215. Der Brunnenkreuzer.

[205] Dienstag nach Trinitatis wurden alle Schöpfbrunnen in Rottenburg (a.N.) gereinigt. Alle Brunnentheilhaber in der ganzen Nachbarschaft waren zum Frondienst beschieden. Wenn einer frischerdings in die Nachbarschaft kam, so war er verbunden, in den Brunnen zu steigen und helfen »ausrumme«.[205] Waren es der ganz neuen Nachbarn mehrere, so mußte gelooset werden. Zwei Männer gingen herum und holten von jedem Brunnennachbar einen Kreuzer. Dafür wurde Wein und Bier gekauft und brav gezecht bis in die Nacht hinein. An dem Gelage nahmen Anfangs nur die Theil, die in den Brunnen hinabgestiegen waren, später auch die Andern, die nicht dazu gehörten. In der Regel war freundnachbarliche Treue, Liebe fester gemacht.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 205-206.
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