Zwölfter Auftritt.

[280] Vorige. Benascar.


BENASCAR.

Geborgen ist der Knab' –

MAJA.

So fliege muthig

Aus deiner dunkeln Haft, gebeugte Seele,

Du wandelst dich zu glänzender Gestalt

Und schwebst mit schützend hellen Flügeln dann

Um des geliebten Kindes Haupt.

BENASCAR.

Jetzt – trennt euch!

Der Priester naht, und eurer Hütte Wand

Stürzt nieder unter schnell geschäft'ger Axt;

Daß nicht beflecke auf verworf'ner Schwelle

Den reinen Fuß der Diener des Gewalt'gen,

Der neunmal deinem Stamm und dir geflucht.

GADHI.

Dein Gott des Fluches ist ein Gott des Abscheus.[280]

Ich glaub' an seine Lieb'; von seinem Haß

Spricht Blödsinn, Habgier oder Frevel nur.

Wer sich's von seinen Priestern überliefern,

Von ihren Ammenmährchen lehren läßt,

Was Glaube sei und Gott, der schmäht sich selbst.

Er ist unleugbar wie sein himmlisch Licht;

Des eignen Busens flammende Erkenntniß

Macht seine Welt zum Spiegel seines Wesens.

Und hast du ihn erkannt, – mußt du ihn – glauben;

Nothwendiger ist Dasein nicht und Tod.

Ich war verworfen, und mit reinem Herzen

Blick' ich zurück auf meines Lebens Bahn.

Gefunden hab' ich, was des Bettlers Hütte

Zum Paradiese stiller Lust geschaffen;

In treuer Brust für mich ein glühend Herz ...

MAJA droht zu sinken.

GADHI.

Weh' mir!

MAJA.

Die Gluth wird kalt.

BENASCAR.

Wie bleich du wirst!

MAJA zu Benascar.

Was starrst du so? Es war dein eigner Wille.[281]

Du wähnst, ich liebte, und ich könnte nicht

Für meine Liebe sterben – –

BENASCAR.

Welche Ahnung!

MAJA.

Die Frucht – die gift'ge –

BENASCAR.

Die du mir entrissen?

GADHI.

Sie giebt uns Beiden jetzt den Tod.

BENASCAR zu Gadhi.

Ha, Ungeheuer! das hast du gethan!

MAJA.

Ich selbst – ich selbst – oh, wie das schmerzt – wie's brennt!


Schleier und Stirnband abreißend.


Hinab den ird'schen Tand – ah! Freiheit! Luft!

Das Leben ist ein Feuermeer und sprengt

Gewaltsam mir die Adern, um hinaus,

Hinauszuströmen in die ew'gen Lüfte.

Mir wird die Welt zu eng.

INDIANER in die Hütte stürzend.

Nieder mit des Paria Hütte![282]

Nieder mit dem Paria selbst!

Heil Brama! Heil!


Die Hütte wird niedergerissen. Man erblickt ein reizendes Thal. Morgenröthe. Aus dem Hintergrunde naht langsam, unter rauschender Musik, der Zug mit dem Braminen.


MAJA.

Mein theurer Freund,

Du schauderst! – O geliebte Sonne, komm,

Laß deiner gold'nen Wangen Purpurglanz

Erröthen mir das bleiche Angesicht;

Daß ihn der Tod, den er erleiden soll,

In dieser Ungestalt nicht schrecke.

GADHI.

Gott!

MAJA.

Es war ein kurzer Kampf – es ist vorbei!

Kein Schmerz – Entzücken – Freiheit – Licht –

Mein Gadhi – folge mir – –


Sie stirbt.


GADHI.

Ich folge bald – ich fühle schon – den Tod. – –

So recht – laßt unter diesem Dach das Leben

Sich schmerzenfreier lösen; diese Lust

Und dieses Licht ist Allen gleiche Wohlthat. Ueberall

Nur Liebe, Lieb' – und ihr seid nichts als Haß.[283]

So dunkel – Nacht – dort! dort! das Licht,

Und Alle – Alle – gleich – mein Kind –

BENASCAR an Maja's Leiche, von seinem Gefühl überwältigt, ihm die Hand reichend.

Ich schütz' es dir.

GADHI heftet den Blick starr auf ihn und stirbt.


Quelle:
Michael Beer: Sämmtliche Werke. Leipzig 1835, S. 280-284.
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