XVII

[307] Es hatte sich schon eine zahlreiche Gesellschaft versammelt, als der Graf und der Prediger den Saal wieder betraten, und es war in der That ein angenehmer Anblick, eine blühende, geschmückte Jugend nach langer Trauer wieder zur Heiterkeit und Freude vereinigt zu sehen. Einige durchschwärmten den Garten, aber dieß waren nur Wenige, denn die meisten jungen Leute freuten sich hauptsächlich auf die lang entbehrte Lust des Tanzes, und die jungen Damen wollten ihre für den Ball eingerichtete Kleidung keiner Gefahr auf einem Spaziergange im Freien aussetzen.

Endlich wurden für den ältereren Theil der Gesellschaft die Spieltische hingesetzt, und die Musik ertönte, um der jüngern Welt den Anfang ihrer Freude zu verkündigen. Die lustigen Klänge der Klarinetten und Hörner schwebten nach dem Garten hinunter und lockten schnell die wenigen Lustwandelnden herbei, und viele Paare durchflogen mit leichten, von Freude beflügelten Füßen den Saal. St. Julien hatte den scherzenden Wink der Gräfin verstanden, die ihm rieth, nicht immer mit derselben Dame zu tanzen; er betrachtete es also wie eine Pflicht der Höflichkeit, auch mit einigen andern jungen Damen zu tanzen, und nur dann erst, wenn er dieß wie ein Geschäft abgemacht hatte, kehrte er immer mit neuem Entzücken zu Emilien zurück. Der Obrist Thalheim[307] hatte für diesen Abend kein Spiel angenommen, er wußte nicht recht, wie sich seine Tochter benehmen würde, die zum ersten Mal in einer so glänzenden Gesellschaft auftrat; er fürchtete mit väterlicher Eitelkeit, daß sie schlecht tanzen würde, da sie keinen andern Unterricht in dieser Kunst erhalten hatte, als durch Emilie und St. Julien, von denen die Sache nur wie ein Scherz war getrieben worden. Aber obgleich Therese mit Schüchternheit den Saal betrat, so fand sie sich doch bald zurecht, die Nähe der Gräfin gab ihr Muth, Sicherheit gewann sie durch den Beistand ihrer jungen Freunde, und der zärtliche Vater sah mit Entzücken, daß sie an Leichtigkeit, Grazie und Anstand viele andere junge Tänzerinnen übertraf.

Der Graf hatte sich gewundert, daß sein Vetter immer noch in der Gesellschaft fehlte; er hatte sogar einige Male nach dessen Zimmer geschickt, um ihn auffordern zu lassen, Theil an der allgemeinen Heiterkeit zu nehmen, aber jedes Mal war die Antwort zurückgekommen, daß der junge Herr Graf gar nicht zu Hause sei. Verdrüßlich über diese Sonderbarkeit theilte er eben dem Obristen mit, daß sein Vetter bei ihm im Hause sei, und klagte über dessen seltsames Betragen. Der Obrist freute sich sehr auf das Zusammentreffen mit seinem jungen Freunde und bedauerte nur, daß er ihn noch nicht erblickte. Endlich trat der junge Mann, sorgfältig[308] gekleidet, in den hell erleuchteten Saal; sein Auge schweifte über die glänzende Gesellschaft hinweg und haftete auf der würdigen Gestalt eines Greises, der, in das Gespräch mit seinem Oheim vertieft, ihn nicht sogleich bemerkte. Eine glänzend neue Uniform, die ganze für sein Alter zwar passende, aber mit Sorgfalt gewählte Kleidung, deutete auf eine Wohlhabenheit, die den jungen Grafen irre machte und sich am Wenigsten mit seinen letzten Nachrichten vereinigen ließ; aber das edle ihm so wohl bekannte Gesicht, die dünnen Haare, die sich silberweiß an die Schläfe schmiegten, ließen keine Zweifel. Er wollte eben vortreten und den Obristen anreden, als dieser sich umwendete und ihn erkannte. Mit väterlicher Liebe trat er dem jungen Manne entgegen, dessen Staunen ihn verhinderte, sein Gefühl auszudrücken. Sie haben mich hier nicht erwartet, rief mit Gutmüthigkeit lächelnd der Obrist nach den ersten Begrüßungen, aber kommen Sie nur, ich will Sie noch mehr in Verwunderung setzen, Sie sollen auch meine Tochter begrüßen. Betäubt hatte der junge Graf sich führen lassen und stand nun vor einem reizenden Wesen, dessen schlanke Gestalt von leichten Gewändern umschwebt, von Blumen umrankt war, und das ihm aus heitern braunen Augen mit unschuldiger und unverhehlter Freude entgegen lächelte. Der junge Graf stand verwirrt. Theresens Bild hatte ihn begleitet in allen Gefahren, in allen kummervollen[309] und in allen besseren Stunden, aber in der Dürftigkeit war sie ihm erschienen, wie er sie gekannt hatte; das Letzte, was er von ihr erfahren, hatte ihn in Verzweiflung versenkt, ja er mußte sie für verloren halten, und nun fand er sie hier, umgeben mit allen Zeichen des Wohlstandes, in allem Uebrigen den versammelten Damen gleich, nur daß statt der reichen Perlen, der glänzenden Steine, mit denen die andern geschmückt waren, eine feine venetianische Kette, das Weihnachtsgeschenk der Gräfin, den schlanken Hals bescheiden umschlang.

Sie hier, stammelte endlich der junge Graf, wie bin ich so glücklich, Sie hier zu finden. Setzen Sie sich zu mir, sagte Therese mit vor seliger Freude feuchten Augen, ich will Ihnen Alles erzählen.

Der Graf nahm einen Stuhl neben ihr ein, und die Welt umher entschwand ihm. Er horchte mit Entzücken auf die Töne, die den rothen Lippen begeisternd entschwebten; das im schönen Gefühle der Dankbarkeit befeuchtete Auge blickte so rein, so zärtlich in das seine, daß er dem Zauber zu erliegen fürchtete; die Fassung wollte ihn verlassen; die Rücksicht auf die Gesellschaft entschwand ihm, und er war nahe daran, zu den Füßen des Wesens hinzusinken, das ihm wie durch ein Wunder so verschönert, so veredelt zurückgegeben wurde, nachdem es von ihm mit finster menschenfeindlicher Verzweiflung betrauert worden war.[310]

Die Gräfin hatte schon längst das Auffallende einer so langen und innigen Mittheilung in einer großen Gesellschaft bemerkt; sie war einige Male vorbei gegangen, aber die jungen Leute waren zu sehr mit sich beschäftigt, als daß sie auf einen leichten Wink hätten achten können. Die Gräfin bot also Theresen die Hand, als hätte sie ihr etwas zu sagen, und führte sie, freundlich mit ihr sprechend, von dem jungen Grafen hinweg, dessen trunkene Augen jeder Bewegung seiner reizenden Freundin folgten.

Die Musik spielte einen französischen Kontretanz, und St. Julien forderte Theresen auf, neben der die Gräfin saß, die ihrer jungen Freundin noch einige Worte zuflüsterte, worüber diese wie die schönste Rose erröthete, indem sie doch zugleich liebevoll zu der Gräfin auflächelte. Der junge Graf war mit seinen Gedanken wenig bei dem Tanze, man sah es ihm an, daß Gefühle seine Brust bewegten, die er sich vergeblich zu beherrschen bemühte.

Der Tanz war geendigt, und St. Julien hatte Theresen kaum zu ihrem Sitze zurückgeführt, als der junge Graf hastig zu ihm trat, seinen Arm merklich drückte und mit bewegter Stimme ihm eilig zuflüsterte: Folgen Sie mir auf einige Augenblicke in den Garten. St. Julien war erstaunt; der heftige Druck, das glühende Auge, die bewegte Stimme des Grafen, der schon den Saal verlassen hatte, ließen auf[311] eine Erneuerung der Feinschaft schließen, und er folgte ihm mißvergnügt darüber, daß er ihm die wenigen Stunden der Freude zu verbittern strebte.

Der junge Graf stürmte durch die Gänge des Gartens, so daß St. Julien ihn mit Mühe erreichte, und beide standen endlich auf demselben von Gebüschen umgebenen Platze, wo sie den Morgen ihr feindliches Gespräch geführt hatten. Es war eine stille, warme Nacht, der Mondschein ruhte auf dem Laube der Bäume und breitete seinen Silberschimmer über den Rasen aus, ein Springbrunnen plätscherte in der Nähe, und nur einzelne Töne der Musik klangen wie lockend zu ihnen vom Schlosse herunter.

Der Graf wendete sich hier plötzlich, und indem er St. Juliens Arme, die dieser über die Brust zusammen geschlagen hatte, mit beiden Händen heftig faßte, rief er: St. Julien, ich muß reden, heute noch; mein Herz würde sonst zerspringen; ich könnte das Gefühl der Qual und Seligkeit nicht diese Nacht hindurch ertragen. Nicht wahr, rief er aus, indem ihm die Thränen über die Wangen strömten, es wäre lächerlich, wenn Einer von uns den Andern für feig halten wollte, da wir Beide, jeder für sein Vaterland, aus schmerzlichen Wunden geblutet haben; deßhalb sind für uns solche abgeschmackte Rücksichten nichts, und was sind alle Rücksichten gegen mein Gefühl; hier an derselben Stelle,[312] wo ich Sie beleidigte, bitte ich Ihnen mein Unrecht ab; hier sage ich Ihnen, daß ein wilder Schmerz mich dahin brachte, Sie gern zu verkennen, daß ich einen Zweikampf suchte, um mein Leben darin zu endigen, und hier antworten Sie mir, ob Sie mein Gefühl mit derselben Freimüthigkeit erwiedern können.

Bester Graf, sagte St. Julien mit Rührung, Sie sind so erschüttert, daß Ihr Zustand mich besorgt macht, lassen Sie uns vergessen, daß wir uns gegenseitig verkannt haben, und schenken Sie mir Ihre Freundschaft.

Freundschaft? wiederholte der Graf mild lächelnd; ja, lassen Sie uns Freunde sein, und helfen Sie mir die Qual des Kummers und die Seligkeit des Entzückens ertragen, die mich beide zu vernichten drohen. Sie müssen es erfahren, fuhr er nach einem kurzen Schweigen, während dessen er sich gesammelt hatte, mäßiger fort, was mich bei meiner Ankunft hier auf dem Schlosse in jene unselige Stimmung versetzt hatte, und wodurch jetzt mein Gefühl so gänzlich umgewandelt worden ist, damit Sie mich nicht für einen Thoren halten, dessen Zorn eben so wenig, als seine Freundschaft Achtung verdienen.

Sie müssen wissen, daß ein großer Theil unseres Adels mit der Armuth kämpft, und zu diesen Unglücklichen gehört mein Vater. Von frühester Kindheit an hörte ich es beklagen,[313] daß mein Oheim hier das gesammte Familen-Vermögen mit Unrecht besitze; es wurden oft ohnmächtige Pläne gegen ihn entworfen, und man behauptete, daß hauptsächlich meine Tante ihn abhielte, sich mit meinem Vater in Unterhandlungen einzulassen. Auf mich machte dieß Alles keinen tiefen Eindruck, außer, daß ich einen Widerwillen gegen meinen Oheim und besonders gegen meine Tante faßte. Ich nahm Militairdienste eben so wohl aus Noth, als aus Neigung; ich lernte früh entbehren, denn mein Vater konnte mich nur wenig unterstützen, von den jungen reichen Leuten beim Regiment zog ich mich zurück, einen Bruder hatte ich nicht, und so lebte ich die schönsten Jahre der Jugend in tiefer Einsamkeit des Herzens.

Endlich lernte ich ein Wesen kennen, in noch beschränkterer Lage, als ich selbst, dessen zarte Schönheit, die wie eine Knospe im Erblühen war, dessen edle Eigenschaften, die sich unter den ungünstigsten Umständen dennoch herrlich zu entwickeln begannen, tausend zarte Bande um mein Herz legten, und ich lernte eine Seligkeit kennen, die ich in diesem armen Leben nie geahnet hätte. Ich erwartete von meinem Vater nichts, aber ich hoffte, daß sein Gut ihm die Mittel zur Existenz gewähren würde, so lange er lebte. Ich war Stabsrittmeister, und es konnte nach meiner Meinung nicht mehr lange währen, daß ich eine Eskadron bekommen[314] müßte; dann wollte ich mich mit dem holden Wesen vereinigen, in dessen unschuldigen Augen ich zu meinem Entzücken las, daß sie, vielleicht ohne es zu wissen, auf mich die Hoffnungen ihres Lebens baute. Der Krieg begann, und ich mußte mich von meiner holden Freundin und ihrem ehrwürdigen Vater trennen. Bei Eylau wurde ich schwer verwundet und verlor zugleich Alles, was ich an irdischen Besitzthümern mein nennen konnte. Nach Monaten hatte ich mich in so weit erholt, daß ich reisen konnte, und nun wurde es durch den Waffenstillstand auch möglich. Ich kam bei meinem Vater an, den ich in vielen Jahren nicht gesehen hatte, und in den ersten Stunden schon überzeugte ich mich, daß er völlig zu Grunde gerichtet war, wozu der Krieg das Seinige beigetragen hatte. Ich war kaum einige Tage bei meinen Eltern, als der Friede mit allen seinen Bedingungen bekannt wurde, und in Folge der großen Reduktionen bei der Armee erhielt ich meinen Abschied. Jetzt wurde meinem Vater die Nachricht mitgetheilt, daß mein Oheim damit umgehe, das gesammte Vermögen einem Fremden zuzuwenden. Mich erbitterte mehr, als alles Andere, die Ungerechtigkeit gegen meinen Vater, und ich ließ mich bestimmen, die Reise hieher zu unternehmen; ich war hiezu um so lieber bereit, da mich die größte Unruhe quälte über das Schicksal meiner Freunde, alle meine Briefe waren unbeantwortet[315] geblieben, und die heißeste Sehnsucht erfüllte mein Herz.

Auf dem Wege hieher eilte ich zuerst die Unruhe meines Herzens zu endigen. Ich wollte mich an dem Anblicke meiner Freundin stärken und erfreuen; ich hoffte selbst Rath von ihrem Vater, vor Allem aber wollte ich sie sehen und über ihr Schicksal beruhigt sein; so erreichte ich nach den qualvollsten Tagen der heißesten Sehnsucht endlich ihre Wohnung. Fremde Menschen kamen mir entgegen; ich fragte nach dem Obristen Thalheim, ein plumper breiter Mensch fragte: Meinen Sie den vorigen Pächter? Nun ja, das war ja der Obrist Thalheim, rief ein Weib aus einem Winkel. Der ist gänzlich hier verarmt, ergänzte nun der widrige Mensch; vorigen Winter wurde er hinaus getrieben und wird nun wohl schon gestorben sein. Und seine Tochter? fragte ich mit höchster Anstrengung. Gott weiß, sagte der Mensch, wo das Mädchen hingekommen sein mag; wie kann man es wissen, da Freunde und Feinde hier durchgezogen sind. Ich weiß nicht, wie ich das Haus verlassen habe; ich weiß nicht, was ich auf dem Wege hieher dachte und fühlte. – Mit dieser Qual im Herzen kam ich hier an. Alles kam mir nun feindselig vor, ja selbst der sichtbare Wohlstand empörte mich, denn ich dachte an die Entbehrungen meines Vaters; mir fiel es ein, daß vielleicht ein kleiner[316] Theil dessen, was hier überflüssig ausgegeben wird, das edelste Geschöpf erhalten hätte. Dunkel schwebte mir dabei vor, daß ich doch meinem Vater nicht einmal würde nützen können, und diese Gefühle brachten mich dahin, das Ende meines Lebens zu suchen. Können Sie nun die Stimmung begreifen, die mich dazu trieb, den Streit mit Ihnen zu beginnen? St. Julien drückte seine Hand, und der junge Graf fuhr fort: Ich war nicht so verstockt, daß ich nicht dennoch mein Unrecht empfunden hätte; ich war entzweit mit mir selbst; ich entzog mich den Blicken aller Menschen und schweifte auf den Bergen umher, um in der Einsamkeit das Gleichgewicht wieder zu finden, das meine Seele verloren hatte; die Stürme meines Busens wurden gekühlt, eine edlere Trauer ruhte mir im Herzen, und ich beschloß schon auf meinem einsamen Spaziergange, mich näher gegen Sie zu erklären. Mit solchen Empfindungen kehre ich zurück und finde hier, begreifen Sie mein staunendes Entzücken, die Freundin meines Herzens mit allen Zeichen des Wohlstandes umgeben, blühender, schöner, als ich sie jemals kannte. Ihr leuchtendes Auge goß den Strahl des Friedens in meine Seele, von ihren Purpurlippen erfuhr ich, wie sie und ihr Vater schon am Rande des entsetzlichsten Abgrundes gestanden hatten; hier vernahm ich, welche Hand sie erhalten, daß mein Oheim wie ein edelfühlender Mensch[317] ihr Leid getheilt, wie ein milder Engel sie darin getröstet und wie ein helfender Gott sie mit starkem Arm daraus errettet hatte. Ich vernahm, mit welcher schonenden Großmuth meine gütige Tante das Werk ihres Gemahls vollendete; wie ihr edler, gebildeter Geist alle schönen Keime zu entwickeln strebt, die in Theresens Seele ruhen; ich erfuhr, wie dieß himmlische Geschöpf hier nur Liebe und Freundschaft umgegeben, und sie heben und tragen auf den Wegen des Lebens. Liebe, Bewunderung, Entzücken durchbebten mein Herz, aber zugleich die brennende Scham über die verächtlichen Gründe, die mich dazu gebracht hatten, mich diesen Menschen feindlich gegenüber zu stellen. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen, ich wäre zu Theresens Füßen gesunken und hätte allen meinen Empfindungen Worte gegeben, wenn nicht meine Tante das holde Geschöpf in demselben Augenblicke von meiner Seite genommen hätte.

Und nun, mein theurer Freund, sagte St. Julien, werden Sie doch gewiß schon den Entschluß gefaßt haben, sich mit Offenheit an Ihren Oheim zu wenden, und werden eben so, wie ich, überzeugt sein, daß Sie einen väterlich helfenden Freund an ihm finden werden?

Es kann nicht sein, sagte der junge Graf, daß mein Oheim das Vermögen besitzt, welches zum Theil meinem Vater zukäme; sein edler Charakter würde ihn sonst längst bestimmt[318] haben, Gerechtigkeit zu üben, und mein Vater schwebt gewiß darüber, wie über vieles Andere, im Irrthume; aber es sei, wie es will, ich werde mit meinem Oheim über Alles sprechen, und wenigstens zwischen uns soll ein reines Verhältniß stattfinden.

St. Julien konnte den Entschluß des jungen Grafen nur loben und erinnerte ihn nun daran, daß sie schon lange aus dem Gesellschaftssaale entfernt wären und dieß leicht auffallen könnte.

In der That hatte der Graf die Abwesenheit der beiden jungen Männer bemerkt, die ihm bei der feindlichen Stellung, die sie gegen einander annahmen, mancherlei Besorgnisse erregte; um so größer war also seine Verwunderung, als sie Arm in Arm eintraten, und ihre Blicke wie ihre ganze Haltung zeigten, daß auf ein Mal eine innige Vertraulichkeit an die Stelle feindseliger Kälte getreten war.

Der junge Graf näherte sich seiner schönen Freundin von Neuem und fragte mit schmeichelnden Blicken: Darf ich nicht wissen, was meine Tante Ihnen sagte, als sie vorhin unsere Unterredung störte? Warum sollte ich Ihnen das nicht mittheilen dürfen, antwortete Therese, indem sie die großen, dunkeln Augen mit dem Ausdrucke der reinsten Unschuld zu ihrem Freunde erhob; die Gräfin sagte mir: Ich werde gewiß, mein liebes Kind, Dich nicht mit unzeitiger Zudringlichkeit[319] stören, wenn wir unter uns sind und lauter wohlwollende Menschen Dich umgeben; dann kannst Du ohne Rückhalt Deinem Freunde alles mittheilen, was ihm wichtig scheint, aber hier, jetzt unter so vielen fremden Menschen, ist es besser, wenn Du keine so langen und angelegentlichen Unterredungen mit ihm führst. Und Sie wünschen den Rath meiner Tante zu befolgen? fragte lächelnd der Graf. Wenn es Sie nicht kränkt, wünsche ich es wohl, erwiederte Therese aufrichtig, denn die Gräfin behandelt mich so mütterlich, ihr Rath ist so wohl gemeint, daß ich ungern davon abweichen möchte.

Da wir denn nicht viel mit einander sprechen dürfen, sagte der junge Graf, so werden Sie es mir doch gewiß nicht abschlagen, mit mir zu tanzen? O gewiß nicht, rief Therese, ich habe mich schon lange darüber gewundert, daß Sie ganz weggegangen waren und nicht einmal Lust bezeigten, mit mir zu tanzen. Und dahin schwebten Beide durch den Saal zum größten Erstaunen des Grafen, der die Verwandlung seines finstern Vetters gar nicht begreifen konnte und doch auch sich nicht aufklären mochte, weil er eine lange vertrauliche Unterredung mit St. Julien in dieser gemischten Gesellschaft nicht suchen wollte.

So war unter Tanz, Spiel und heitern Gesprächen ein großer Theil der Nacht verschwunden, und die Gesellschaft[320] begab sich nach dem Speisesaale zur Abendtafel. Die geschmackvolle Verzierung der Tafel, die glänzende Beleuchtung, machten dem Haushofmeister eben so viel Ehre, als die Fülle der auserlesenen Speisen und Getränke. Die feurigen Weine erhöhten die Heiterkeit der Gäste, und auch die, welche sich bis jetzt ruhig gehalten hatten, wollten nun durch Witz und muntere Einfälle ihren Zoll zur allgemeinen Freude beitragen. Freilich trafen nicht Alle immer das Beste, und oft erhob sich Gelächter aus ganz andern Gründen, als der beabsichtigte, welcher es erregte; aber doch umschwebte die Freude die Tafel. Endlich neigte sich auch diese Lust zu Ende, und der Haushofmeister schenkte schon den perlenden Champagner ein; der Baron Löbau sah mit ängstlichen Blicken den Grafen an, der ihn sogleich verstand, ein Glas nahm und, indem er aufstand, mit lauter Stimme rief: Auf das Wohl unseres theuern Landesvaters, unseres geliebten Königs, den uns Gott lange erhalten möge! Ein langer schmetternder Tusch von Trompeten bestätigte die ausgebrachte Gesundheit, und es war, als ob die Töne in jeder Brust das gleiche Gefühl der Liebe und Hingebung hervorriefen, Aller Augen glänzten in Thränen, alle Stimmen wiederholten die Worte, und selbst der Baron Löbau, der die Sache wie eine Förmlichkeit betrieben hatte, fand unvermuthet eine Empfindung in seinem Busen, die auch seine Augen befeuchtete. Er hatte sich[321] nicht auf den Grafen verlassen und befürchtet, daß in Ansehung dieses wichtigen Gesundheitstrinkens nicht die gehörige Anordnung getroffen sein möchte, deßhalb hatte er es nicht verschmäht, in einem unbeachteten Augenblicke den Haushofmeister aufzusuchen und ihm selbst das Nöthige aufzutragen, und blickte nun mit einem Gefühl von Stolz gleichsam in die Trompetentöne hinein, die er glaubte veranlaßt zu haben.

Nach der Abendtafel wollten noch Einige den Tanz zu erneuern suchen, aber auch die Lust ermüdet den Menschen, und da der Tag schon wieder zu dämmern begann, so trennte sich die ermüdete Gesellschaft.

Quelle:
Sophie Bernhardi: Evremont. Theil 1, Breslau 1836, S. 307-322.
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