XV

[272] Während die Gesellschaft im Saale versammelt war, war Dübois noch für das Fest des folgenden Tages beschäftigt, und die Anordnungen, welche er machte, führten[272] ihn durch alle Gänge des Hauses. So ging er auch an dem Zimmer vorüber, in welchem die Bedienten versammelt waren, und hörte, wie ihm ein verwirrtes Getöse von Lachen, Weinen, Schelten und Fluchen daraus entgegen tönte. Entrüstet öffnete der alte Haushofmeister die Thüre, um sich nach der Ursache des unziemlichen Lärmens zu erkundigen. Die dort Versammelten bemerkten ihn nicht sogleich, und er sah, wie der Knabe des jungen Grafen mit funkelnden Augen und erhitzten Wangen hinter einem Tische stand und sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte; den rechten Arm hatte er erhoben und in der Hand hielt er drohend ein blinkendes Messer. Schurken! rief er mit von Wuth entstellter Stimme, wagt es, und der erste, der mir naht, dem stoße ich dieß Messer in die Brust. Entsetzt sprang Dübois vor und rief: Um Gottes Willen, was geht hier vor? Soll ich Mord hier im Hause erleben? Die Bedienten wichen zurück, und der Lärm verstummte, auch der Knabe hatte den Arm sinken lassen, ob gleich die Hand noch das Messer hielt. Junger Mensch, fuhr Dübois fort, sich zu diesem wendend, was konnte Dich zu solcher Wildheit reizen, daß Du in Deiner zarten Jugend ein Mörder zu werden drohst? Herr, erwiderte der Knabe mit zitternder Stimme, indem seine Wuth sich in Wehmuth auflöste und die hellen Thränen über seine Wangen flossen, Sie wissen nicht, wie mich diese[273] Menschen reizten. Ich gehöre nicht zu ihnen, drum hielt ich mich abgesondert. Nun fingen sie an mich zu necken, meine Dürftigkeit zu verlachen und über meine Kleidung ihren Spott zu treiben; da verlor ich die Geduld und sagte ihnen, was meine ernstliche Meinung ist, daß ich lieber sterben wollte, als eine Livree tragen, wie sie, wenn sie auch noch mehr Gold an sich hätten; drauf wurden sie wüthend und wollten mich schlagen, und so kam es, daß ich, um mich zu vertheidigen, – hier stockte der Knabe, seine Hand ließ das Messer fahren, und er blickte mit Beschämung vor sich nieder.

Und wenn Du nun so unglücklich gewesen wärest, in diesem thörichten Streite einen jener unnützen Schufte zu tödten, fragte der alte Mann, und seine blutende Leiche läge jetzt vor Dir, würdest Du dann nicht verzweifeln. Ich habe Unrecht, sagte der Knabe, aber sollte ich mich denn schlagen lassen? Der Haushofmeister wußte keine Antwort zu geben, denn sein eigenes Ehrgefühl sagte ihm, daß der Knabe schwer gekränkt worden sei, und doch wollte er keine gewaltsame Handlung entschuldigen. Er wendete sich deßhalb zu den Bedienten und sagte: Euer Betragen werde ich dem Herrn Grafen melden, und ich bin überzeugt, daß Ihr eher alle aus seinem Dienste gejagt werdet, ehe er es duldet, daß ein Gast seines Hauses, ein Verwandter in seinem Diener beleidigt[274] wird. Du, mein Sohn, sagte er zu dem Knaben, komm von diesen Menschen hinweg, Du sollst in meinem Zimmer bleiben, bis Dein Herr Deiner bedarf. Er nahm nach diesen Worten die Hand des Knaben und führte ihn aus dem Bedientenzimmer hinweg.

Das fehlte noch, sagte einer der Zurückbleibenden, daß wir um des Bettelprinzen Willen unsere Stellen verlören; aber Du, Johann, hast den Lärmen angefangen, bekommt es uns schlecht, so gehn wir über Dich her. Der Beschuldigte wollte sich vertheidigen, es wurde Partie für und wider ihn genommen, und es war nah daran, daß der Streit ernsthaft erneuert wurde, wenn nicht ein Jäger, der Vernünftigste der Gesellschaft, dringend zum Frieden ermahnt hätte. Seinem Rathe beschloß man auch einmüthig zu folgen, und man wollte Dübois, ehe er am andern Morgen den Grafen sprechen könnte, vermögen, die Sache zu verschweigen, und sich mit dem Knaben zu versöhnen suchen, damit auch dieser nicht bei seinem Herrn sich beklage.

Dübois hatte den Knaben auf sein Zimmer geführt und fragte ihn hier: Hast Du schon zu Abend gegessen, mein Kind? Nein, sagte der Knabe, da ich mich nicht unter die Bedienten mischen wollte, so hat mir auch Niemand etwas angeboten. Der Haushofmeister brachte nun selbst einige kalte Gerichte und stellte auch eine kleine Flasche Wein[275] vor seinen neuen Gast. Der Knabe fing unter stillen Thränen an zu essen und trank auch ein wenig von dem ihm angebotenen Weine. Als er seine Mahlzeit beendigt hatte, sagte Dübois: Und nun, mein Sohn, erzähle mir doch, weßhalb Du nicht zu den Bedienten zu gehören glaubst. Sie sind ein so guter Herr, sagte der Knabe zutraulich, recht wie einem Vater könnte ich Ihnen vertrauen, mit Ihnen kann ich gern über alles Unglück sprechen, das ich schon erlebt habe, so jung ich auch noch bin. Mein Vater war ein gelehrter Mann, aber weil er in seiner Jugend nicht Geld genug hatte, so konnte er auch nicht auf eine Universität gehen und studieren, wie es sein Wunsch war, also konnte er auch nicht Prediger werden und nahm eine Kantorstelle an, wobei er sich auch recht gut stand. Es war ein schönes, großes Dorf und hieß Schönau, wo wir wohnten, ein anderes Dorf gehörte auch zu unserer Kirche, und mein Vater hatte eine reiche Einnahme. Die Bauern ehrten ihn als einen Mann, der beinah gelehrter war als der Prediger selber; unser Herr Pfarrer liebte meinen Vater, und Beide waren recht große Freunde; selbst, wenn der gnädige Herr auf dem Schlosse war, so lud er niemals den Prediger zu Tische, ohne auch meinen Vater zu bitten; so ging Alles recht schön und gut; mein Vater unterrichtete mich sorgfältig und sagte oft zu mir: Du, Gustav, mußt Alles nachholen,[276] was ich aus Armuth habe versäumen müssen, denn Gottlob! ich habe so viel, daß ich Dich auf eine Universität werde schicken können.

So war ich etwa zehn Jahre alt geworden, da starb meine gute Mutter, die schon lange kränklich gewesen war. Sie können wohl denken, daß ich sie herzlich und lange beweinte; auch mein Vater trauerte tief über ihren Verlust, und wir wären vielleicht noch länger in unserm Kummer versunken geblieben, wenn nicht der Prediger so viel gethan hätte, uns zu trösten. Nachdem ein Jahr vergangen war, heirathete mein Vater eine Verwandte des Predigers, und ich war am Hochzeitstage recht betrübt; denn manche alte Bäuerinnen hatten mir gesagt: Nun, Musje Gustav, nun werden Seine guten Tage vorbei sein, nun kommt eine Stiefmutter ins Haus, nun wird Alles anders gehen. Aber es war nicht so; meine Stiefmutter war so gut, ach! so gut, wie es nur immer eine wahre Mutter sein kann. Es wurde freilich Manches anders bei uns im Hause, aber viel besser. Meine verstorbene Mutter hatte bei ihrer Kränklichkeit nicht mehr recht für Alles sorgen können; nach ihrem Tode hatte mein Vater sich aus Betrübniß um das Hauswesen gar nicht bekümmert, und so lebte nun Alles wieder bei uns auf; wir hatten feinere Wäsche, bessere Kleider, unser Haus wurde aufgepuzt, im Garten prangten die schönsten[277] Blumen; und wenn der Herr Pfarrer bei uns speiste, so bewirtheten wir ihn eben so anständig, wie er uns. Seine Söhne waren meine Freunde und Spielkameraden; mein Vater war mit meinem Fleiß zufrieden, und ich war recht glücklich bei meinen Eltern.

So ging es fort, bis mir ein Schwesterchen geboren wurde. Nun sagten die bösen Weiber wieder, nun wird es aus sein, nun hat die Stiefmutter selber ein Kind, nun wird sie sich um den Stiefsohn nicht kümmern; aber es war nicht wahr. Ich liebte mein Schwesterchen herzlich; ach! lieber Herr, es war ein Kind wie ein Engelchen, es war eine Belohnung für mich, wenn es die Mutter in meine Arme gab, und hätten Sie nur dieß Kind gekannt, fuhr der Knabe mit Thränen fort, hätten Sie nur gesehen, wie freundlich die dunkelblauen Augen sein konnten, wie lieblich der rothe Mund im Lächeln die weißen Zähnchen zeigte! Jeder Mensch mußte dieß Kind lieben, und doch sprach meine Mutter immer so, als ob es eine besondere Tugend von mir wäre, daß ich mein Schwesterchen so liebte, und die gute Mutter wurde aus Dankbarkeit dafür noch zärtlicher gegen mich.

Sehn Sie, so gut, so glücklich war Alles, und so blieb es, bis ich beinah funfzehn Jahre alt war; nun sagte mein Vater: Gustav, nun mußt Du nach Königsberg auf die gelehrte Schule, und bist Du da recht fleißig gewesen und hast[278] alles Erforderliche gelernt, dann kannst Du dort gleich die Universität beziehen, und wenn Du brav und fleißig bleibst, so kann ich noch Freude und Ehre in meinem Alter durch Dich erleben.

Sie können wohl denken, daß ich mit Thränen von meinen Eltern schied, aber doch freute ich mich auch weiter zu kommen mit meinen Studien, als es auf dem Lande ging. Mein Vater begleitete mich selbst nach Königsberg, und ich sah es wohl, daß er mich recht mit Stolz betrachtete, als man mich nach dem Examen gleich nach Sekunda setzte. So trennten wir uns, und ich blieb nun einsam in Königsberg zurück und dachte mit Eifer zu studiren. Aber ach! das Glück war bald zu Ende; mein Vater meldete mir nach wenigen Monaten, mein liebes Schwesterchen sei an dem Scharlachfieber gestorben und auch die Mutter davon befallen worden. Der Krieg war ausgebrochen, und mein Vater sagte, daß er uns ganz trennen könnte. Er befahl mir daher, die Reise nach Schönau mit einem Fuhrmanne anzutreten, den er mir bezeichnete und von welchem er erfahren hatte, daß er eine Reise unternehmen würde, die ihn nahe bei unserem Dorfe vorbeiführte. Ich gehorchte meinem Vater und war sehr bald wieder in unserm Dorfe, aber wie ganz anders war hier Alles geworden. Die Franzosen waren schon dort gewesen, und hatten Alles geplündert und zerstört, das Dorf[279] war zum großen Theile abgebrannt, und die Bauern hatten die Häuser verlassen, die noch standen. Meine Mutter fand ich sehr krank, der Vater war ganz tiefsinnig geworden. Nun kamen die Preußen, und verlangten Lebensmittel und Pferde, gleich darauf wurden sie von den Franzosen vertrieben; die feindlichen Kugeln zündeten das Dorf von Neuem an, und der Schrecken, als die Flammen wieder leuchteten, lähmte meine kranke Mutter; nun stürmten die Feinde in unser Haus und drohten, mich und den Vater umzubringen, aber der Anblick der sterbenden Frau machte, daß sie still wieder abzogen. In derselben Nacht starb meine zweite Mutter, und mein Vater war so betäubt, daß er nicht weinte und auch kein Wort sprach. Wir saßen beide bei der Leiche, indeß das Feuer draußen wüthete. Unser Haus stand etwas abseits und wurde deßhalb von den Flammen verschont; Niemand war von den Dorfbewohnern dageblieben, auch der Prediger war mit seiner Familie entflohen; so waren wir ganz verlassen. Mein Vater suchte endlich im Hause umher, und fand etwas Abendmahls-Wein und ein kleines Brod. Iß das, sagte er zu mir, ich will sehen, ob nicht irgend ein Mensch sich findet, der uns hilft die arme Frau begraben. Er ging hinaus. Ich konnte nichts essen und legte das Brod neben mich hin; da hörte ich auf ein Mal Flintenschüsse; meine Augen richteten sich nach dem Fenster, Feinde sprengten vorbei,[280] gleich darauf wurde unsere Thüre aufgestoßen, und Preußische Soldaten brachten meinen Vater mit Blut bedeckt herein; eine Kugel hatte ihn durchbohrt, und er lebte nur noch, um die Hand auf meine Stirn zu legen und mich ohne Worte zu segnen. Die Soldaten legten seine Leiche neben die meiner Mutter, und ich warf mich nieder und küßte die blutige, kalte Hand meines Vaters. Da trat ein junger Offizier herein, und der klägliche Anblick entlockte ihm Thränen; er kam zu mir, richtete mich auf und suchte mir Trost einzusprechen. Er zwang mich das Zimmer zu verlassen, und einige Weiber, die immer bei den Soldaten sind, mußten für die Leichen sorgen. Mit Güte fragte er mir alle meine Verhältnisse ab und sagte dann: Armes Kind, Du hast in solcher Jugend schon ein schreckliches Unglück erfahren, und bist nun ganz hülflos und verlassen. Diese Worte machten von Neuem meine Thränen fließen, und ich glaubte, das Herz würde mir vor Schmerz brechen. Der gute Herr suchte mich zu trösten und sagte dann: Wenn Du Niemanden hast, dem Du angehörst, so bleib bei mir, und ich will für Dich sorgen, so gut ich kann. Ich fühlte seine Güte, ich küßte seine Hände und sagte ihm, daß ich seine Wohlthat erkenne, aber daß ich um meine lieben Eltern immer weinen müßte. Er tadelte mich nicht und sorgte nun dafür, daß die armen Eltern begraben wurden, so anständig, als es gehen wollte; er[281] ließ auch ein Kreuz auf ihr Grab setzen. Und ich erfuhr nun auch, daß mein Wohlthäter ein Graf sei und Hohenthal hieße. Er blieb einige Tage noch im Hause, und ich war immer um ihn; er hatte mich nun ganz kennen gelernt und sagte: Deine Eltern haben Dir eine gute Erziehung gegeben, so bald es nur angeht, sollst Du wieder auf die gelehrte Schule und auf die Universität, und ich will sehen, ob ich mir nicht einen Freund in Dir erziehen kann. Diese Worte rührten mich tief, und ich gelobte mir, seine Liebe zu verdienen. Endlich kam ein Befehl, mein Herr mußte mit seinen Truppen weiter rücken. Ich muß Dich mit mir nehmen, sagte er zu mir, obgleich Krieg und Schlachten nicht für Deine Jahre taugen, aber ich weiß Dich nirgends unterzubringen, und so könnte der Krieg uns leicht für immer trennen. Ich folgte also dem gütigen Herrn und erlebte an seiner Seite die fürchterliche Schlacht bei Eylau. Den zweiten Tag dieser gräßlichen Schlacht wirft sich ein Trupp Franzosen auf die Bagage, bei der ich und mehrere Knaben waren, viele wurden niedergemetzelt, andere entkamen, und so auch ich. Nebst der Furcht für mein Leben quälte mich auch noch der Kummer, daß ich von meinem Herrn nichts wußte, auch die Sorge, daß er nun Alles verloren habe, und dann erfaßte mich die Angst, ob er nicht vielleicht geblieben sei und ich ihn so auf immer verloren habe. Diese mannichfachen Gefühle quälten[282] mich auf meiner Flucht, die ich immer weiter fortsetzte, bis ich durch ein niedergebranntes Dorf eilte, einem einsam stehenden Hause zu. Ich riß hastig die Thüre auf und stand bald in einem großen, leeren Zimmer, das ich sogleich für die ehemalige Wohnung meiner Eltern erkannte. Das Bett stand noch darin, auf dem beide Leichen gelegen hatten; der Anblick rief meine Thränen hervor, und ich stand schluchzend und Hände ringend vor dem leeren Bette, da wurde es auf einmal laut und lebendig, Degen und Sporen klirrten, die Thüre wurde geöffnet, und herein getragen wurde mein lieber Herr, ganz wie mein Vater bleich und mit Blut bedeckt. Ich schrie auf in der wildesten Verzweiflung. Schweig, dummer Junge, rief mir ein Arzt entgegen, er ist nicht todt. Ach! welch ein Trost war dieß Wort für mich, hätte der gute Mann auch noch weit ärger geschimpft, wie er nachher noch oft that, wenn ich etwas ihm nicht recht zu machen verstand, ich wäre doch niemals auf ihn böse geworden.

Sie legten meinen lieben Herrn auf dasselbe Bett, auf dem mein armer Vater gelegen hatte. Seine Wunden wurden untersucht und die Kugel herausgezogen, der Arzt gab die beste Hoffnung, und die Offiziere, die ihn hieher gebracht hatten, mußten nun zu ihren Truppen zurück. Der Arzt blieb, und die Offiziere versprachen, ihn nach einigen Tagen abzuholen. Als wir allein waren, verlangte der Arzt, ich[283] sollte ihm Lebensmittel verschaffen. Ich durchsuchte das ganze Haus und fand in einem kleinen oberen Zimmer einige alte Frauen, die nach dem Dorfe zurück gekommen waren und sich in dem einzigen Hause, welches noch stand, eingerichtet hatten; diese nun mußten Hülfe schaffen, und sie thaten es für Geld auch gern, und so wurde der Arzt befriedigt.

Die Offiziere hatten mir, als man meinen Herren entkleidete, das Geld gegeben, welches er bei sich trug, und auch seine Uhr; ich erfuhr auch von ihnen, daß sie ihn gerettet hatten, als er in ihrer Nähe, von einer Kugel getroffen, gefallen war.

Schon des andern Tages kamen die Offiziere zurück und brachten uns alle, auch meinen kranken Herrn, nach einem Orte, wo ein Lazareth eingerichtet war, und hier dauerte es lange, ehe mein armer Herr nur sprechen konnte. Endlich erlaubte es ihm der Arzt, und seine ersten Worte richtete er an mich. Gustav, sagte er, ich habe es wohl gesehen und gefühlt, mit welcher Liebe Du mich pflegst, Du leistest mir alle Dienste, auch die, die sonst nur einem Bedienten zukommen; aber, lieber Junge, die Dienste, die man dem Freunde leistet, erniedrigen nicht, und vielleicht kann ich es Dir noch einmal vergelten. Nach einigen Tagen fragte mein Herr: Lieber Gustav, wie viel Geld haben wir noch? Ich zählte die Summe und sagte sie ihm. Das[284] ist wenig, erwiederte er seufzend, und wir müssen vielleicht noch lange damit auskommen; rufe mir Jemanden, dem wir die Uhr verkaufen können, und dann hüte Dich etwas Ueberflüssiges auszugeben. Ein Jude fand sich bald, der die Uhr kaufte, und nun theilten wir das Geld sehr sparsam ein. Es war aber doch natürlich, daß ich meinen kranken Herrn nichts wollte entbehren lassen und lieber Manches selbst entbehrte, und nun machen sich die Schufte hier über meinen Herrn lustig, weil er mir keine bessern Kleider giebt. Laß diese elenden Menschen, mein gutes Kind, sagte Dübois mit weicher Stimme, und endige Deine Erzählung.

Nun fuhr der Knabe fort: Endlich war mein Herr so weit gekommen, daß wir reisen konnten. Der Waffenstillstand wurde auch bekannt, und wir machten uns nun, ich kann wohl sagen, recht arm auf den Weg, um zu seinen Eltern zu gelangen. Mein Herr war so gut, daß er sich ernstlich entschuldigte, wenn ich ihn bediente. Dich hat ein Gott recht zu meinem Beistande gegeben, sagte er ein Mal, wie wollte ich ohne Dich bestehen, da ich noch nicht gesund bin. So erreichten wir endlich seines Vaters Schloß; aber Sie werden es nicht übel deuten, lieber Herr, wenn ich es aufrichtig sage, daß der alte Graf mir nicht gefiel; auch sah ich wohl, daß mein gütiger Herr niedergeschlagener wurde, als er es im Felde und in Krankheit und Armuth war.[285] Hier wurde auch eine andere Einrichtung getroffen, und er litt es durchaus nicht mehr, daß ich ihn bediente; er nannte mich hundert Mal des Tages seinen jungen Freund oder seinen Pflegesohn, und ich hörte es wohl, wie sein Vater ihm oft Vorwürfe machte, daß er sich durch mich eine unnütze Last auf den Hals geladen habe. So aß ich dort mein Brodt mit Thränen, aber es wurde noch schlimmer; ein alter widriger Mann mit triefenden Augen kam dorthin, der trug dem alten Grafen Vieles vor und auch meinem jungen Herrn; was es war, kann ich nicht sagen; aber mein Herr wurde oft sehr aufgebracht, und ich hörte mehrere Male, wie er dem alten Grafen zuschwor, er würde solch Unrecht nicht dulden; dann suchte ihn der alte Graf selbst wieder zu besänftigen und bat ihn, nicht durch Hitze Alles zu verderben und zur Klugheit seine Zuflucht zu nehmen. Endlich kam die Nachricht, daß mein Herr verabschiedet sei; das brachte ihn vollends zur Verzweiflung. Gustav, sagte er eines Abends zu mir, ich muß eine kleine Reise unternehmen, und ich will auf dieser Fahrt keinen von meines Vaters Leuten mit mir nehmen, denn ich habe bemerkt, daß sie ihrer Zunge zu viel Freiheit gestatten und über ihre Herrschaft zu viel schwatzen. Ich konnte dieß nicht läugnen. Hast Du so viel Liebe für mich, fuhr mein guter Herr fort, daß Du mir auf dieser Reise die Dienste leisten willst, die mir Erziehung[286] und Gewöhnung unentbehrlich gemacht haben, und kannst Du auch wohl ein Paar Pferde regieren? Ich versicherte ihm, daß ich Alles leisten wollte, und so machten wir uns auf den Weg. Mein Herr sorgte für mich besser, als für sich selbst, und ich hoffte, die Reise würde ihn erheitern. Ich bemerkte es wohl, daß er immer unruhiger wurde. Endlich, heute Morgen, hielten wir vor einem hübschen Hause an; ich sah es wohl, wie der Graf zitterte, als er abstieg; seine Augen und Wangen brannten, aber nach wenigen Minuten kam er bleich wie eine Leiche zurück, bestieg still den Wagen, sprach während des ganzen Weges kein Wort, und hier angekommen, hat er auch nicht an mich gedacht und mich zum ersten Mal wie einen Bedienten vergessen.

Der Graf muß etwas sehr Schmerzliches erfahren haben, mein lieber Sohn, sagte der alte Haushofmeister, da er Dich so hat vergessen können. Weißt Du denn nicht, Wer in jenem Hause wohnte?

Nein, sagte der Knabe, ich sagte Ihnen ja, mein Herr hat den ganzen Tag kein Wort mit mir gesprochen.

Ich sollte Dich nun eigentlich nicht Du nennen, mein liebes Kind, sagte Dübois, da Du schon ein halber Student gewesen bist, aber das wirst Du einem alten Manne, der Dir gut will, wohl erlauben.[287]

Wenn Sie mich Du nennen, rief der Knabe, so freut mich das, denn Sie sind ein guter, ehrwürdiger Mann, aber von den Bedienten hier im Hause werde ich es niemals leiden.

Da der gute junge Graf, fuhr Dübois fort, wie Du selbst bemerkt hast, so schon manchen Kummer zu haben scheint, so wirst Du ihm wohl das schlechte Betragen der elenden Bedienten gegen Dich nicht erzählen. Nein, gewiß nicht, rief der Knabe, ich weiß, es würde meinen Herrn schmerzen, und diese Menschen sind es nicht werth, daß er um ihretwillen einen trüben Augenblick haben soll.

Du bist ein braver Mensch, sagte der Haushofmeister, und da ich sehe, daß der junge Graf nicht sowohl Dein Herr, als Dein Freund und Wohlthäter zu nennen ist, so werde ich dafür sorgen, daß das Verhältniß hier so eingerichtet wird, wie er es selbst bei seinem Vater gestellt hat, ich werde befehlen, daß ihn einer von den hiesigen Bedienten aufwartet.

Nimmermehr! unterbrach der Knabe mit Heftigkeit den alten Mann; von diesen Menschen, die über seine Armuth gespottet haben, soll ihn Niemand anrühren, sie würden sich am Ende noch heraus nehmen, auch darüber zu lachen, wenn nicht alle Stücke des Anzugs meines Herren so prächtig sind, wie ihr reicher Graf vielleicht Alles hat. Der gute Haushofmeister konnte das Gefühl nur ehren, welches den Knaben[288] bestimmte, den jungen Grafen selbst zu bedienen; er sagte also: Handle darin, wie Du willst, mein Kind, aber das wirst Du mir nicht abschlagen, daß Du, so lange der junge Graf hier bleibt, bei mir wohnst und an meinem Tische mit mir speisest. Dafür danke ich Ihnen herzlich, sagte der junge Mensch mit Thränen in den Augen, denn Sie können wohl einsehen, daß ich mich unter den Bedienten elend gefühlt hätte.

Kaum waren die letzten Worte gesprochen, als die Klingeln von allen Seiten läuteten, und die Bedienten eilten, ihre verschiedenen Herren zu bedienen. Der Haushofmeister nahm einen Armleuchter und eilte mit dem jungen Gustav, um den Saal zu erreichen. Die Gesellschaft trennt sich heut ungewöhnlich früh, bemerkte er noch unterwegs und kam eben zur rechten Zeit, um dem jungen Grafen vorzuleuchten und ihn nach seinem Zimmer zu führen.

Der junge Graf war finster eingetreten, das gutmüthige Gesicht und das silberweiße Haar des Haushofmeisters bewirkten aber doch, daß er ihn höflich entließ. Stumm ließ er sich nun die Dienste seines jungen Freundes gefallen und warf sich, rasch entkleidet, mit dem Ausdrucke der Verzweiflung auf sein Bett. Die Thränen stiegen dem Knaben in die Augen, als er sich anschickte das Zimmer zu verlassen,[289] ohne ein freundliches Wort aus dem Munde des geliebten Herrn zu vernehmen.

Gustav, rief dieser, als der Knabe eben gehen wollte, was wird aus Dir hier in dem prächtigen Hause?

Der gute alte Haushofmeister, sagte der Knabe, hat sich meiner angenommen, ich wohne bei ihm und speise an seinem Tische. Dann ist es gut, sagte der junge Graf, ich hatte Dich armen Jungen heute vergessen, Du wirst mir ein ander Mal erzählen, wie es kommt, daß sie Dich trotz dem nicht unter die Bedienten verstoßen haben; heut habe ich zu vielen Kummer, heut kann ich nichts mehr hören. Du armer Junge, setzte er mit weicher Stimme hinzu, ich dachte Dir wohl zu thun, und Du mußt so Vieles mit mir leiden. Der Knabe küßte die dargebotene Hand mit Thränen. Nun geh nur heut und suche zu schlafen, sagte der Graf, indem er ihm die Hand drückte; morgen, wenn wir beide geschlafen haben, wollen wir über Manches sprechen.

Der Knabe ging und fand den Schlummer bald, den der junge Graf ihm gewünscht hatte, aber Zorn, qualende Sorgen und herzzerreißender Gram hielten diesen selbst noch lange wach, und der Morgen fing schon an zu dämmern, als endlich auch seine Augenlieder sich senkten und der lang ersehnte Schlaf wohlthätig ihn umfing.[290]

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 1, Breslau 1836, S. 272-291.
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