304. Taufsitten zu Tuttlingen.

[313] Gleich nach der Geburt des Kindes wurden die nächsten Verwandten und Freunde davon in Kenntniß gesezt, welches für eine Einladung zum Besuch des Neugeborenen und der Wöchnerin galt. Nur das weibliche Geschlecht stattete Besuche ab und schenkte bei demselben der Wöchnerin Suppenbrod (2-4 kr.), das sich oft auf 1 fl. 30 kr. Brodwert belief. Dise Sitte ist ganz abhanden gekommen. Die Einladung erfolgt nunmehr nicht sogleich, sondern erst in einigen Tagen nach der Geburt.

War es am Tage der Geburt noch möglich, das Kind taufen zu lassen, so geschah es fortan, jedenfalls aber am andern Tag. Bis zur Taufe wurde dem Kind ein Gebetbuch oder das Gesangbuch unter den Kopf gelegt, damit die Hexen keine Macht an dasselbe haben sollen.

Nunmehr läßt man das Kind erst nach 8 bis 14 Tagen taufen und legt ihm auch kein Buch mehr unter das Kissen. Die Dote war in der Regel eine Schwester oder sonstige nächste Anverwandte der Eltern, bei den zwei Döten wurde das Gleiche beobachtet. War die Dote eine Jungfrau, so[313] trug sie einen weißen Schurz mit Spitzen und ein weißes Spitzhalstuch; die übrige Kleidung war durchaus schwarz. Der Kranz durfte nicht fehlen; bei Wohlhabenden war er außerdem noch mit Gold und Silber geziert; sie trug denselben an der Stirne um den ganzen Kopf herum, in der Breite von 1 bis 11/2 Zoll. Gegenwärtig ist die Dote, wenn sie eine Jungfrau ist, nur noch mit einem Ehrenkränzchen geziert, das sich nach der jeweiligen Mode richtet.

War die Dote keine Jungfrau mehr, so war es ihr nicht gestattet, einen Kranz zu tragen, auch nicht einen weißen Schurz und ein weißes Halstuch; sie mußte bloßen Hauptes mit hängenden Zöpfen einher gehen, während dieselben von der Jungfrau-Dote um den Kranz gewickelt waren. War aber die Dote verheiratet, so trug sie auf dem Kopfe eine Haube.

Vor dem Taufakt versammelten sich die geladenen Gäste in dem Hause der Wöchnerin, um da Bier, Wein und mürbes Brod zu genießen. Den Wein hatte die Wöchnerin mitzubringen, was aber jezt nicht mehr gebräuchlich ist; überhaupt fällt von der Taufe jeder Schmaus hinweg. Vor dem Abgange in die Kirche wurde ehedem das Kind von der Mutter in den Worten des dreieinigen Gottes gesegnet und in weiß überzogene Kissen eingebunden, welche mit einem rotseidenen und weißen Flor überhängt wurden. Diesen Taufzeug hatte die Dote mitzubringen, und wenn sie ihn zu diesem Zwecke sogar miethen mußte. Die Dote nahm das Kind auf den Arm, wenn es in die Kirche ging; neben ihr liefen die Weiber, Mütter und Schwestern der Dote – rechts und links. Kam man bis zur Hausthüre des Täuflings, so traf die Dote zwei ledige Bursche, die ihr ein rotes Band quer vor der Hausthüre hinhielten, bis sie ein Trinkgeld erhielten. Mittlerweile fielen auch Schüsse zu Ehren der Dote.[314]

Die beiden Döten, bei Zwillingen vier, erwarteten das Kind in der Kirche. Haustaufen waren eine seltene Ausnahme. Nach der Taufe gingen die Döte und die Dote mit dem Kind auf'm Arm in's Wirtshaus, begleitet von sämmtlichen Taufgästen, die sich alle um einen Tisch herum sezten, das Kind in der Mitte liegend. Die ganze Gesellschaft ließ sich das Essen und Trinken wol schmecken, ja oft bis zum Uebermaße. Bei eingetretener Dunkelheit trug die Hebamme das Kind nach Hause. Jezt geht man von der Kirche in's Haus der Wöchnerin, allwo Kaffee und Wein aufgetischt wird. Nur lauter ledige Taufzeugen gehen nach dem Taufmal noch miteinander in's Wirtshaus.

Nach der Taufe wurde und wird jezt noch die Wöchnerin von den Taufgästen reichlich mit Geld beschenkt. Während des Wochenbettes erhielt sie aber von ihnen mehrmals zu essen: von den Döten und der Dote drei Mal, von den Uebrigen zwei Mal.

Der erste Ausgang der Wöchnerin galt der Kirche.

Quelle:
Birlinger, Anton: Sitten und Gebräuche. Freiburg im Breisgau 1862, S. 313-315.
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