Fünfte Scene

[14] Else. Gertrud. Herrmann.


ELSE. Aber Suse! Auch hier ist das Mädchen nicht! Guten Abend, Herrmann; wo steckt die kleine Hexe? Was gilt's, sie läuft wieder mit dem Hanns umher, indeß drüben im Hammer die Arbeiter nach dem Abendbrode verlangen. Sie geht hin und räumt die Becher in den Korb. Ei, ei! da liegt und steht noch Alles, wie es die Gesellen verließen, die Suse wird alle Tage nachlässiger, muß auf etwas denken –

GERTRUD finster. Sie zu strafen! sie verdient es wohl, sie ist keck und leichtsinnig.

ELSE gutmüthig lächelnd. Wie alle Mädchen von Siebenzehn Jahren, die gesund und rüstig sind. Muß das Mädchen verheirathen, da wird sie schon zur Vernunft kommen. Nehmt's nicht übel, Frau Gertrud, ich folge Euch gleich zum See, aber Ordnung muß erst sein. Das Mädchen muß mir erst zum Hammer hinüber.

GERTRUD. Ihr seid zu nachsichtig gegen die Dirne.

ELSE. Laßt's gut sein, sie ist verliebt, wir waren's ja auch einmal und unter uns, ich bin's noch heutigen Tags. Ach! Gertrud lacht mich nicht aus, aber wenn mein Rudolph hier ist, bin ich oft zerstreuter als das Mädchen. Zehn Jahre sind wir nun verbunden, aber noch ist er wie am Tage unserer Hochzeit, und ich – wenn ich's recht gestehen[14] sollte, närrischer als in der ersten Stunde, da er mir seine Liebe gestand. Ein braver Mann ist doch recht eine Gottesgabe! – Wer einen solchen fand, der halte ihn hoch in Ehren; denn man sagt, es wären ihrer heutigen Tages nicht im Ueberfluß vorhanden.

GERTRUD bemüht, ihre Erschütterung zu verbergen. Ja wohl! ja wohl! Ich mußte es mit Schmerzen erfahren.

ELSE. Ich habe da eine traurige Erinnerung geweckt – vergebt mir, ich dachte wahrlich nicht daran. Aber die Suse kommt immer nicht, geh Herrmann, sei so gut und suche sie auf.

HERRMANN. Wie Ihr befehlt, Frau Else! Doch vorher auf ein Wort – Zu Gertrud mit aller Art. Vergebt mir, Dame.

GERTRUD sieht ihn verwundert an, geht dann nach der Bank und läßt sich nachdenkend nieder.

ELSE. Was ist's, Herrmann?

HERRMANN leise. Meine Wohlthäterin! Ich kann diese Gegend nicht verlassen, ohne Euch zuvor gedankt zu haben für Eure Hilfe in der Noth.

ELSE. Wollt Ihr denn schon fort, Herr?

HERRMANN. Ich kann es jetzt ohne Gefahr wagen, die Verfolger haben meine Spur verloren, hier bin ich verrathen. Ich wollte verschwinden, wie ich kam, aber ich vermag es nicht, mein Herz zog mich zurück, ich mußte Abschied von Euch nehmen.[15] Gott lohne Euch! Die Hoffnung winkt mir, bald vielleicht kann ich zur Heimath wiederkehren, und dann werdet Ihr von mir hören. Drückt ihre Hand an seine Lippen und eilt schnell ab.

ELSE. Lebt wohl, mein lieber Herr! Sieht ihm gerührt nach. Guter, braver Mensch!

GERTRUD kommt wieder vor. Was ist's mit ihm? Wer ist er? Ein Schmiedegeselle wohl nimmermehr.

ELSE lächelnd. Zum ersten Male in meinem Leben quält mich die Neugier – wahrlich, das weiß ich Euch nicht zu sagen.

GERTRUD rasch. Wie, Ihr wißt nicht, wer er ist?

ELSE. Gewiß nicht, warum sollte ich es sonst verschweigen?

GERTRUD. Aber, wie kam er zu Euch?

ELSE stockend. Nun, wie alle unsere Gesellen; doch von ihm allein weiß ich's nicht, woher er kam, noch wohin er zu gehen gedenkt.

GERTRUD von einem Gedanken ergriffen. Ich könnte Euch dies zu wissen verschaffen – doch Ihr wollt ja nicht.

ELSE. Ei, Gertrud! Seht, das ist nun einmal nicht recht von Euch, daß Ihr mir immer erzählt von Eurer geheimen Wissenschaft, und mich reizen wollt, dergleichen auch zu lernen. Ich halte so was für sündlich, und –

GERTRUD. Pfui! Schämt Euch Else! Sprecht Ihr nicht, wie ein[16] Kind, dem man Ammenmährchen erzählt? Es giebt geheime Kräfte, die sich nur dem höhern Geiste anschmiegen, nur von diesem sich zu seinem Zwecke nützen lassen. Das kann doch nimmer Sünde sein, einzudringen in die Geheimnisse der Natur? –

ELSE. Das ist Alles gut; – Ihr sprecht recht gelehrt davon, – aber mein einfacher Sinn hält es einmal für Unrecht, mehr wissen zu wollen, als jeder andere fromme Christenmensch auch weiß.

GERTRUD. Ihr seid thöricht! Mich gerade erhebt der Gedanke, mehr zu wissen, als der gewöhnliche Alltagstroß. Bin ich nicht fromm? Gehe ich nicht fleißig zur Messe, verläßt ein Armer ungelabt meine Thür? So kann mein Treiben auch nichts Schlimmes sein. Versucht es nur einmal; gebt mir sieben Haare von Eurem Haupte, mehr bedarf es nicht, und morgen um diese Stunde kann ich Euch sagen, wer dieser räthselhafte Jüngling ist, was er war, und was er sein wird.

ELSE mit heimlicher Neugier. Ei! Hm! Warum nicht gar! Sieben Haare? Das klingt seltsam. Freilich Sie zieht die goldene Nadel aus dem aufgewundenen Haare, es fällt aufgerollt über ihre Schultern. Haare hätte ich genug, die sieben könnte man wohl hundert Mal herausziehen, ehe ich sie vermißte.

GERTRUD sieht sie mit lauernden Blicken an.

ELSE. Das ist doch wahrlich seltsam! Sie zieht die Haare durch die Finger. Wie soll man aus fremden Haaren Vergangenheit und Zukunft eines Dritten weissagen können? O geht, Ihr wollt mich necken.[17]

GERTRUD sich kaum verbergend. Nein, wahrlich nicht, versucht's nur – was liegt an ein paar Haaren, wagt sie an den Scherz, weiter ist es ja nichts, und täusche ich Euch, Scherzend. der Verlust ist ja nicht unersetzlich.

ELSE lachend. Nein, darin habt Ihr Recht. Wissen möchte ich doch, wen ich da beherbergte. Am Ende ist's ja doch nur ein Scherz. Sie zählt indeß aus dem aufgerollten Haare. Eins, Zwei – Drei – und nicht wahr, Gertrud, sagen werdet Ihr's Niemandem?

GERTRUD schnell betheuernd. Gewiß nicht!

ELSE zählt. Vier – Fünf – Sechs – Nein, wenn das die Suse wüßte, daß die Else, die zehn Jahre älter ist, als sie, noch so neugierig wäre, ich schämte mich ja zu Tod – Sieben! – Sie faßt die gezählten Haare an und zieht sie herzhaft aus. In diesem Augenblicke flattert eine Wolke von Raben über die Bühne. – Else stößt einen Schrei aus und fährt mit der Hand nach dem Kopfe.

GERTRUD faßt schnell nach den Haaren, schlingt sie um die Hand und ruft. Was ist Euch?

ELSE. Weh mir! Ein stechender Schmerz im Kopfe!

GERTRUD widerlich lachend. Einbildung, weiter nichts. – Nun, morgen Abend komme ich wieder und stille Eure Neugier. – Den Gang nach dem See unterlassen wir wohl heute, denn es steigt ein schweres Ungewitter auf. – Seht wie es finster wird, ich darf eilen, um nicht vom Regen überfallen zu werden. Gehabt Euch wohl, Freundin! Morgen auf Wiedersehen. Sie eilt ab.


Es wird Nacht.
[18]


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Gesammelte dramatische Werke, Band 9, Leipzig 1863, S. 14-19.
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