Siebente Scene

[19] Else. Suse.


SUSE kommt athemlos von der Seite, wohin Herrmann und Gertrud abgegangen. Da bin ich – Da bin ich, Base! Ich bin da!

ELSE. Das sehe ich! Wo steckst Du denn? Und was ist Dir begegnet, daß Du so furchtsam und scheu umherblickest? Ihre Furcht schlecht verbergend. Du wirst Dich doch nicht fürchten?

SUSE. Nein Base, gar nicht, obgleich der Wind in den Bäumen saust und schwarze Wetterwolken aufsteigen, Mit zitternder Stimme. fürchten thu' ich mich doch nicht. Aber geschehen ist mir etwas, ich kann es gar nicht sagen, es ist mir so was Seltsames begegnet![19]

ELSE gezwungen lachend. Ja, ja, Jungfer Suse ist eine wichtige Person, der kann auch etwas begegnen.

SUSE beleidigt. So! Meint Ihr nicht, da sollt Ihr's gleich anders hören. Ich saß unter den Erlen und sah auf den See hinunter und dachte eben – Stockt.

ELSE. Nun, woran dachtest Du?

SUSE. An nichts, Base, an gar nichts. Nun wie ich so in meinen tiefen Gedanken sitze, kommt Jemand aus dem Gesträuch, nimmt mich am Kopfe und giebt mir einen herzhaften Kuß, da seht – Hält die Wange hin. da sitzt er noch.

ELSE. Und das littest Du so geduldig?

SUSE. Ja, ich wollte mich eben wehren, da lief er aber schon davon.

ELSE. Ei der Tausend! – Und wer war denn der Jemand?

SUSE dumm. Wer's war –?

ELSE. Nun ja, Du mußt's doch wissen!

SUSE. Na, Base, das weiß ich nicht, ich habe ihn nicht im Gesichte gesehen.

ELSE. Nicht? So, und er küßte Dich doch?[20]

SUSE noch dümmer. Ach, Base, ich drückte vor lauter Schreck die Augen fest zu. – Ihr könnt mir's glauben – ich sah ihn nicht an.

ELSE. Sollte es nicht der Hanns gewesen sein?

SUSE sehr schnell, heimlich triumphirend. Nein, nein, Base, der Hanns war's nicht.

ELSE. Nicht? Woher weißt Du denn das so gewiß, wenn Du ihn nicht ansahst?

SUSE sehr verlegen. Nein, das kenn' ich gleich, der Hanns küßt nicht so mir nichts, dir nichts.

ELSE. Also der Hanns küßt Dich doch auch?

SUSE erschrocken. Das habe ich nicht gesagt, Base! Fast weinend. Ihr fragt einen aber auch so aus, man weiß gar nicht mehr, wo man hin soll. –

ELSE. Nun, sei nur ruhig. Sollte der herzhafte Je mand nicht Herrmann gewesen sein?

SUSE schnell und froh. Ja, Base, der Herrmann war's.

ELSE. Ei, was Du doch Alles mit geschlossenen Augen siehst! Den Herrmann hast Du also gesehen?

SUSE. Nun seht, einmal hab' ich nur so ein Wenig geblinzelt –[21]

ELSE. Gut für Dich, daß der Bursche – Unterbricht sich schnell. Nun erzähle nur, was Dir denn eigentlich geschah!? –

SUSE. Ist Euch das noch nicht genug? Mir schon!

ELSE. Nun deshalb brauchst Du Dich doch nicht so zu fürchten?

SUSE. Nein, deshalb gewiß nicht, Base, aber seht, Ihr dürft mich nicht auslachen; als ich noch dort saß, und mich wunderte, wie der Herrmann doch so schnell laufen könne, flog auf einmal eine ganze Wolke großer Raben krächzend über mich hin, und nach einer Weile schoß die Bürgermeisterin wie ein Pfeil an mir vorüber, dem Felsenweg zu, wo die Alte vom Berge wohnt. Sie lachte tückisch vor sich hin, bis sie zwischen den Felsen verschwand. Da war mir auf einmal so unheimlich, daß ich vor lauter Furcht anfing zu laufen, was ich konnte, und als über mir die Bäume zu sausen begannen, da meinte ich alle Augenblicke, es hätte mich Einer am Kopfe. Seht, deshalb fürchtete ich mich so, als – Eine große Nachteule ließ sich indeß auf die Schmiede nieder, schlägt mit den Flügeln und glotzt mit feurigen Augen herab. ich kam und Euch traf, Base – Sieht sich um. Aber ich glaube gar, Ihr fürchtet Euch auch. Sie schmiegt sich an sie an.

ELSE mit zitternder Stimme immer näher zu Suse hinrückend. Ich? Warum nicht gar! Du bist wohl nicht klug.

SUSE zitternd. Ach, liebe Base, sagt, was Ihr wollt, Ihr fürchtet Euch. Ausbrechend, mit weinerlicher Stimme. Na, da möchte ich wissen, warum sich unsereins schämen soll, wenn sich so eine kluge Frau, wie die Base fürchtet![22]

ELSE. Närrisches Ding, wovor denn? Sie sieht heimlich um sich, erschrocken. Suse, Suse! Siehst Du die Eule dort?

SUSE sieht sie. O weh! O weh! Das ist gewiß eine Gevatterin der alten Hexe vom Berge. Seht, wie uns das häßliche Thier anglotzt! Base, lauft davon mit mir, geht nach Hause, es ist immer besser in Gesellschaft einer ehrlichen Gans in der Küche sitzen, als sich von dem Beest angaffen zu lassen. Kommt Base, kommt!

ELSE zitternd. Mich durchrieselt es eiskalt, und doch kann ich die Blicke nicht von dem gräßlichen Vogel wenden.


Die Eule bewegt die Schwingen.


SUSE schreit auf. Gott steh uns bei, das Vieh versteht Deutsch! Sobald sie ruft; »Gott steh' uns bei«, fliegt die Eule mit starkem Flügelschlag davon. Da fliegt es hin, am Ende uns nach. Base, thut, was Ihr wollt, ich laufe. Läuft ab.

ELSE hinter ihr her. Suse, warte doch, ich gehe mit! Läuft ihr nach, ab.


Verwandlung

Eine finstere Felsenhöhle.

Schränke und Tische von seltsamer Arbeit an den Wänden umher. Vom Plafond herab hängt an eisernen Ketten eine riesengroße Eidechse, im Rachen eine brennende Fackel haltend, welche die Höhle matt erleuchtet. Auf den Schränken und Tischen sitzen große Katzen von verschiedenen Farben mit feurigen Augen. In der Mitte der Bühne ein schwarzer Kessel. Als es verwandelt, beginnt die Musik und ein unsichtbares Chor. Während des Chors steigt Die Alte vom Berge in grauer Vermummung aus der Erde. Sie sitzt auf einem Schemel, zu ihren Füßen kauern zwei Katzen, um ihren Hals schmiegt sich eine Schlange, neben ihr ein Stein, worauf eine Flamme lodert.
[23]


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Gesammelte dramatische Werke, Band 9, Leipzig 1863, S. 19-24.
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