Sechzehnte Scene

[80] Rudolph. Else aus der Kammer.


ELSE. Auch hier Niemand. Alles leer! Sie eilt in das Zimmer und ruft von ihrem Gefühle überwältigt. Rudolph!

RUDOLPH wendet sich. Was soll's?

ELSE stürzt an seine Brust und umschlingt ihn mit beiden Armen. Rudolph! Mein Rudolph! Ja, Du bist es noch! O Gott, die Freude wird mich tödten.

RUDOLPH schiebt sie von sich. Was soll das Possenspiel? Die Mummerei?

ELSE wirft das Pilgerkleid ab. Rudolph, kennst Du Deine Else nicht mehr?

RUDOLPH bitter. Wohl kenne ich Dich! – eben schwurst Du mit ewigem Haß mein Dasein zu vergiften. Du hast Dein Wort schon längst erfüllt.[80]

ELSE. Ich? Ich?! Großer Gott, nur jetzt laß mich nicht erliegen, nur jetzt erhalte meine Sinne! Rudolph, das war nicht ich – ich lebte fern von Dir seit drei Monden, mein Leichtsinn trennte mich von Dir, ach, und alles Leid der Erde hat sich indeß an meinen Schritt gekettet. Rudolph, mit bebendem Herzen nahte ich Dir. Wenn meine Kräfte schwanden, wenn meine Füße bluteten vom raschen Lauf – »zu ihm, zu ihm« jubelten dann tausend Stimmen in meiner Brust, und fort eilte ich durch Nacht und Sturm, durch Regen und Gewitter! O Rudolph! hab' ich das um Dich verdient! Dein treues Weib, die Mutter Deines Kindes stößest Du kalt zurück? Sieh die heißen Thränen, die mir gewaltsam aus den Augen stürzen – Rudolph, spricht diese Stimme nicht zu Deiner Seele, so möge der Tod meine Lippen auf ewig verschließen.

RUDOLPH im bittersten Kampfe. Gott! Diese Töne! – Else! Breitet die Arme nach ihr aus, schaudert zurück. Nein, Lügenbild, zu oft und bitter hast Du mich getäuscht. Hinweg!

ELSE bedeckt ihr Gesicht. O Herr, Du prüfest mich hart! Ist meiner Leiden noch kein Ziel?


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Gesammelte dramatische Werke, Band 9, Leipzig 1863, S. 80-81.
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