Neunte Scene.

[501] Graf Struensee hat den Blick bei Köller's Abgang abgewendet, so daß er seinen Vater nicht bemerkt, mit welchem er allein bleibt.

Graf Struensee. Pfarrer Struensee.


GRAF STRUENSEE.

Das that mir weh! In diesem Augenblick

Den Feind zu seh'n, der unversöhnlich noch

Den Haß im Busen trägt! Auch dieser Kampf

Blieb zu besteh'n. Ich habe überwunden.

Ich bin allein! Steh' an dem offnen Grab'

Allein. – Kein Freundesauge glänzt in Thränen

Des süßen Mitleids, – keine liebe Stimme

Schlägt tröstend an mein Herz. O hätt' ich nur

Den theuern Vater noch einmal geseh'n!

Daß ich von seinen Lippen nur ein Wort

Des Segens noch gehört, – den einz'gen Laut:

Leb' wohl, mein Sohn!

PFARRER STRUENSEE der, bei den ersten Worten des Sohnes aufgeschreckt, langsam vortrat.

Mein Friedrich!

GRAF STRUENSEE.

Welche Stimme!

Mein Vater! Ewige Barmherzigkeit!

Mein Vater, ich erliege![502]

PFARRER STRUENSEE der Sohn hält seines Vaters Knie umklammert, dieser hebt ihn auf.

Fasse dich!

Laß uns dem großen Augenblick mit Ruh'

Entgegen geh'n, nicht mit gemeinem Jammer

Die letzte Stunde trüben; in der nächsten

Stehst du vor Dem, an den wir denken müssen.

GRAF STRUENSEE.

Könnt ihr's denn fassen, könnt ihr's tragen, Vater?

Mich so zu seh'n.

PFARRER STRUENSEE.

Ich hab' es kommen seh'n!

In deines Glückes Tagen sah ich Alles

Sich langsam vorbereiten; warnend kam ich,

Du hörtest nicht; nun kommt der Tag des Unglücks,

Den ich gefürchtet.

GRAF STRUENSEE.

Wißt ihr, welchen Weg

Der blut'gen Schwach die Feinde mir bestimmt?

PFARRER STRUENSEE.

Jedweder Weg des Todes führt zu Dem,

Der unser Aller Heil und Wonne ist.

In diesem Glauben stirb, – so wirst du leben.


Nach einer Pause.


Mein theurer Sohn, wie steht's um deine Seele?[503]

GRAF STRUENSEE.

Ich glaube, sie ist rein von Haß und Rachsucht.

PFARRER STRUENSEE.

So bist du mit der Welt versöhnt?

GRAF STRUENSEE.

Ich bin's.

PFARRER STRUENSEE.

Hast du die Seele auch von schnödem Zweifel

Gereinigt? Wankt dein Glaube nicht, mein Sohn?

GRAF STRUENSEE.

Ich glaube, Vater! an die Liebe Gottes,

Ich glaube an das Glück der Ewigkeit,

Ich glaube an die Sünden meines Lebens,

Ich fühle mich zerknirscht von bitt'rer Reue.

PFARRER STRUENSEE.

Denkst du nicht mehr an deine sünd'ge Liebe?

GRAF STRUENSEE.

Was nennt ihr meine sünd'ge Liebe, Vater?

PFARRER STRUENSEE.

Denkst du nicht mehr an deine Königin?

GRAF STRUENSEE.

Nein, Vater, nein, das kann ich nicht geloben,[504]

Sie war der schöne Engel meines Lebens!

Und wie die süße Ahnung ew'ger Wonnen,

Ruht ihr geliebtes Bild in meiner Seele;

Die letzten Worte ihrer Huld umweh'n

Mich wie ein Frühlingshauch am offnen Grab';

Ich denk' an sie, muß an sie denken, Vater,

So lang' die Seele ruht in ihren Banden.

Nun hab' ich's euch, – längst hab' ich's Gott gestanden.

PFARRER STRUENSEE.

Der Aller Herzen wägt, wird dir vergeben, –

Geh' ein, verklärter Geist, zur Herrlichkeit.

GRAF STRUENSEE.

Der Himmel leuchtet! Er vergiebt! Er führte

Den Vater her in meine Todesstunde!

Sein heilig Zeichen der Vergebung glänzt

In euren Blicken; meine ganze Seele

Jauchzt auf zu ihm, und wie ein Sieger einzieht

In sein erkämpftes Reich durch blut'ge Pforten,

Schreit' ich empor zu ihm vom Blutgerüst.

Der Tag geht auf! demüthig leg' ich ihm

Mein Leben nieder vor dem ew'gen Thron.

Verborg'ner Wille tritt ans Licht und glänzt,

Und Thaten werden bleich, wie ird'scher Kummer.

Doch ein beglückter Lohn steigt blühend auf.

Hier, wo ich wirkte, reift manch' edle Saat!

So hab' ich nicht umsonst gelebt, so hab' ich

Mit falschen Lehren nicht das Reich geblendet![505]

Es kommt der Tag, die Zeiten machen's wahr,

Was ich gewollt, die Tyrannei erkennt,

Daß sich das Ende ihrer Schrecken naht.

Ich seh' ein Blutgerüst sich nach dem andern

Erbau'n, ein rasend Volk entfesselt sich,

Trifft seinen König in verruchter Wuth,

Und dann sich selbst mit immer neuen Schlägen.

Geschäftig mäht das Beil die Leben nieder,

Wie ems'ge Schnitter ihre Ernte – plötzlich

Hemmt eine starke Hand die eh'rne Wuth.

Der Henker ruht, – doch die gewalt'ge Hand

Kommt nicht zu segnen mit dem Zweig des Friedens.

Mit ihrem Schwert vergeudet sie die Völker,

Bis auch der Kampf erlischt; – ein brausend Meer

Schlägt an ein einsam Grab, und Alles ruht.

Und hell're Tage kommen, und die Völker

Und Kön'ge schließen einen ew'gen Bund.

Nothwendig ist die Zeit, – sie muß erscheinen;

Sie ist gewiß, wie die allmächt'ge Weisheit.

Nur durch die Kön'ge sind die Völker mächtig,

Nur durch die Völker sind die Kön'ge groß.


Die Thüren öffnen sich, Wache – zwei Gerichtsdiener, von denen einer das Wappen des Grafen trägt, der Geistliche; der Graf schreckt bei diesem Anblick leicht zusammen.


PFARRER STRUENSEE zu ihm.

Wie ist dir, theurer Sohn?

GRAF STRUENSEE.

Wohl, lieber Vater![506]

PFARRER STRUENSEE.

So laß uns geh'n –

GRAF STRUENSEE.

Nein, nein, das duld' ich nicht,

Du darfst mich nicht auf diesem Gang begleiten,

Du nicht, mein Vater! Bricht dein Auge nicht

Vor Jammer schon in diesem Augenblick?

Sollt' ich gefaßt sein, wenn dein theurer Blick ...

Nein, nein – das trüg' ich nicht, – laß ab, mein Vater!

Von diesem gräßlichen Entschluß, – mich soll

Der würd'ge Mann zur Ruhestatt geleiten,

Du aber, Vater! gieb mir deinen Segen.

PFARRER STRUENSEE.

O! mein geknicktes Herz, o Gott des Himmels,

Erbarme dich und gieb mir Kraft!


Sein Sohn kniet vor ihm nieder, indem er ihm die Hände segnend aufs Haupt legt.


Der Herr sei mit dir! seine Gnade stärke

Dich in dem letzten, schweren Augenblick.

Er sei dir nah' in deiner Todesstunde,

Der einst für dich gelitten und gebüßt.

Der Herr laß über dir sein Antlitz leuchten,

Er geb' dir seinen ew'gen Frieden – Amen.


Indem der Graf aufsteht, sinken sich Vater und Sohn sprachlos in die Arme.


PFARRER STRUENSEE.

Ich lasse nicht von dir![507]

GRAF STRUENSEE.

O laß uns scheiden!

PFARRER STRUENSEE ihn fest umschlingend.

Du bist mein Kind! Es ist der blüh'nde Theil

Von meinem Leben, den der Himmel fordert!

Soll ich nicht einmal noch auf diese Blüthe

Die Lippen drücken? Scheide, Sohn, mir ist's,

Als säh' ich deine Mutter dort, – sie wartet, –

Er kommt, – ich halt' ihn länger nicht.


Indem er den Sohn aus seinen Armen entläßt, sinkt er zu seinen Füßen nieder.


GRAF STRUENSEE.

Er sinkt!

Er sinkt! – Der Schmerz ist mild und wendet

Die theuren Blicke von des Abschieds Grau'n!

Eh' du erwachst, werd' ich das Leben schau'n.

Mein Weg ist kurz, – ich habe bald vollendet.


Er geht, Alle folgen ihm. Der Pfarrer bleibt allein mit seinem Diener zurück.


PFARRER STRUENSEE nach langer Pause aus der Ohnmacht erwachend.

Er ist hinweg. – Wo ist er?


Trommelwirbel aus der Ferne. Pfarrer Struensee zum Himmel blickend.


Dort![508]

Quelle:
Michael Beer: Sämmtliche Werke. Leipzig 1835, S. 501-509.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Den Bruderstreit der Herzöge von Gothland weiß der afrikanische Anführer der finnischen Armee intrigant auszunutzen und stürzt Gothland in ein blutrünstiges, grausam detailreich geschildertes Massaker. Grabbe besucht noch das Gymnasium als er die Arbeit an der fiktiven, historisierenden Tragödie aufnimmt. Die Uraufführung erlebt der Autor nicht, sie findet erst 65 Jahre nach seinem Tode statt.

244 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon