118. Schatz im Höllenloch.

[86] Schriftlich von der rauhen Alp.


Hoch oben auf der rauhen Alp, einige hundert Schritte vom düstern Walde entfernt, zieht sich ein schachtähnliches Loch tief in die Erde hinab. Man erzählt sich davon, daß vor langen, langen Jahren ein Mann aus der Ferne gekommen sei, der sehr weise gewesen; der sei Tag und Nacht auf den Feldern umhergelaufen und habe mit einer Wünschelrute den Boden untersucht, und sonderbare Gebete dabei gesprochen, und Zeichen dazu gemacht. Und da sei er auch an die Stelle gekommen, wo sich jezt das Loch befindet; damals aber war an der Stelle noch nichts zu sehen. Da fing der Mann zu graben an und fand einen ungeheuren Schatz; den bewachte der Teufel. Der Fremde aber mit seiner Wissenschaft nahm den Schatz mit sich fort. Nach vielen Jahren kam er wieder und war alt und jammervoll anzusehen, seine hohlen Augen blickten gar wild. Er suchte das Loch, aus dem er sich den Reichthum geholt hatte. Nachts zwölf Uhr aber, an einem Freitage, hörte der Schäfer, der auf dem nahen Felde hütete, ein herzzerreißendes Jammergeschrei. Er sah aus dem Loche Flammen auffahren, wie Blitze anzusehen. Andern Tags nahm er heilige Dinge, ein Kreuz und auch Weihwasser zu sich und sah nach dem Loche. Aber da hatte sich der Boden tief eingesenkt, so tief, daß gar kein Ende abzusehen war. Und wenn er einen Stein hinabwarf, so hörte er ihn wohl von Fels zu Fels springen; aber wann er aufhörte zu fallen, konnte nicht vernommen werden. Der Fremde blieb verschwunden; denn für den Schatz hatte er sich dem Teufel zu eigen schreiben[87] müssen. Das Loch wurde von nun an das »Höllenloch« genannt.

Später hüteten einmal Buben (aus Feldstetten) ihre Rosse auf dem Weideplatze, der um das Höllenloch herliegt. Zu ihrer Kurzweil warfen sie Steine in den Schlund. Da aber hörten sie die Steine wie auf Eisen auffallen, und der gottlose Frieder sagte, es sei eine Truhe, die sei aus Eisen und voll mit Geld, der krumme Hannes vom Walde habe es ihm erzählt. Der Knaben Gelüste nach dem Gelde wurde immer größer, so daß endlich Frieder sagte, er wolle es versuchen, in das Loch zu steigen. Sie banden die Zäume der Pferde aneinander und ließen an diesen den Frieder in's Höllenloch hinunter. Und als er am Stricke schüttelte, zogen sie ihn wieder herauf. Er erzählte, wie er eine große eiserne Truhe gesehen, und auf dem Deckel sitze ein schwarzer Pudel mit feurigen Augen; der sei aber, als er ihm näher gekommen, bei Seite gegangen und beinahe über die Truhe hinabgesprungen; aber da haben die Seile nimmer so weit gereicht, daß er die Truhe habe berühren können. Hätte er sie anfassen können, so hätten sie den Schatz sicherlich bekommen. Am andern Tage wiederholten die Roßbuben den Versuch, weßhalb sie auch mehr Stricke mitgenommen hatten. Aber siehe! das Loch hatte sich geschlossen. Frieder sagte: »In Gottes Namen!« Aber die Felsen blieben beieinander. »In keinem Namen!« sagte jezt Frieder. Auch das hatte keinen Erfolg. »In's Teufels Namen!« sagte zulezt wild der freche Bube, der sich nicht warnen lassen wollte. Jezt gingen die Felswände auseinander, Frieder wurde an den zusammengebundenen Stricken hinabgelassen. Lange warteten die Andern oben. Sie hörten nur ein dumpfes Geräusch in der Erde, wie wenn's in weiter Ferne donnert. Und eine[88] Schaar Raben flog krächzend aus dem Walde bis über ihre Köpfe und dann wieder in's Holz zurück. Die Buben zogen endlich, sie brachten die Stricke leicht zurück, aber Frieder kam nicht wieder.

Die Thiere vermeiden es, dem Loche nahe zu kommen, und oft hört man nächtlicherweile ein dumpfes Rollen und klägliches Heulen aus dem Höllenloche hervorkommen. Der böse Geist quält da seine zwei verlockten Opfer.

Quelle:
Anton Birlinger/ M. R. Buck: Sagen, Märchen und Aberglauben. Freiburg im Breisgau 1861, S. 86-89.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagen, Märchen, Volksaberglauben
Sagen, Märchen, Volksaberglauben