Siebente Scene

[24] Adolph. Rose, später Charles.


ROSE stand in sich versunken, unbekümmert um ihre Umgebung, erhebt jetzt den Kopf, fährt, wie aus einem Traum erwachend, mit der Hand über die Stirn, seufzt tief auf und wendet sich zu gehen.

ADOLPH sichtlich mit sich selbst kämpfend, tritt ihr entschlossen in den Weg. Ein Wort, Rose!

ROSE zuckt zusammen. Ah! – Sie! Geht.

ADOLPH mit bebender Stimme. Ein einziges Wort, Rose! – Ein letztes Wort!

ROSE bleibt unbeweglich stehen. Ein letztes?

ADOLPH bitter. Ja – ein letztes, wenn Sie wirklich reisen!

ROSE ruhig. Ich reise wirklich.

ADOLPH. Dann kehren Sie uns niemals wieder, die Heimath wird Sie fassen und halten – wir werden vergessen sein!

ROSE weich. O – nein, ich vergesse diejenigen nie, die mir Wohlwollen, die mir – ein Herz gezeigt. – Meine Gedanken werden oft hier sein!

ADOLPH wie oben. Und Ihre Person, der Zauber Ihres Umgangs, der Reiz Ihrer reinen Seele, ist für uns verschwunden wie ein blendender Lichtstrahl, der plötzlich in dunkle Nacht fällt – entflieht – und die Finsterniß noch schwärzer macht! Mit tiefem Schmerz. Rose, müssen wir denn scheiden?[24]

ROSE ihn groß ansehend. Das fragen Sie? Haben Sie nicht gehört, daß die Meinen mich rufen?

ADOLPH. Mein Ohr hörte – was meine Seele nicht fassen kann, daß wir Sie verlieren sollen!

ROSE. Was bewegt Sie so sehr? Mußte es nicht endlich so kommen? Ist hier meine Heimath? Ich habe ein deutsches Herz und das zieht mich zu den Meinen.

ADOLPH finster. Es ist ein kaltes Herz, Rose, das Ihnen die Trennung so leicht macht.

ROSE mit bebender Stimme. Sie zürnen, daß ich entschlossen bin meine Pflicht zu thun! Mit welchem Recht zürnen Sie mir?

ADOLPH sich fassend. Ich habe keines, und zürne nicht Ihnen sondern – mir selbst! Vergeben Sie mir, Rose, daß ich ungerecht gegen Sie war – und gewähren Sie mir eine letzte Bitte!

ROSE unruhig. O – wenn ich kann, gerne!

ADOLPH. Lassen Sie mich das Lied noch einmal hören, das Sie uns vorhin verweigerten, das Sie in der Pension sangen, in jenem Concert wo wir uns Seine Stimme wird weich. zum erstenmal begegneten. Lassen Sie den Zauber dieser Töne noch einmal beschwichtigend durch meine kämpfende Seele ziehen – lassen Sie es den Abschiedsgruß sein – auf Nimmerwiedersehen!

ROSE stand mit gesenktem Blick, tief athmend, geht jetzt nach einer kleinen Pause, entschlossen zu dem Flügel. Sei's! »Auf Nimmer wiedersehen!« Spielt das Präludium zu einem Alpenlied, das 10 bis 15 Tacte haben muß.

CHARLES tritt nach den ersten Tacten ein, bleibt einen Augenblick im Hintergrund stehen, nickt zufrieden, und geht dann vorsichtig ab, Seitenthüre links, ohne bemerkt zu werden.

ADOLPH steht anfangs mit unterschlagenen Armen ferne, finster vor sich niederstarrend, nach und nach macht er langsam einige Schritte näher, seine Bewegung steigert sich, sein Auge ruht leuchtend auf Rose.

ROSE nachdem sie das Präludium zu dem Lied gespielt, bricht plötzlich in Thränen aus, und verbirgt das Gesicht in beiden Händen. Ich vermag es nicht! Vergeben Sie mir!

ADOLPH hingerissen. Sie vermögen es nicht – weil dieser Abschied Ihnen das Herz bricht, wie mir, An ihr niedersinkend, umfaßt sie. weil Du fühlst, daß Du mich tödtest wenn Du gehst, denn ich liebe Dich, Rose!

ROSE will sich aufrichten und sich seinen Armen entwinden.

ADOLPH sie auf dem Stuhl festhaltend. Nein – nein, ich lasse Dich nicht – Du kannst nicht von mir gehen, Du kannst es nicht vollbringen, denn Du liebst wie ich liebe, Du bist mein! O, sage daß Du mich liebst!

ROSE legt plötzlich beide Hände um seinen Hals. Ja, ich liebe Sie, Adolph! Wie sehr – kann ich nicht sagen, könnt' ich's, so wär's ja nicht die rechte Liebe, die kein Wort hat für ihre Macht.

ADOLPH. O ich wußte, fühlte es, ich verstand Dich längst, ohne Worte! Du liebtest mich lange, ohne es selbst zu wissen!

ROSE sich sanft aus seinen Armen windend. Nein ich wußte es nicht, begriff nicht, warum mir das Dasein schöner dünkte, seit Sie in den Soiréen der Pension erschienen; erst als man sich eines Tages erzählte, daß die kleine Comtesse Julie, Ihre Cousine, das stille, bleiche, mutterlose Kind, das ich so lieb gehabt, Ihre Braut ist, da offenbarte sich mir das Geheimniß meines innersten Lebens! Da wußte ich plötzlich, daß Ihre Augen nur mich suchten, daß Ihr Herz mir gehöre und nicht dem[25] kranken träumerischen Wesen, das man für Sie bestimmte; da ergriff mich tiefes Mitleid für uns Alle, und ich verstand nun Ihr strenges Schweigen und liebte Sie doppelt darum; wären Sie jetzt schweigend von mir gegangen, ich wüßte es doch daß wir einander, Herz in Herzen eingedenk sind, für alle Zeit – und wir schieden ruhiger.

ADOLPH energisch. Wir scheiden nicht Rose! Wenn Du mein Schweigen verstandest, so mußt Du fühlen, daß nun wir es gebrochen, uns nichts mehr trennen kann.

ROSE staunend. Nun es gebrochen sind wir erst geschieden – auch wenn Sie keine Braut hätten.

ADOLPH wild. Ich habe diese Braut, der ich nie mehr als ein Bruder sein kann, nicht anerkannt. Begreifst Du denn nicht daß Du nach diesem Geständniß mein bist – einzig mein?

ROSE sieht ihn groß an. Ich kann niemals Ihnen angehören, das Bauernkind kann nie des Grafen Weib sein. Sie haben es gehört, was mein Pathe so gern verschweigt, der stolze Onkel hat es Ihnen ja vor Allen zu Gehör gegeben, wer ich bin! O ich habe ihn verstanden, wie ich Sie – und Mit zitternder Stimme die Hand auf das Herz legend. mich selbst jetzt verstehe – fort muß ich – fort – geschieden muß es sein, Plötzlich in Thränen. und so lebe wohl, »auf Nimmerwiedersehen.«

ADOLPH außer sich. Nein, nein! Kein Lebewohl! Du gehst nicht von mir. O, sage daß Du es nicht kannst, Rose! Umschlingt sie.

ROSE fest, aber mit Ueberwindung. Ich kann – was ich muß.

ADOLPH läßt die Arme sinken und tritt zurück. So gehe hin – und tödte mich! Geht nach links.

ROSE für sich. O hilf mir, Gott! Sinkt auf den Stuhl am Flügel.


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Gesammelte dramatische Werke, Band 10, Leipzig 1863, S. 24-26.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeschichte

Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeschichte

Der historische Roman aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges erzählt die Geschichte des protestantischen Pastors Jürg Jenatsch, der sich gegen die Spanier erhebt und nach dem Mord an seiner Frau von Hass und Rache getrieben Oberst des Heeres wird.

188 Seiten, 6.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon