Elfter Auftritt.

[28] Quisenow. Auguste in weißem, höchst elegantem Morgenanzug. Bernhard bleibt im Hintergrunde.


AUGUSTE. Guten Morgen, Fritzchen!

QUISENOW. Guten Tag, liebes Gustchen!

AUGUSTE. Du warst heute schon recht früh aus.

QUISENOW. Wie gewöhnlich, im Brunnengarten.

AUGUSTE. Wie bekommt dir der Marienbader?

QUISENOW. Recht gut. Der Doktor hat mir strenge Diät verordnet. Nichts Aufregendes, nichts Saures und vor allen Dingen keinen Ärger.

AUGUSTE. Waren wieder viele junge Damen dort?

QUISENOW. Wo denn?

AUGUSTE. Im Brunnengarten.

QUISENOW. Ich habe keine gesehen. Du bist wirklich imstande und glaubt, ich trinke Marienbader wegen der Frauenzimmer.

AUGUSTE. Ist schon möglich. Was hattest du denn gestern in der Küche bei Agnes zu tun?

QUISENOW. Wo denn?[28]

AUGUSTE. Nun, ich sage dir's ja, in de Küche.

QUISENOW als hätte er zuerst nicht verstanden. Ach so – in der Küche. Ich habe mir ne Zigarre angesteckt.

AUGUSTE. Seit wann rauchst du denn?

QUISENOW. Ich – wollte mal versuchen aber kan mir schlecht –

AUGUSTE. Ich soll nur was entdecken.

QUISENOW. Kannst du nicht –

AUGUSTE. Wie?

QUISENOW. Ich meine, daß unmöglich ist, weil ach fange nicht schon wieder am frühen Morgen an, du verdirbst mir meinen ganzen Marienbader.

AUGUSTE. Wir haben auch Wichtigeres zu tun – Sie deutet auf Bernhard.

BERNHARD der so lange im Hintergrunde stand und sich die Binder besah. Sind Sie endlich zu sprechen, Tante?

AUGUSTE. Ja, aber nicht gut aus dich. – Ich will endlich einmal wissen, wie lange dein liederliches Leben noch dauern wird. Du bist ein leichtsinniger Schlingel!

QUISENOW. Aber Auguste –

BERNHARD mit verbissener Wut. Ihre Ausdrücke gehen zu weit, Tante. Ich verbitte mir dieselben.

AUGUSTE. Ei sieh! Noch den Beleidigten spielen. Schulden machen, flott leben, die ganze Welt mit Champagner traktieren, auf allen Bällen der Erste und Letzte sein, sich mal täglich frisieren lassen. Hunderttaler-Zigarren rauchen, mit zwei großen Neufundländern die Linden lang flanieren, im Tiergarten Kinder überreiten, anstatt zu studieren und ans Examen zu denken, das ist allerdings eine Tätigkeit, die eine andere Achtung verdient, als die, welche ich dir zu ie werden lasse –

QUISENOW. Aber Auguste –

AUGUSTE. Stille!

QUISENOW. Ich will mir nu den Marienbader nicht verderben.

AUGUSTE. Wir haben Schulden für dich bezahlt – weit über unsere Kräfte, wir haben geglaubt du wirst endlich bessern, aber es ist alles vergebens. Rechne auf nichts mehr, wir sind wütend![29]

QUISENOW sehr gleichgültig. Ja, es ist wahr, wir sind sehr aufgebracht.

BERNHARD. Ich habe Sie sprechen lassen, Tante! Jetzt hören Sie auch mich an. Mein lebhaftes Temperament, verführerische Gesellschaft, die Einschränkungen, welche mir die Strenge meines Vaters auflegte – alles das mag mich zu mancher Verirrung, zu manchem leichtfertigen Streich getrieben haben, aber seien Sie überzeugt, es lebt ein unauslöschlicher funken Ehrgefühl in mir –

QUISENOW. Wir sind überzeugt –

AUGUSTE stampft mit dem Fuß. Still!

QUISENOW. Wir sind nicht überzeugt. Er seufzt. Wenn ich gar nichts mehr reden darf.

BERNHARD. Retten Sie mich nur diesmal, ich habe mich in hohes Spiel eingelassen, man drängt auf Zahlung, meine Ehre, meine bürgerliche Stellung ist gefährdet, Leise. es sind nur vierzig Louisdor, liebe Tante; meinem Vater kann ich mich nicht entdecken, es würde mir auch nichts helfen; ich weiß, er ist augenblicklich außerstande, mir die Summe vorzustrecken – aber ich werde binnen vier Wochen mein Examen machen und –

QUISENOW zieht seine Brieftasche. Hier hast du –

AUGUSTE reißt sie heftig weg. Einstecken! willst du wohl –

QUISENOW seufzt. Ich stecke alles ein – wenn ich aber gar nichts mehr reden darf.

AUGUSTE höhnisch. Also vierzig Louisdor, sonst nichts. Und noch dazu im Kartenspiel – als wenn vierzig Louisdor gar nichts wären.

AUGUSTE. Nein, lieber Bernhard, das werden wir uns überlegen. – Bei dieser Zeit, wo man gleich wer weiß wie verschrien wird, wenn man eine Etage um einhundert Taler steigert, wo man sein Geld kaum mehr in Hypotheken anlegen kann, verspielst du zweihundert Taler im Pharao.

QUISENOW furchtsam. Warum spielt ihr nicht um Pfeffernüsse?

BERNHARD. Du kannst bei deinem großen Vermögen das Geld entbehren, liebe Tante.

AUGUSTE. Ich kann nichts entbehren – höchstens deine Gegenwart.[30]

BERNHARD. Wohlan denn, es ist genug! Sie wollen mir nicht helfen, Sie weisen den Sohn Ihres Bruders zurück, Sie brandmarken seine Ehre in den Augen der Welt und stoßen ihn hoffnungslos in den Abgrund der Verachtung – nun so mögen Sie auch alle folgen ertragen und verantworten.

AUGUSTE. Ah, noch Drohungen! Das ist also der Dank für die Wohltaten, die wir dir erwiesen haben?

BERNHARD. Ich werde sie nie vergessen – aber die Verzweiflung, Ihre Beleidigungen, Tante. – Kleine Pause, innerer Kampf, endlich flehend. Liebe – gute – Tante!

AUGUSTE etwas leiser, wie sich eines Besseren besinnend, nachsprechend. Liebe, gute Tante, nur diesmal noch, nicht wahr? Ich will morgen sehen –

BERNHARD streng entschieden. Nein, gleich Tante, heut noch muß ich es haben.

AUGUSTE. Ah, wieder dieser Ton! Und nun Weibisch eigensinnig. – nun gewiß nicht. Nein, nein, und ein für allemal nein!

QUISENOW für sich. Jetzt wär's famos, wenn ich mir was zu sagen getraute. Du lieber Himmel, warum bin ich Stadtverordneter!

BERNHARD. Leben Sie wohl, Tante, auf lange – vielleicht auf immer! Beiseite, mit innerm Kampf. Was soll ich tun? Wie kann ich mich retten? – Hm! hm! – Entsetzliches Mittel – aber nur so geht es. Es bleibt mir nichts anderes übrig!

QUISENOW. Weißt du, Bernhard, ich – ich begreife deine Lage –

AUGUSTE streng verweisend. Friedrich –

QUISENOW erschrocken. Ich – bin auch einmal jung gewesen.

BERNHARD mit Galgenhumor. Ich zweifle nicht –

QUISENOW. Aber wie gesagt – ich bin Stadtverordneter – ich bin verheiratet! Er legt die Hand auf den Mund.

BERNHARD. Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme. Er drückt ihm die Hand. Adieu, Onkel! Er bleibt einige Augenblicke im Hintergrunde und schlüpft durch die Seitentüre links ab.


Quelle:
O.F. Berg und D[avid] Kalisch: Berlin, wie es weint und lacht. Leipzig [o.J.], S. 28-31.
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