Unterricht an den geneigten Leser

[7] Ehe und bevor wir zu diesem Werk schreiten, ist notwendig zu wissen, daß dieser ganze Entwurf mehr einer Satyra als Histori ähnlich siehet. Der geneigte Leser hat dannenhero Freiheit, nach seinem Belieben davon zu urteilen, wenn er zuvor von mir, als dem Übersetzer, freundlich gebeten wird, sich die angemerkte Tugenden zu einem Wegweiser und die bestrafte Laster zum Abscheu dienen zu lassen, in den Wegen, die einem Weltmann täglich unter die Füße kommen.

Nachdem ich dieses erhalten, muß ich ferner meine Meinung erklären und frei gestehen, daß zwar diesem und jenem bald eine Schand, bald eine andere Begebenheit zugeschrieben worden, welches keinem Menschen, er sei auch, wer er wolle, zum Präjudiz seines Standes oder Person beschrieben worden. Denn, in Betrachtung des Originals, ist solches allgemach etlich sechzig Jahr in einer Canzeley eines adeligen Schlosses urheblich geschrieben und daselbsten bis zu gegenwärtiger Zeit im Verborgenen, weiß nicht aus was Ursachen, aufbehalten worden. Man läßt also die ganze Sach an und vor sich selbst dahin gestellet sein, und solle sich ein oder der andere darinnen beleidiget finden, so muß man wissen, daß nicht dieses Buch, sondern seine eigne begangene Fehler daran schuldig sind. Ist also ein solches Buch gleich einem Maler, welcher mit einer Kohle ein Gesicht an die Wand malet, es kommt aber ungefähr ein Fremder dahin, dem dasselbe Gesicht naturel gleich siehet, da weiß jedermann, daß der Maler deswegen nicht die Ursach des Conterfeyes, sondern derjenige selbsten sei, der dem Gesicht gleich siehet.

Dieses ist das meiste, warum ich hierinnen streite, daß man nämlich alles aufs beste auslegen und deuten wolle. Und obschon[7] durch und durch die ganze Materi satyrisch gehandelt wird, werden doch nur die Laster, nicht aber diejenigen Leute, so damit behaftet sind, gestrafet und auf einen bessern Weg gewiesen, worinnen der Urschreiber dieses Buches keineswegs zu tadeln, sondern vielmehr zu loben ist, daß er gleich einem Gärtner das Unkraut ausrauft und herentgegen die guten Pflanzen einsetzet.

Der Nutz solcher Schriften und die daraus entspringende Lehren werden jederzeit bei denen in hohem Aufnehmen bleiben, die fähig sind, unter dem Bösen und Guten einen Unterscheid zu machen. Denn was ist einem bescheidenen Gemüt anständiger, als das Gute lieben und das Böse hassen? Was ist ihm nützlicher, als den Tugenden nachstreben und vor den Lastern zu fliehen? Dieses bringet Ruhm und Ehre, und was noch das meiste ist, so stellet es auch das Gewissen in eine friedsame Ruhe, welches ein solcher Schatz ist, der nicht mit Worten kann ausgesprochen werden.

Und wer siehet nicht, daß daraus die Fröhlichkeit des Herzens entspringe? Ein tugendliebender Mensch ist frei von Sorgen, fröhlich im Geist, und was er trägt, trägt er mit Lust. Dulce jugum amor est. Diese Liebe zur Tugend verringert alle menschliche Zufälle, so bös auch dieselbige mögen erdacht werden.

Es ist auch hieran der größte Teil der zeitlichen, ja ewigen Ehre gelegen, daß man dem Guten folge und das Böse hasse. Zwischen diesen beiden gibt es keine andre Stufe, entweder zur Ehre oder zur Schande zu gelangen. Wohl dem, der auf die erste tritt, wo seine Füße nicht gleiten. Er wird nicht allein geliebt, sondern allenthalben gelobt werden, und seine Ehre wird ihm einen solchen Kranz flechten, dessen Blätter in alle Ewigkeit nicht verwelken.

Aber was haben endlich diese davon, die im Gegenteil aller Unreinigkeit pflegen? Schand, Schimpf, Spott und Hohn ist ihr endlicher Sold, und wenn sie den Lastern lange gedienet, werden sie mit großer und schmerzlicher Verachtung von allen Menschen angesehen. Es ist auch in solchem sündlichen Leben keine Lust, sondern vielmehr eine Last, wenn das Gewissen anfängt, von all diesen Taten zu predigen, die[8] wir auf einem so schändlichen Weg begangen haben. Man macht dadurch die Ehre beschreiet und den guten Namen verdunkelt, und endlich wird alles verloren und verdorben, was zu unserer Auferbauung dienlich ist.

Wer hiervon auf beiderlei Weis ein Exempel begehret, der durchlese diese Schrift, allwo er eine genugsame Anzahl aller dieser Tugenden und Laster finden wird, die ihm wohl und übel anstehen. Auf eine solche Art wird der Leser gleichsam lachend unterrichtet, was zu seinem Besten dienet, und kann durch fremde Gesichter seine eigene Gestalt erblicken, es sei darnach gleich gut oder bös.

Wenn ich eine lustigere Art als diese zu schreiben gewußt hätte, so hätte ich solche unter die Feder genommen und diese Mühe in einer andern Arbeit angewendet, aber zu solchem bin ich geleitet worden aus gewisser Hoffnung des großen Nutzens, der demjenigen daraus entspringen wird, der nicht nach der bloßen Schale, sondern nach dem Kern schnappet, der darinnen verborgen lieget. Mancher tritt einen Stein mit Füßen, der mehr Gold in sich hält, als sein ganzes Vermögen ist, weil er aber nicht weiß die Art und Weis, wie das Gold daraus zu nehmen sei, gehet er als ein unbedachter Mensch darüber weg und klaubet hingegen eine Nuß von der Erde auf, die etwan einer Obstkrämerin entfallen ist. Darum müssen dergleichen Bücher mit genauer Obsicht und gutem Fleißge lesen werden, damit man nicht statt des Goldes Kot und statt der Perlen kleine Steinlein sammle, darauf man nur die Füße wund gehet.

Solches lasse sich der geneigte Leser zum vorhergehenden Unterricht dienen, auf daß er die Schrift nicht in einer andern Meinung lese, als sie geschrieben worden. Alsdann wird die Frucht keineswegs mangeln, welche er in Fliehung der entworfenen Laster und in Nachfolgung der belobten Tugenden nächst meiner Dienstfertigkeit zu gewarten hat.

Quelle:
Johann Beer: Die teutschen Winter-Nächte & Die kurzweiligen Sommer-Täge. Frankfurt a. M. 1963, S. 7-9.
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