III

[27] Schon längst war es der sehnlichste Wunsch des Pfarrers gewesen, die nähern Familienverhältnisse des Grafen zu erfahren. Ohne bösartig zu sein, wurde er von einem inneren Verlangen getrieben, Alles zu erforschen, was irgend einen Menschen oder eine Familie betraf, die zu dem Kreise seiner Bekanntschaft, wenn auch in weitester Entfernung, gehörten; ja, Manche, die ihn näher kannten, behaupteten, seine große Dienstfertigkeit entspringe zum Theil daher, weil sie ihm Gelegenheit verschaffe, Manches zu erfahren, was ihm verborgen bleiben würde, wenn er sich nicht willig mit den Angelegenheiten vieler Menschen beschäftigte. So kam es, daß er der allgemeine Rathgeber der ganzen Gegend war, ihr Rechtsfreund, wenn die Prozesse nicht zu wichtig waren, der Arzt aller Bauern und Beamten, die weit lieber ihm ihre Gesundheit anvertrauten, als sich an einen wirklichen Arzt wendeten. Er häufte auf diese Weise Arbeit und Beschwerden aller Art auf sich, und fühlte sich vollkommen belohnt, wenn seine Klienten und Patienten alle Fragen, die er ihnen vorlegte, gewissenhaft, genau und treu beantwortteten, dagegen konnte er aber in unbescheiden üble Laune gerathen,[27] wenn es sich Jemand beikommen ließ, nur seine Arzneimittel oder seinen Rath benutzen zu wollen, ohne ihm weitere Auskunft über sich und Andere zu geben, so wie er eine mitleidige Verachtung gegen die Wenigen empfand, die in der That nichts zu sagen wußten, weil sie sich nicht um die Angelegenheiten Anderer bekümmerten; einem Solchen konnte er mit wahrer Bitterkeit sagen: Es ist unbegreiflich, wie man in der Welt mit den Menschen kann leben wollen, ohne sich um sie zu bekümmern. Bei solchen Eigenschaften war es natürlich, daß, ob er zwar sein Amt vorschriftsmäßig verwaltete, und man nicht sagen konnte, daß er etwas von seiner Pflicht versäumte, doch allen seinen Handlungen der geistliche Charakter, möchte ich sagen, fehlte, und man auf der Kanzel, wie vor dem Altar immer den Geschäftsmann sah, der nun grade dieß Geschäft abmachte, weil Zeit und Stunde es forderten. Er fühlte dieß selbst und zwang sich oft, Ernst und Salbung in seine Haltung und Mienen zu bringen, die, weil sie im vollkommenen Widerspruche mit seinem übrigen Thun und Treiben standen, ihm einen Anstrich von Heuchelei gaben, die seiner Seele fremd war.

Diesem Manne nun mußte es höchst peinlich sein, daß der Graf seit einigen Monaten auf dem Schlosse lebte, ohne daß er erfahren konnte, weßhalb. Denn ihm schien es unnatürlich, daß ein Mann wie der Graf, der beinah funfzig[28] Jahr alt war und seit zwanzig Jahren unumschränkter Besitzer eines großen Vermögens, der sich in der ganzen Zeit wenig um seine Güter bekümmert, sondern immer abwechselnd in den größten Städten Europas gelebt hatte, nun auf ein Mal, und zwar im Herbst, sich ohne Ursache auf eines seiner Schlösser zurückziehen sollte. Ebenso hatte er nur dunkle Nachrichten über die Art, wie die Verbindung zwischen dem Grafen und der Gräfin sich gebildet hatte, denn obgleich die Gräfin in Schlesien geboren war, so war sie doch im Auslande mit dem Grafen verheirathet worden, und er wußte nicht einmal recht, wo? Der Graf war der protestantischen Kirche zugethan, dagegen war die Gräfin katholisch, ja er hatte dunkel gehört, sie sei dazu bestimmt gewesen, sich dem Kloster zu weihen, und er hatte nie erfahren können, was ihren Entschluß konnte geändert haben.

Der einzige Bruder der Gräfin hatte große Besitzungen, die kaum zehn Meilen von dem jetzigen Wohnorte des Grafen entfernt waren, aber auch er war seit langer Zeit abwesend, und der Pfarrer wußte nicht einmal, wo er sich aufhielt. Der Graf und die Gräfin behandelten sich gegenseitig mit großer Achtung, aber mit einer gewissen Zurückhaltung, und es ließ sich nicht bestimmen, ob sie glücklich oder unglücklich mit einander lebten. Selbst der alte Dübois war ihm eine räthselhafte Person, und er konnte es nicht herausbringer,[29] weßhalb er von dem Grafen und der Gräfin mit so viel Schonung, Achtung und Aufmerksamkeit behandelt wurde.

Diese Fragen, die er sich selbst oft vorgelegt hatte, ohne sie befriedigend beantworten zu können, glaubte er, würden ihm nun wenigstens zum Theil aufgelöst werden. Denn da der Arzt mit dem Grafen gekommen war und, wie es schien, ihn schon eine Zeitlang auf seinen Reisen begleitet hatte, so glaubte er, daß dieser ihm über Vieles Aufschluß geben könnte.

Es war dem Pfarrer zu vergeben, daß er so falsche Hoffnungen auf den Arzt gründete, er hatte noch nicht Gelegenheit gehabt, ihn näher kennen zu lernen, nur bei Kranken hatte er ihn einigemal angetroffen, die die ganze Aufmerksamkeit des Arztes in Anspruch nahmen, und es war zwischen ihm und dem Pfarrer von nichts die Rede gewesen, als von dem Zustande dieser Kranken. Er hatte also nicht bemerken können, daß der Arzt zu den unschuldigen Egoisten gehörte, die nur sich selbst beachten und nur ihre Wissenschaft verehren, für die also die übrigen Menschen nur in so weit bedeutend sind, als sie diese Wissenschaft an ihnen ausüben können. Darum war ein gefährlich Kranker für ihn von höchster Wichtigkeit, der seine ganze Theilnahme in Anspruch nahm, dem er alle seine Zeit, alle seine Gedanken[30] widmen konnte, und für den er eine dankbare Liebe gewann, wenn er endlich, nachdem er sich pünklich allen Vorschriften unterworfen hatte, genas, und durch Leben und Gesundheit zeigte, daß die Wissenschaft über die Krankheit zu triumphiren vermag. Dagegen hatte er eine Art von Verachtung gegen Personen, die häufig leiden, ohne sich für eine bestimmte Krankheit zu entscheiden und sie nach den Regeln durchzumachen, deren reizbare Seele nachtheilig auf den Körper wirkt, und die dann, wenn der Körper dem Uebel erliegt, das ihm die Seele zufügt, zum Arzte ihre Zuflucht nehmen. Zu diesen Unglücklichen gehörte eigentlich die Gräfin, und es war dem Arzt jedesmal verdrießlich, wenn er zu ihr gerufen wurde. Gesunde konnten in der Regel nur in so fern darauf Anspruch machen, seine Theilnahme zu erregen, als er sie geeignet fand, mit ihnen über seine Wissenschaft oder über sein Leben zu reden. Denn so arm und eng sein Leben auch war, so höchst wichtig, bedeutend und lehrreich erschien es ihm; der kleinste Vorfall dünkte ihm eine wunderbare Begebenheit, die nicht verfehlen könnte, ein großes Interesse zu erregen; seine Meinungen und Ansichten kamen ihm entscheidend vor, und er hatte keine Ahnung davon, daß er von der Welt und dem Leben gar nichts wußte, denn er hielt sich sonderbarer Weise mit allen diesen Eigenheiten für einen Weltmann.[31]

Diese beiden nun saßen im Zimmer des Arztes, Jeder in einer Ecke des Sophas behaglich Taback rauchend, der Pfarrer mit dem bestimmten Plane, so viel als möglich vom Arzte zu erfahren, und dieser im Nachdenken versunken, wie sein Kranker auf's Beste zu behandeln sei.

Sind Sie schon lange mit dem Herren Grafen auf Reisen? unterbrach endlich der Pfarrer das Stillschweigen.

Auf Reisen? erwiederte der Arzt; ich bin gar nicht mit ihm auf Reisen gewesen, ich liebe solide Studien, das kann man auf Reisen nicht haben. Ich war eine Zeitlang in Wien in des Grafen Hause und bin dann mit ihm hieher gereist, wo ich mich gänzlich nieder zu lassen denke. Ja, ja! rief er lächelnd, ich will mich hier ansiedeln, Sie hätten wohl nicht gedacht, daß ich hier meine Hütte bauen will.

Die Gegend ist äußerst angenehm, sagte der Pfarrer, das würden Sie im Frühlinge finden, jetzt kann es Ihnen freilich wenig hier gefallen.

Ei, sagen Sie das nicht, rief der Arzt, ich bin sehr angenehm beschäftigt gewesen, so lange ich hier bin, ich habe drei so merkwürdige Kranke, daß mich die Aerzte in Wien darum beneiden würden. Der eine, wissen Sie, ist der alte Schmidt, bei dem ich Sie einmal antraf, wie heißt er doch gleich? ich fand ihn in dem erbärmlichsten Zustande von der Welt, als ich hier ankam, jetzt fängt er an sich zu erholen,[32] daß es eine Freude ist ihn anzusehn; bring' ich den Menschen den Winter durch, so sollen Sie sehen, er wird voll kommen hergestellt. Der Leinweber, das ist wahr, der ging mir drauf, aber es war auch nichts an dem Menschen, er hörte nicht, er folgte nicht, er wollte nach seinem Kopfe leben, und er hat gesehn, was dabei heraus kömmt.

Der Pfarrer wollte nichts hören von Leuten, die er in allen ihren Verhältnissen genau kannte, und suchte deßwegen das Gespräch auf andere Gegenstände zu lenken. Ich meine, sagte er, die Natur kann jetzt keinen Reiz für Sie haben, die im Frühling und Sommer hier unglaublich schön ist.

Freilich, freilich, erwiederte der Arzt, die Natur schlummert jetzt, aber die Studien, Herr Pfarrer, die Studien müssen uns schadlos halten, der Graf hat auf meinen Vorschlag alle neueren medicinischen Schriften kommen lassen, die älteren besitze ich längst selbst, dabei wird mir der Winter verfliegen, daß ich es beklagen werde, wenn er vorbei ist.

Sie leben wenig in der Welt, wie es scheint, bemerkte der Pfarrer. In der Welt, antwortete der Arzt, wie sollte ich nicht? Ich lebe immerfort in der Welt, von einem Kranken geht es zum andern, von Hohen zu Niedern, von Niedern zu Hohen, dadurch gewinnt man Menschenkenntniß, Herr Pfarrer, vor dem Arzte versteckt man sich nicht, der Arzt ist wie der Beichtvater, er durchschaut die innerste Seele.[33]

Sie haben Recht, sagte der Pfarrer, und manche Uebel könnten wohl nur der Arzt und der Beichtvater gemeinschaftlich heilen.

Solche Uebel sind mir zuwider, sagte der Arzt, eine reine, vernünftige Krankheit, da weiß man, was man thun soll, und wenn in solchem Falle der Körper auf die Seele wirkt, der Kranke schwermüthig, trübsinnig wird, so weiß man, wie man ihn erheitern, zerstreuen soll; man liest ihm vor, man erzählt ihm, und ist es so weit, daß es angeht, so führt man ihn spazieren. Aber wo die Seele auf den Körper wirkt, mit solchen Kranken ist gar nichts anzufangen.

Sollte nicht die Frau Gräfin eine solche Kranke sein? fragte der Pfarrer mit schlauer Miene.

Ei, ei! rief der Arzt erstaunt, ja beinah erschreckt, wer hat Ihnen das verrathen? Meine Lippen sind versiegelt, ich bin stumm wie das Grab; schändlich der Arzt, der eines Mißbrauches dessen fähig ist, was er an seinen Kranken bemerkt.

Ich glaubte, sagte der Pfarrer, man kann es der Gräfin auf den ersten Blick ansehen, daß sie nicht glücklich ist.

Wie so? fragte der Arzt bestürzt; woran wollen Sie das bemerkt haben?

Sie hat etwas Schwermüthiges in den Augen, erwiederte der Pfarrer, ihre Stirn ist nicht heiter, die Blässe der[34] Gesichtsfarbe scheint die Folge von Gram und Kummer zu sein, sie thut sich selbst Gewalt an, um an der Unterhaltung Antheil zu nehmen; das Alles weist hin auf einen entweder durch eigene, oder durch fremde Schuld gestörten Seelenfrieden.

Der Arzt schwieg einen Augenblick und sagte dann: Ich glaube, die Gräfin ist ungern hier, sie scheint das Landleben zu hassen, sie ist mehr für die große Welt. In der ersten Woche, die wir hier zubrachten, verließ sie beinah ihr Zimmer nicht, und ich sah sie gar nicht. Endlich führte mich der Graf eines Abends zu ihr, und ich fand sie so angegriffen, so verwandelt, daß ich mich recht entsezte. Es war mir leicht einzusehen, daß Gemüthsbewegungen das Alles hervorgebracht hatten; ich sagte es ihr klar und deutlich, daß sie selbst das Beste dafür thun müßte, um sich herzustellen, daß meine Mittel allein nicht wirken könnten. Sie verstand mich nicht und wollte mich nur los sein, um wieder den ganzen Abend zu weinen, wie das solche Kranke an sich haben; aber ich sagte ihr gerade heraus, daß sie Gesellschaft brauche und sich zerstreuen müsse; ich bot ihr an, eine Parthie Schach mit mir zu spielen, dazu hatte sie mich sonst zuweilen aufgefordert; ich meinte es aufs Beste, aber nichts war mit ihr anzufangen, der Graf mischte sich hinein und wollte behaupten, Einsamkeit würde heute am Wohlthätigsten auf sie wirken. Ich bewies ihm deutlich, daß er sich irrte, und gab[35] ihm zu verstehen, daß er von der Medicin nichts wüßte, und können Sie denken, ein so gescheiter Mann, als der Graf, wurde empfindlich und sagte mir ganz trocken: meine Einsicht möge die bessere sein oder nicht, man müsse auf jeden Fall dem Wunsche der Gräfin nachkommen.

Mein Amtseifer verleitete mich zu sagen: Wenn es also der Wunsch der Frau Gräfin ist, ihre Gesundheit völlig zu Grunde zu richten, so muß ich als Arzt ihr darin beistehen? Ich sah wohl, daß der Graf böse wurde, aber ich war so aufgebracht in dem Augenblick, daß ich Alles aufs Spiel setzte und mich um die Folgen nicht bekümmerte, wenn sie auch die entsetzlichsten gewesen wären. Die Gräfin sagte einige Worte englisch zum Grafen, sie weiß, das verstehe ich nicht, und auf einmal war der Graf ganz ruhig. Sie bat mich nun, den andern Morgen zu ihr zu kommen, und versprach mir, dann eine ernstliche Kur anzufangen und Alles, was ich verordnen würde, gewissenhaft zu brauchen. Was blieb mir übrig, ich mußte gehen, aber ich fühlte damals, lieber Herr Pfarrer, die Wahrheit der Behauptung: daß es keine Rosen ohne Dornen gibt; ich fühlte mich in einer, einem Manne nicht geziemenden Abhängigkeit vom Grafen und bedurfte aller meiner Philosophie, um mich über mein Schicksal zu trösten.

Es scheint also, bemerkte der Pfarrer, daß die Gräfin[36] sehr auf den Grafen einwirkt, daß seine Ansichten sich nach den ihrigen richten, mit einem Wort, daß sie eine gewisse Herrschaft über ihn ausübt.

Ja, ja! rief der Arzt, das mag wohl sein, da zünden Sie mir ein großes Licht an, Herr Pfarrer, wodurch ich auf einmal die richtige Ansicht bekomme. Es ist doch sonderbar, daß ich immer in meinen wichtigsten Lebensverhältnissen mit Frauen zusammentreffe, die ihre Männer beherrschen.

Ist Ihnen das schon öfter begegnet? fragte der Pfarrer lächelnd.

Auf eine höchst merkwürdige Weise ist es mir begegnet, entgegnete der Arzt, im wichtigsten Augenblick meines Lebens ist es mir begegnet. Ich wäre beinah Ihr Amtsbruder geworden, müssen Sie wissen, ich studirte Theologie, meine Angehörigen wünschten es, man verschaffte mir ein Stipendium, und der erste Professor der Theologie auf der Universität, die ich bezog, war mein Oheim. Ich verschweige den Namen der Universität, ich will Niemanden schaden: Sie sehen, ich hatte brillante Aussichten. Aber ich darf wohl sagen, von der Wiege an verfolgte mich das Unglück, vernichtete meine schönsten Träume und stählte mich eben dadurch zum Philosophen.

Was begegnete Ihnen denn so Seltsames? fragte der Pfarrer mit gespannter Neugierde.[37]

Denken Sie, antwortete der Arzt, ich komme an und finde meinen Oheim, den Professor, verheirathet.

Nun, sagte der Pfarrer lächelnd, das ist weder seltsam, noch merkwürdig, beinah alle Professoren sind verheirathet.

Ja, aber wie war er verheirathet, versetzte der Arzt, darauf kommt es an. Entwürdigt hatte er sich, erniedrigt bis zur Verbindung mit seiner Haushälterin, einer rohen Person, die von Bauern abstammte, keine Kenntnisse hatte, als was Kochen und Waschen anbetraf, eine Gesellschafterin, die eines Gelehrten völlig unwürdig war. Ich überwand mich, diese rohe Bäuerin Frau Base zu nennen, weil ich niemals gegen die Pflichten der feinen Lebenart verstoße; ich ließ mir aber die Ueberwindung deutlich merken, die es mich kostete, um meiner eignen Würde nichts zu vergeben, und die rachsüchtige Furie verfolgte mich von dem Augenblick an. Ich bemerkte es bald, daß sie meinen Oheim ganz beherrschte und zu meinem Nachtheil auf ihn wirkte; seine Güte für mich hörte auf, und das Leben in seinem Hause wurde mir sehr verbittert. Dadurch wuchs die Abneigung gegen die Theologie, die ich immer empfunden hatte; meine Neigung zur Medicin wurde größer, als je; außerdem erlaubte mir meine schwache Brust nicht zu predigen, und so entschloß ich mich zu handeln wie ein Mann. Ich schrieb meinem Oheim einen Brief, worin ich ihm alle Gründe auseinandersetzte, die[38] meinen Entschluß bestimmten, und nahm von der Theologie Abschied. Ich meldete ihm zugleich, ich wünschte ihn den Abend auf seinem Studirzimmer zu sprechen, um mich mit ihm über meine Laufbahn zu berathen. Ich stellte mich ein zu der Stunde, die ich ihm bestimmt hatte, aber denken Sie sich mein Erstaunen, er war abwesend, und auf seinem Studirzimmer traf ich statt seiner die Megäre, sein Weib. Er hatte die Schwachheit gehabt, ihr mein Schreiben mitzutheilen, und sie stürmte mir mit einem Strom von Scheltworten entgegen, nannte mich unsinnig, daß ich mein Studium aufgeben wollte, fragte mich, wovon ich leben wollte, ob ich ihr zur Last zu fallen gedächte, und was der Gemeinheit mehr war. Ich, empört, daß eine so unwürdige Person sich ein Urtheil über Männer anmaßen wollte, deren Handlungen sie gar nicht fähig war, zu begreifen, sagte, indem ich meine Stimme bedeutend erhob, mit einem Ausdruck von Würde, der sie stutzig machte: Frau Professorin und Frau Base, merken Sie den Spruch und wenden sie ihn auf sich an, denn es ist darin nicht bloß die Kirche gemeint, sondern alles Würdige und Edle, was für Männer und nicht für Weiber gehört, Mulier taceat in ecclesia, dieses verordnete schon der Apostel Paulus.

Nun, sagte der Pfarrer, da ihre Base vermuthlich nicht lateinisch verstand, so ging diese Bitterkeit unschädlich vorüber.[39]

Ich übersezte ihr, was ich gesagt hatte, rief der Arzt, aber nun war es auch hohe Zeit, der Furie zu entrinnen, ich verließ das Zimmer meines Oheims sogleich, und sein Haus vor Anbruch des Tages. Ich schrieb ihm aus Jena, wohin ich nun eilte, um mit ganzer Seele Medicin zu studiren, ich erhielt aber nur eine kurze, trockne Antwort, worin er mir meldete, daß er seine Hand gänzlich von mir abziehe, da ich mich erdreistet habe, seine Gattin mit solcher Frechheit zu beleidigen. Was war zu thun, ich mußte mich fügen, und ich kann sagen, daß ich mit geringen Mitteln die Arzneiwissenschaft wie ein Held erobert habe.

Jedoch, wie kamen Sie mit dem Grafen in Verbindung? fragte der Pfarrer, der gern wieder das Gespräch auf diesen Gegenstand leiten wollte, der ihm wichtiger war, als die Lebensgeschichte des Arztes, ob er gleich auch diese nicht ohne Theilnahme anhörte, denn es war ihm ein Bedürfniß geworden, aller Menschen Verhältnisse genau zu kennen, mit denen er irgend in Berührung kam.

Ich hatte es möglich gemacht, sagte der Arzt mit selbstgefälligem Lächeln, indem ich meine eignen Studien trieb, noch so viel durch Unterricht, den ich Andern gab, zu gewinnen, daß ich nicht nur lebte, sondern auch noch ein Sümmchen ersparte, womit ich mich auf den Weg nach Wien machte, um die großen Geister der dasigen Region kennen zu lernen.[40] Es ging auch dort mühsehlig, aber es ging doch; ich erreichte meinen Zweck und studirte mit Eifer. Der Graf hielt sich zu der Zeit in Wien auf, er suchte einen geschickten jungen Arzt, der ihn auf seine Güter begleiten sollte, man empfahl mich, und ich erndtete nun die Früchte meines Fleißes; ich kann bei einem bedeutenden Gehalte nun ein völlig sorgenfreies Leben führen und ungehindert mich meinem Lieblingsfach widmen.

Der Pfarrer versuchte es einigemal, das Gespräch wieder auf den Grafen zu lenken; indeß die Phantasie des Arztes war zu sehr durch seine eigne wunderbare Lebensgeschichte angeregt und alle Fragen, die der Pfarrer an ihn richtete, er mochte sie wenden, wie er wollte, führten den Arzt immer wieder auf einen Vorfall seiner Jugend oder Kindheit, so daß nichts mehr aus ihm herzubringen war, und der Pfarrer, verdrießlich über die geringe Ausbeute, die er gemacht hatte, sich endlich entschloß, zu Bette zu gehen. Er verabredete noch vorher mit dem Arzte, daß sie um fünf Uhr am andern Morgen aufstehen und den alten Dübois von seiner Krankenwache ablösen wollten.

Nach dieser Verabredung begaben sich beide zur Ruhe, und überließen sich den Träumen, die ihrem Lager nahen wollten.[41]

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 1, Breslau 1836, S. 27-42.
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