Zweite Scene

[5] Baron. Krabbe.


KRABBE der im Begriff war, zu gehen, bleibt stehen, als der Baron seinen Namen nennt. Ih – da habe ich wohl die Ehre, den Herrn Baron zu sehen, der mich jede Weihnacht durch Ankauf von Pfefferkuchen und Lichte in Glognitz gütigst in Nahrung zu setzen beliebt? Ganz gehorsamster Diener!

BARON ihm näher tretend, ihn lorgnirend. Ei, mein Herr Krabbe, mein liebenswürdiger Weihnachts- Lieferant, Sie sind's? Ha, ha, ha! In dem Kostüm konnte ich Sie freilich nicht erkennen; Sie sind ja mehr Bär als Mensch! Wie können Sie Anfang Mai reisen, als ob es eine Grönlandsfahrt gälte?

KRABBE läßt, mit dem kläglichsten Gesicht, sein Gepäck zur Erde gleiten. Nicht wahr, es ist ein furchtbarer Anblick? – Ja, sehen Sie, Herr Baron, ich habe in meinem Leben keine so große Reise gemacht, und da meinte meine Alte, man müßte sich in jetziger Zeit auf alle Fälle vorsehen; Er sieht sich ängstlich um. und es ist auch gar nicht geheuer in dem Babel hier – ein solcher Pelz ist immer sehr nützlich, wenn so von ungefähr eine Kanonenkugel um die Ecke käme.

BARON lachend. Da hat Ihre Alte ganz recht; wer es aushalten kann, dem mag Ihr Kostüm sehr zuträglich sein! Aber weshalb schleppen Sie sich denn mit Ihrem Gepäck?

KRABBE sich umsehend. Pst! Es ist jetzt Anarchie in Berlin, da ist nicht zu trauen!

BARON lacht laut auf. Na, so fürchterlich wird's wohl nicht sein!

KRABBE. O es ist sehr fürchterlich! Meine Frau Gevatterin, die Pasewalkern, hat mir Dinge geschrieben – Oh! Ach, mein Sohn, mein verlorner Sohn!

BARON schnell ernsthaft. Sie suchen auch einen Verlornen?[5]

KRABBE kläglich. Ach Gott ja!

BARON. Nun, da müßten wir zusammen gehen, ich komme zur nämlichen Expedition her, ich suche ihn auch!

KRABBE verblüfft, faltet die Hände. Nicht möglich! Sie suchen meinen Sohn auch?

BARON lächelnd. Nein, den nicht, aber den meinen!

KRABBE. Ih – Herr Je, Sie haben auch einen Verlorenen?

BARON. So scheint es leider! Der Hofmeister meines Einzigen schreibt mir, daß Julius, statt zu studiren, seit dem März nichts thut als exerziren, patroulliren, Klubs anführen, kurz, mit einem Wort, unter die Demokraten gegangen ist.

KRABBE. Allgütiger! Grade als ob ich den Brief der Pasewalkern hörte; das Alles thut mein Julius auch!

BARON. Haben Sie denn auch einen Julius?

KRABBE. Ja, zu dienen, einen Julius Krabbe, der schon längst mit seinem Jus fertig ist, und statt nach Hause zu kommen zu Ostern, hier »Welt verbessert« und mein Geld in Massen verschleudert für Schleppsäbel, Fahnen, schwarz – roth – Gold und wie das Zeug Alles heißt, was jetzt in der Mode ist.

BARON hat indeß aus seiner Brieftasche einen Brief genommen, worin er nachsieht. Richtig, da haben wir's! Hören Sie einmal zu! Er liest. »Dieser Julius Krabbe ist der Verführer Ihres Herrn Sohnes, der hat ihn zu all den frevelhaften Tollheiten verleitet. Kommen Sie und retten Sie sich unsern soliden Julius, ich habe keine Macht mehr über ihn!« – Das schreibt mir der Magister Kahlmann, den ich ihm als Aufseher mit gab.

KRABBE sucht indeß in seiner Tasche und zieht einen zerknitterten Brief hervor. So steht die Sache? Ih, da habe ich wohl meinen Mann gefunden und kann dem Herrn Baron mit näherer Auskunft dienen! [6] Er liest. »Kommen der Herr Gevatter selbst anhero, ich kann mit dem Julius nichts mehr aufstellen, denn der ist ganz in den Stricken eines jungen lüderlichen Barons, mit dem er eine dicke Freundschaft geschlossen, mit dem er zusammen wohnt und der ihn zu allem Bösen verleitet!« – Das ist am Ende wohl Ihr Julius?

BARON ironisch. Sehr verbunden! – Wo wohnt denn Ihr Julius?

KRABBE. Dönhofsplatz 120, zweiten Stock.

BARON. Alle Wetter, da wohnt der meine auch!

KRABBE. Ih – da hätten wir ja einen Weg?

BARON. In doppelter Beziehung; wir suchen Beide den Verführten und wollen ihn Beide zur Vernunft bringen; ich denke, wir finden die Sache nicht so schlimm als sie uns geschildert. – Lassen Sie uns zusammen halten.

KRABBE mit einem Kratzfuß. Wird mir eine große Ehre sein! Ich nehme meinen Julius mit nach Hause, sei er nun Verführer oder verführt; das, was er jetzt hier noch lernen kann, kann er jedenfalls in Glognitz nicht brauchen.


Quelle:
Charlotte Birch-Pfeiffer: Vatersorgen. Berlin 1849, S. 5-7.
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