249. Die Geige.

[227] Von Herrn Cassier Hepp in Saulgau.


In Vöhringen, k. würt. Oberamts Sulz, hat der dortige Ortsvorsteher, wol wissend, daß Anwendung derartiger Strafmittel nicht statthaft ist, auf eigene Faust und eigenes Risiko alle Felddiebe mit der Strafe der Hinstellung an den Pranger belegt. Der Delinkwent wurde vom Ortsbüttel an einem beliebigen Sonn- oder Feiertag mit der sog. »Geige« um den Hals, an welcher die gestohlenen Feldfrüchte aufgehangen waren, vor der Pfarrkirche um die Zeit der Beendigung des Gottesdienstes aufgestellt und so der ganzen Gemeinde, den Erwachsenen als abschreckendes Beispiel, der Jugend zur Ergötzung und Verhöhnung zur Schau gestellt. Man warnte den Ortsvorsteher vor dieser Gewaltmaßregel, da er leicht in Strafe verfallen könnte, wenn die Sache höhern Orts zur Anzeige käme. Er antwortete aber: in seiner Gemeinde wisse man von nichts Anderem, es falle gewiß Niemanden ein, sich zu beschweren, da die Strafe von seinen Gemeindegenossen gebilligt werde. So lange sich Niemand hierüber beklage, gebe er dieses sehr probate Verfahren nicht auf. Schreiber dieses hatte 1853 Gelegenheit, sich vom Ortsvorsteher selbst sein autonomisches Verfahren bestätigen zu lassen.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 227-228.
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