VI.

[524] Der Rheindampfer (einer der letzten der Saison) fuhr rheinaufwärts. Die Wandeldekoration der Burgen und Kirchen glitt vorüber. Schon wurde Lorch passirt.

Krastinik mußte bald einsam am Stern promeniren, da er die naiven Sonntagsreisenden des Dampfers nicht vertragen konnte.

Einen Vielgereisten peinigt manchmal das Geschwätz von Neulingen, wie prahlende Unwissenheit. Fahren Berliner nach Heringsdorf oder Misdroy übers Haff, so glauben sie eine ansehnliche Seereise zu machen und vergleichen dabei die Ostseedampfer mit den Dampfern auf dem Vierwaldstätter See, um durch diesen unmöglichen Vergleich ihre Vielgereistheit darzuthun. Aehnlicher Austausch ungeheurer Erfahrungen schwirrte auch hier hin und her, so daß der finstre Weltbummler es wie eine Beleidigung empfand, die glückliche Unschuld der harmlosen Reisenden neben seinen (doch auch noch recht jungfräulichen) Reisekenntnissen dulden zu müssen. Denn es bleibt doch immer wahr: Wer am meisten erlebte, schweigt.

Die Sonne ging zur Rüste. Alle Ferngläser richteten sich nach der Seite des Niederwalds, wo die Bildsäule der Germania den Rheingau bewacht. Eine kleine Musikbande, die an Bord gekommen war, spielte die Wacht[524] am Rhein. Patriotische Gespräche wurden laut, man erwog den nahenden europäischen Krieg und seine Chancen. Jemand zog eine Zeitung vom gestrigen Tage aus der Brusttasche, woselbst unser großer nationaler Sänger, Regierungsrath Adalbert von Alvers, seinen Gefühlen in einigen kurzen Strophen »Rheinfahrt« Luft gemacht:


Die ehernen Waffen blitzen

In scheidender Sonnenglut

Und über der Berge Spitzen

Rieselt es hin wie Blut.

Die Burgen starren wie Drachen

Wildzackig in die Flut,

Als wollten sie bewachen

Niflung's versunkenes Gut.


Hei, Gold der Nibelungen,

Dich hob der Enkel Stahl.

Der Tiefe ward entrungen

Der alten Krone Strahl.

Doch Hunnenstürme brausen

Von Ost und West zumal.

Noch muß der Balmung sausen

Durch Feinde ohne Zahl.


Während er schweigsam, die Hände auf dem Rücken, unter den Reisenden stand und ihre Gefühle theilte, ergriff den Grafen plötzlich die Einsicht, daß er ja gar nicht unter sie gehöre! Er hatte sich im letzten Jahre so gänzlich prussificirt, in Deutschthum eingelebt, daß ihm seine Nicht-Zugehörigkeit gar nicht mehr in Erinnerung[525] lag. Jetzt aber mußte er ja seine Entfremdung fühlen, jetzt wo er auf der Heimreise zum fernsten Ende des »Globus von Ungarn« eilte. Also auch dies Idol wurde ihm entrissen; sein Adoptiv-Vaterland, in das er sich eingelebt, wie in sein eigenes, wandte ihm langsam den Rücken.

Glückliche große Nation! Durch nichts vom Glück begünstigt, nur durch eigene Kraft zur Größe gelangt! Und als Symbol an ihrer Spitze den auferstandenen Barbarossa, den kaiserlichen Greis, der alle Geschicke Deutschlands von 1806-70 in sich durchkämpft. Und je älter er wurde und je schwerer seine Bürde, um so milder und gütiger wurde sein väterliches Gemüth. Wohl war er davon durchdrungen, daß er seine Krone direkt von Gottes Gnaden trage, mehr, als einem Sohne der Aufklärungszeit gestattet sein mochte. Aber dies Bewußtsein, daß er ein Gotterkorener, unterschied sich wenig von dem Bewußtsein jedes Heroen, daß ihm eine würdevolle Mission beschieden sei. Denn nicht zu vererben noch gähnend abgelehnten Rechten schien ihm die Krone, sondern neu zu erwerben und zu verdienen durch treue Pflichterfüllung des Thronberufes. Demüthig fühlte er sich nur als ein Gefäß der göttlichen Gnade und jeder persönliche Größenwahn lag hinter ihm in wesenlosem Scheine. Würdig und züchtig, ein Kriegsmann des Allerhöchsten, in makelloser Vornehmheit stand er auf seines Thrones Stufen, die Hand wohlwollend ausgestreckt zum Schirm des Schwachen. Das kleine durchdringende Auge unter der hochgewölbten breitknochigen Stirn und die langgedehnte[526] Nase erinnerten an das größte und weiseste der Thiere, welches die indischen Arier als Gottkönig des Thierreichs verehrten: den Elephanten.

Dem Grafen traten wahrhaftig Thränen in die Augen, als er zu dieser stillen Majestät echten Manneswerthes, der sich aus den Schlacken und Beschränktheiten seiner Jugend zu immer höherer Reinheit und Größe der Gesinnung emporrang, mit kindlicher Ehrfurcht aufsah. Welch ein Beispiel für fieberhaft tobenden Größenwahn! Hier war einmal ein Mensch, selbstgewiß und selbstbewußt, aber nie in Selbstvergötterung verstrickt, unentwegt voll gläubiger Demuth, voll frommer dankbarer Verehrung der unbekannten Mächte, die ihn und die Seinen so weise geführt.


Es dunkelte. Wie fackeltragende Gnomen tanzten Lichter an beiden Ufern umher. Krastinik saß allein, neben sich als einzige Genossin eine Flasche Aßmannshäuser. So heftig er jeden Rückfall in Dichterei verschworen, unwiderstehlich quoll ihm von beben den Lippen das Lied:


Ich bin so allein, so ganz allein

Auf der weiten Welt.

Gleichgültig rauscht vorüber der Rhein,

Gleichgültig gleißt der Sternenschein

Vom Himmelszelt.
[527]

Ich bin so allein, so ganz allein

Und mein Herz ist voll.

Verkannt und unverstanden sein,

O nagende plagende Seelenpein,

O bittrer Groll!


Ich bin so allein, so ganz allein,

In die schweigende Flut

Ueber Bord verschütt' ich den letzten Wein

Und schütt' in Gedanken hinterdrein

Mein letztes Blut.


Leiden sollst Du, Menschensohn, leiden, bis die Pulse stocken. Und doch will man nicht leiden. Wozu dies Alles, wozu sich immer erneuen in der Erscheinungen Flucht? Denn ahnen wir nicht, daß wir einst gewesen, daß wir schon lange begraben sind? Unfaßbare Erinnerung einer Seelenwandrung.

Ein lüsterner Falter, gaukeln wir alle unsterblich im flüchtigen Schein. Sind wir das Ewige, das immer neu von Hülle zu Hülle flattert?

In der uferlosen Fluth des Seins untergehn und wei terwogen – mit allen Welten ruhen im Schooße des Alls – mit Vergangenheit und Zukunft lichtgewobene Brücken schmieden – das allein heißt Unsterblichkeit.

Nach dem unsagbar Einen mag Dich die Sehnsucht umsonst berücken, doch ruhe in Dir selbst! Wie lange dauert's und Todesruhe drückt ihr bleiches Siegel auf Deine fiebernde Stirn.

Schein ist alles Wesen und stumm verlacht uns das Schicksal. Drum trage auch Du in starrem Schweigen[528] das ewige Einerlei. Schweig und stirb! Halte den Mund und arbeite! »Fähnrich, wenn Er stirbt, so sterbe Er ruhig!«

Wenn Du also denkst, dann werden alle Winde, alle Wellen Dich grüßen, die Dich einst als Jüngling mit frommem Schauer durchwogt, und brüderliche Sterne erhellen Dir das alte Märchenland der Sehnsucht.

Unser Leben ist selbst nur ein Sinnbild des Welträthsels, das sich langsam aus chaotischem Urschlamm der Sinneserregungen zum hellen Bewußtsein aufringt. Drum, Dichterherold, streue Deine Verse wie Samenkörner, die der Wind in weite ungeahnte Fernen führt! Die Ernte feiern wir drüben, wenn nicht hier. Drum dresche weiter!

Und siehst Du auch keinen Spiegel Deiner Strahlen, entzünde stets aufs neu der Weisheit Lampe! So lange ein Acker bleibt, ziehe breit und fest des Fortschritts Furche mit brennender Pflugschar!

– – Aber wenn man nun kein Dichter ist, kein Denker, kein Seher, und dennoch dasselbe Gefühl des Ewigen in sich trägt, ohne ihm artikulirte Laute zu leihen, was dann? Verfehltes Leben!

Das Schwanken des Lebensschiffes endet nie und die Seekrankheit des Pessimismus hebt immer von neuem an. Nur der sturmgehärtete Seemann schwingt sich furchtlos in den gefährlichen Raaen. Nur eine eigenthümliche Hoheit der Willenskraft, nämlich ideale Kampflust, macht furchtlos und fest, wie die feiende Feder des Simurgh den Rustem vor jeder Fährniß schützt.

Gewann er denn nicht lange schon die Einsicht, daß[529] künstlerische Thätigkeit für Höherdenkende ein entehrender Humbug und nur für technische Kunsthandwerker erfreulich sei? Im Wirken solcher Art Befriedigung suchen, das lag ja heut lange hinter ihm. Ihm däuchte, sein kurzes Herumplätschern im litterarischen Sumpf sei wohl nur ein wüster Traum gewesen. Was für ein Gackern und Schnattern und Truthahn-Kollern, mein Gott!

Auch gegen Leonhart wurde er jetzt ungerecht durch natürliche Reaction, während »dem großen Todten« immer noch Weihrauchdämpfe aus den Spalten aller bedruckten öffentlichen Meinung nachqualmten. Es giebt eine stürmische Vergötterungsmanie selbstsüchtiger Jüngerschaft, die an Petrus' Zweifelzorn darüber erinnert, daß Christus sich nicht der Kanaille mit Donner und Blitz enthülle! Solche Jünger und Jüngerinnen transfiguriren sich ihren Meister so zurecht, bis sie vor lauter selbstloser Bewunderung recht selbstsüchtig raisonniren, sobald der Meister mal nicht den Anforderungen ihrer schrankenlosen Begeisterung genügt. Dem Bedürfniß der Jünger gehorsam, muß er immer auf dem Quivive stehn, um beliebige Messiasthaten zu verrichten. »Und der König absolut, wenn er uns den Willen thut.« Gott schütze ihn vor seinen Freunden, mit seinen Feinden wird er schon selber fertig.

Drum sah jetzt Krastinik, nachdem ihm die Schuppen von den Augen gefallen und er sein umgekehrtes Damaskus gefunden, nur einen genialen Charlatan und krankhaften Bramarbaseur, wo er einen verzerrten großen Mann bedauern sollte. Mochte ihm Leonharts ewige Selbstbetrachtung widerlich geworden sein, er vergaß darüber[530] dessen Umgebung, das scheußliche Ungeziefer des modernen Kunstproletariats. Entweder Parnassauer, die es für ihr heiliges Recht halten, auf Kosten der ehrlichen Arbeit faul zu schlampampen und ihre Unfähigkeit fortzumästen – oder Macher, die ihr kleines Dichtergeschäft in hellen und dunkelen Stoffen wie die Goldne Hundertzehn annonciren. Krastinik wußte ja, wie nur verzweifelte Nothwehr den Unglücklichen dazu trieb, seine Schöpferruhe zu opfern, um mit der Peitsche die Zöllner und Wucherer aus dem Tempel zu jagen. Wozu also jetzt sein posthumer Groll über die Selbst-Herabschraubung seines Idols, das im Tagesgetümmel sich herumraufte, sich mit Koth bespritzen ließ und selbst mit Kothballen um sich warf? »Graf« Leonhart hätte das ja gewiß nicht nöthig gehabt und seine hehre Mission ohne Furcht und Tadel erfüllt. Seine Fehler waren die Früchte seines niedergedrückten Lebens und seiner berechtigten Menschenverachtung, seine Tugenden waren sein eigen.

Doch diese Reaction eines neuen Standpunktes diente als heilsame Krisis. Das Stadium der persönlichen Hero-Worship war hiermit endgültig überwunden.

Quelle:
Karl Bleibtreu: Größenwahn. Band 3, Leipzig 1888, S. 524-531.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Goldoni, Carlo

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Der Diener zweier Herren. (Il servitore di due padroni)

Die Prosakomödie um das Doppelspiel des Dieners Truffaldino, der »dumm und schlau zugleich« ist, ist Goldonis erfolgreichstes Bühnenwerk und darf als Höhepunkt der Commedia dell’arte gelten.

44 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon