten drei Buchstaben? Hans, diese Frage kann mir kein studierter Mensch auflösen, er besinne sich denn eine Weile darüber, und solle es auch der Monsieur Doctor Faust selbsten sein. Item, es sage mir einer, wieviel zu Constantinopel die Woche hindurch Bärte geputzet werden, so will ich ihn für einen participierenden Licentiaten passieren und repassieren lassen. Aber ich weiß es, willst du es auch wissen, Hans?« »Ja«, sagte ich, »Herr, ich möchte es lieber wissen als das Vorige.« »Ja, du Eselskopf«, antwortete er, »es ist auch viel härter zu verstehen. Darum so merke, wenn man dich fraget, wieviel zu Constantinopel die Woche Bärte geschoren werden, so sagst du: eine Woche mehr als die andere. Damit hast du mehr getan, als wenn du dem krummfüßigen Hufschmiede Vulcano eine Sackpfeife aufgeblasen hättest. Hans, glaube mir sicherlich, und wenn du mir nicht glaubest, so wollte ich, daß dich heute nacht die Harmwinde plagten, daß du dich wie ein Frosch zusammenhalten müßtest. Aber was du glauben sollst, das höre von mir. Denn ich, ich, Lorenz hinter der Wiesen, Hochgeborener von Adel[32] und, wie mich die Leute zu titulieren pflegen, lediger Hahnrei, sage dir und habe dir gesaget, werde dir auch sagen und jederzeit gesaget haben, daß ich ein wackerer Cavalier sei.«

»Herr«, sagte ich, »ich habe in der Schul von unserm Schulmeister gehört, man heiße nur die Grafen und Freiherren, aber nicht die Edelleute Cavaliere. Wenn Ihr nun kein Graf oder Freiherr, sondern nur ein Edelmann von der schlechten Gattung seid, warum heißt Ihr Euch dann einen Cavalier?« »Saperment, Hans«, antwortete Lorenz, »all dein Leben lang, so lang du bei mir bist, hast du mir keine so schwere Lection als durch diese Frage aufgegeben. Was frage ich danach, du Narr, ob ich mich mit Recht oder Unrecht einen Cavalier tituliere, heiße oder nenne. Wenn's andere meinesgleichen tun, so tue ich's auch, sie mögen's tun, warum sie wollen. Hans, du sagst nicht unrecht, denn wenn man meinem Geschlecht auf den Grund fischen wollte, so würde man finden, daß ich gar artig zum Adel gekommen. Höre, ich muß dir's sagen, setze dich auf den Stuhl und lege ein Kissen darauf, so sitzest du desto besser, und höre, wie ich zum Adel kam. Mein Vater hatte zwölfmal die Franzosen. Nun sagt man im Sprichwort, wer die Franzosen neunmal hat, der sei ein Edelmann. Hat nun mein Vater die Franzosen zwölfmal gehabt, so kannst du Bärenhäuter leicht gedenken, daß ich ein recht Approbierter vom Adel sei. Bin ich kein Cavalier, so bin ich halt ein Edelmann, und man heiße mich, wie man wolle, so springe ich doch in meinen Hirschhosen im Zimmer herum und trinke eine Pfeife Toback.«

Quelle:
Johann Beer: Das Narrenspital sowie Jucundi Jusundissimi Wunderliche Lebens-Beschreibung. Hamburg 1957, S. 30-33.
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