Erste Scene.

[291] Zimmer in Struensee's Wohnung im Schlosse Christiansburg in Kopenhagen. An einem offenen Fenster steht Detlev.


STIMMEN DER SOLDATEN von außen. Der König lebe! König Christian hoch!

ERSTER DIENER zu den Andern, hereintretend. Ich sage, hieher kommt! Ihr könnt's von hier aus am besten sehen. Sieh da, Herr Detlev! Ihr, der Liebling des Herrn, ihr wißt oft mehr von seinen Planen und Meinungen, als der König selbst. Sagt uns doch, was hat es zu bedeuten, daß man dort auf dem Platze vor dem Palast der schönen norwegschen Garde den Abschied giebt? Es ist wahrlich Schade darum. In der ganzen Armee ist kein prächtiger Regiment. Mir waren die Norwegschen immer die liebsten.

MEHRERE DIENER. Ja, ja, erzählt, was haben sie verbrochen?[291]

DETLEV. Ich weiß nicht, ob ich euch thörichter oder vorwitziger nennen soll. Weil mir der Graf wohl will, sich freundlich meiner seit meiner Kindheit angenommen, meint ihr, er vertraue mir die geheimen Beweggründe seiner Handlungen, und weihe mich in die Geheimnisse des Staates ein. Seht, ich möchte mich kaum erkühnen, zu muthmaßen, wo ihr so klare, sichere Gewißheit wollt.

ERSTER DIENER. Aber ihr rathet, ihr muthmaßt doch? Nun sagt, was hat das Regiment begangen?

DETLEV. Begangen? Seid ihr denn so gewiß, daß man verabschiedet, um zu strafen? Ich denke nicht.

MEHRERE DIENER. Nun, so sagt, was ihr denkt; wir wollen wissen, was ihr denkt.

DETLEV. Nur gemach. Ich habe keinen Grund, euch meine Gedanken zu verhehlen, – fast aber möcht' ich es nun, da ihr so ungestüm darnach fragt.

DRITTER DIENER. Nun, wenn Herr Detlev nicht reden will, so vill ich's euch sagen.

VIERTER DIENER. Hört Den, der hat auch seine Quellen, kann Manches wissen. Hört ihn![292]

DRITTER DIENER. Ich will euch sagen, daß es bei der Verabschiedung dieses Regiments wieder darauf abgesehen ist, dem Adel eins zu versetzen. Die Officiere der norwegschen Garde, die da unten mit Zähneknirschen ihren Abschied vorlesen hören, die mußten adlig sein, mit dem gemeinen Bürgersohne dient keiner von ihnen. Das war so Sitte.

ERSTER DIENER. Ist das wahr?

DRITTER DIENER. Das ist wahr, das könnt ihr mir glauben. Dem Adel aber, das wissen wir Alle, ist unser Herr nicht sonderlich hold; er zerfetzt ihm, wie er's nur kann, seine Privilegien, und heute macht er einen Riß 'nein, der ihm recht ins Herz gehen wird. Es ist aber auch für einen edelgebornen Herrn recht empfindlich, so mit aller Welt zusammen gewürfelt zu werden, und unser Herr Graf hätte doch bedenken sollen, wie einem Junker das Herz im alten Blute schlägt. Es kann's Keiner wissen, dem's nicht selbst in den Adern flließt, wie einem zu Muthe ist, der sein altes ehrenwerthes Privilegium recht festzuhalten glaubt, und dem's nun der Erste, Beste vor der Nase wegschnappt.

ERSTER DIENER. Daß ich dir nicht ins Gesicht schlage, Laffe; ist unser Herr Graf der Erste, Beste?

ZWEITER DIENER. Laß ihn, Jens, laß ihn, der ist nicht anders. War von je immer mit den Unzufriedenen. Er hat's so in der Art, weil sein[293] Vater bei der Königin Juliane dient; da ist ein ewiges Beneiden, Brüten und Verleumden, und was er weiß, weiß er von dort.

DETLEV. So giebt es ihm der Neid und die Verleumdung ein. Nicht um zu kränken, und wem es auch sei, aus Haß unheilbare Wunden zu schlagen, werden die Truppen verabschiedet. Zu sparen denkt man. Das Gold auf ihren reichen Kleidern thät gemünzt dem Schatze bess're Dienste. Das kleine Land nährt ein zur großes Heer. Es soll geringer werden, und darum will der König –

ZWEITER DIENER. Sagt doch nicht der König; unser Graf, ist richtiger.

DETLEV vorwurfsvoll. Heinrich!

ZWEITER DIENER. Es ist so, das weiß hier im Lande Jeder, und wir, seine Diener, sollten's uns verhehlen? Der König ist siech und krank, und die Arbeit taugt nicht mehr für ihn. Graf Struensee ist König in Dänemark. Er hält das Land in Ordnung und Zucht, und weiß er nicht d'rein zu schlagen mit dem Schwert, so ist er doch ein Held im Regieren. Sie sagen, er sei Arzt gewesen; wenn das wahr ist, dann ist er jetzt ein größerer, als er früher war, denn jetzt curirt er Dänemark.

ERSTER DIENER. Ja, es ist ein Mann wie Wenige. Es war ihm immer recht, wenn ihm das Glück begegnete. Er war nicht blind wie Viele in[294] der Welt, und suchte es immer, wo es zu finden war, und wenn er's fassen konnte, so hielt er's fest, daß es ihm nicht mehr entwischte. So hab' ich ihn immer gesehen, seit ihn Graf Ranzau zuerst zum Könige brachte.

ZWEITER DIENER. Was? Graf Ranzau, der sein Todfeind ist, weil unser Graf den Staatsrath aufgelöst, und nun der stolze Ranzau daheim sitzt, und Keiner bei Hofe mehr nach ihm fragt?

ERSTER DIENER. Ja, ja, der Nämliche, der bracht' ihn an den Hof. Wie lange ist's denn? Wenig Jahre nur. Der König machte damals gerade eine große Reise nach England und Frankreich. Unser Graf begleitete ihn; als Arzt, verstehst du wohl, denn damals war er noch nicht Graf und Minister.

DRITTER DIENER. Ja und bei Gott, die ihm zu der Stelle des Leibarztes verholfen hatten, dachten nicht, daß er werden sollte, was er jetzt ist. Damals galt es, den Grafen Holk zu verdrängen, der der Liebling des Königs war. Das war ein Herr! Flink, jung, gewandt, übermüthig, stolz gegen alle Männer, und wie ein Lamm, wenn ihn ein Weiberhändchen streichelte.

ERSTER DIENER. Als ob ich ihn nicht gekannt! Es seufzt noch Jeder in Dänemark, wenn er an ihn und seine Zeit denkt.

DRITTER DIENER. Man hat seitdem das Seufzen nicht verlernt.[295]

ERSTER DIENER. Und wird's auch nicht verlernen. Denn Keiner wird's Allen recht machen. Damals war der Holk dem Ranzau ein Dorn im Auge, wie's ihm jetzt der Struensee ist. Wer ein Pferd gern selber reiten möchte, der findet leicht etwas zu tadeln, wenn's ein Anderer reitet.

DETLEV für sich. Wahr gesprochen!

ERSTER DIENER. Graf Ranzau kannte unsern Herrn als einen schlauen Mann. Er wußte ihn dem Holk als Arzt und Begleiter des Königs aufzuschwatzen. Der schwirrte um die Gnade des Königs wie ein Mücklein um das Licht, wärmte sich und freute sich erst d'ran, dachte dann, er sei schon ganz vertraut damit, steckte sein Köpfchen zu tief hinein, und aus war es. Unser Herr, den er kaum beachtet hatte, setzte sich gemächlich an seine Stelle.

DRITTER DIENER. Ja, ja, es ging schnell. – Auf der Reise noch Arzt, nach der Rückkehr Rath, und immer weiter ging's, und endlich Graf und Minister. Das war die Dankbarkeit der Königin, die – –

DETLEV ihn rasch unterbrechend. Ihr Thoren, die ihr unklug eures Herrn Schicksal zu besprechen wagt. Laßt das seinen dänischen Neidern über, die unwillig die Größe des deutschen Mannes an ihres Fürsten Hofe sehen. Ihr, seine Diener, solltet besser euch bedenken und an den seinen euren Vortheil knüpfen.[296]

VIERTER DIENER der während des Gesprächs aus dem Fenster geblickt hat. Seht! Seht!

ALLE. Was gibt's?

VIERTER DIENER. Dort aus dem andern Flügel des Schlosses kommt Graf Struensee in heftigem Gespräch mit Obrist Köller. Jetzt sehen ihn die Truppen. Hört! Welch ein Murren durch ihre Reihen geht!

ERSTER DIENER. Wie zornig blickt der Graf!


Man hört ein dreimaliges Lebehoch der Soldaten.


Wem galt das?

DRITTER DIENER. Ich denke, dem Obrist, der sie commandirt. Seht, seht den Grafen, wie eilig er vorübergeht! Er kommt hieher. Fort, daß er uns nicht finde.


Die Diener zerstreuen sich.


DETLEV.

O falsche, trügerische Schar der Knechte,

Es schlägt in seiner Näh' kein treues Herz

Für ihn als dies allein.


Quelle:
Michael Beer: Sämmtliche Werke. Leipzig 1835, S. 291-297.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon