Zehnte Szene

[74] Sülzheimer – Siedler – Hinzelmann – Klärchen.


HINZELMANN mit Klärchen von links. Ei! Ei! Meine Herren, hier geht es ja hoch her! Schau' doch nur, Klärchen ... Champagner! Und wie es scheint ... wirklicher Champagner!

SIEDLER. Ja, Herr Sülzheimer hat heut große Pläne vor!

SÜLZHEIMER. Ich will mir Courage trinken!

HINZELMANN. Sie wollen wohl auf den Dachstein?

SÜLZHEIMER. Noch höher.

HINZELMANN. Da nehmen Sie sich nur in Acht, daß Sie nicht abstürzen.

SIEDLER zu Sülzheimer. Ach Unsinn! Nur vorwärts! Auf Wiedersehen, meine Herrschaften ... Ab rechts.

SÜLZHEIMER zu Hinzelmann. Darf ich Sie und Ihr Fräulein Tochter einladen, ein Glas mitzutrinken?

HINZELMANN. Ja, ich weiß eigentlich nicht, ob ich es wagen darf, ich bin an Wein nicht gewöhnt. Champagner habe ich eigentlich nur einmal in meinem Leben – trinken wollen! ... Damals, als mein erstes Buch erschien.

SÜLZHEIMER. Ach, er wird schon schmecken, alter Herr. Und Ihnen auch, gnädiges Fräulein.

MÄRCHEN. Ich danke Ihnen – also auf Ihr Wohl.

SÜLZHEIMER anstoßend. Auf das Ihrige.

HINZELMANN kostend. Sehr schöner Wein! Weißt du denn auch, Klärchen, was du da trinkst? Das ist sehr teuer. Ich habe neulich auf der Karte gelesen, solche Flasche kostet acht Gulden. Macht für jedes Glas einen Gulden zwanzig Kreuzer. Beinahe so viel, wie die Reise von hier nach Salzburg kostet. Wenn man bedenkt, daß man da so mit einem Zug siebzig Kilometer verschluckt ... eigentlich Sünde.

SÜLZHEIMER. Darf ich Ihnen noch ein Gläschen? ...

HINZELMANN. Nein! Nein! Ich danke! Ich muß arbeiten! Ich soll der Frau Josepha ein paar Zeilen in ihr Merkbuch schreiben. Und dann hier. Auf einige Blätter weisend, die er auf den Tisch legt. Die heutige Ausbeute von meinem Spaziergange. Ich habe mir ein paar hübsche Hausinschriften notiert, einige Marterln, und auch ein sehr hübsches Volkslied habe ich gehört da drüben von einem Bettlerkind, das Lied vom Busserl. Besonders die letzten Zeilen sind sehr sinnig. Hören Sie nur: »Und wenn's nix mehr zum plauschen woast, nimm's Madel um den Hals, druck ihr a saft'ges Busserl auf, und's Madel woaß schon all's!« Das ist so lieb, so einfach.[75]

SÜLZHEIMER. Ja, es ist sehr einfach. Das muß ich sagen.

HINZELMANN. Das muß in meine Sammlung. Sie entschuldigen, Herr Sülzheimer. Setzt sich links und macht mit seinem Bleistift einige Notizen in sein Heft.

SÜLZHEIMER. Inzwischen trinken wir wohl noch ein Gläschen miteinander, Fräulein Klärchen?

KLÄRCHEN. Ich weiß nicht, das steigt zu Kopf. Ich glaube, ich habe genug.

SÜLZHEIMER. Aber Fräulein Klärchen, Sie müssen mit mir trinken, ich habe mit Ihnen zu reden.

KLÄRCHEN scherzend. Über den Champagner?

SÜLZHEIMER. Ja, das heißt ... der Champagner ist doch der Wein der Freude. Und wenn man so ein Glas trinkt Nach der Fortsetzung suchend. und dann wieder eins ... und wieder eins ...

KLÄRCHEN. Dann bekommt man Kopfschmerzen.

SÜLZHEIMER. Ja, das kommt auch vor. Beiseite. Ich bin schon abgestürzt.

KLÄRCHEN. Der Wein der Freude. Eigentlich ein hübscher Name für einen Wein.

SÜLZHEIMER schnell wieder den Gesprächsfaden anknüpfend. Darum wird er auch bei allen festlichen Gelegenheiten getrunken. Bei Geburtstagen – beim Jahreswechsel – bei Verlobungen, – da wird er immer getrunken, das gehört dazu! Und wenn ich denke, daß Sie sich eines Tages auch verlobten, und ich wäre dabei ...

KLÄRCHEN. Bei meiner Verlobung? Aber daran ist doch gar nicht zu denken, Herr Sülzheimer.

SÜLZHEIMER. Aber, warum denn nicht?

KLÄRCHEN. Wer sollte mich wohl heiraten!

SÜLZHEIMER. Aber, erlauben Sie, mein Fräulein! Beiseite. Jetzt ist es so weit! Trinkt schnell ein Glas.

KLÄRCHEN. Ich bitte Sie, mit der Sprache! Mein Mann müßte ja immer fürchten, wenn er mit mir in Gesellschaft kommt, seine Frau würde ausgelacht.

SÜLZHEIMER. Und darum wollen Sie ledig bleiben?

KLÄRCHEN. Ja, das ist mein fester Entschluß.

SÜLZHEIMER. Aber, ich bitte Sie, der läßt sich doch noch ablegen, der kleine Fehler.

KLÄRCHEN. Ach, was habe ich nicht schon alles versucht.

SÜLZHEIMER. Da haben Sie eben nicht den richtigen Lehrer gehabt. Wenn Sie mir das Amt überlassen wollten.[76]

KLÄREHEN lachend. Ihnen?

SÜLZHEIMER. Ich habe mir da eine sehr schöne Methode zurechtgelegt. Sie müssen lauter Sätze sprechen, die Ihnen gar keine Schwierigkeiten machen. Alles ohne S und ohne SZ. Und da gibt es so schöne Sätze. Fangen wir doch gleich mal an. In der ersten Stunde zum Beispiel, da sprechen Sie nur den Satz: Langsam pointierend. Ich habe dich gern ... Versuchen Sie das einmal.

KLÄRCHEN nachsprechend. Ich habe dich gern.

SÜLZHEIMER. Sehen Sie, es geht famos. Ach bitte, noch einmal!

KLÄRCHEN. Aber warum denn?

SÜLZHEIMER. Zur Übung. Also bitte!

KLÄRCHEN. Ich habe dich gern.

SÜLZHEIMER. Das könnte ich den ganzen Tag von Ihnen hören. So schön klingt das. Und weil ich mit der ersten Lektion so zufrieden bin, gehen wir gleich zur zweiten über.

KLÄRCHEN. Was soll ich denn da sprechen?

SÜLZHEIMER. Ich ... bin ... dir ... gut! ... Ist auch ein sehr schöner Satz ...

KLÄRCHEN versucht nachzusprechen. Ich ... bin ... Verschämt abbrechend. Nein!

SÜLZHEIMER. Aber da doch kein S drin vorkommt! Es wird schon gehen!

KLÄRCHEN zaudernd. Ich ... bin ... dir ... gut! ...

SÜLZHEIMER sich vergessend. Und ich erst Ihnen!

KLÄRCHEN abwehrend. Aber, Herr Sülzheimer!

SÜLZHEIMER. O pardon!

KLÄRCHEN. Sie nehmen doch keinen Unterricht!

SÜLZHEIMER. Ich war so im Eifer. Bloß weil der Satz so schön ist! Aber den schönsten Satz habe ich mir für die letzte Lektion aufgehoben. Es sind ja nur drei Worte ... aber wenn ich die einmal aus Ihrem Munde hören könnte!

KLÄRCHEN. Was können das nur für drei Worte sein?

SÜLZHEIMER. Ich ... liebe ... dich! ... Wenn Sie doch das einmal sagten!?

KLÄRCHEN verschämt. Nein, nein! Das nicht!

SÜLZHEIMER. Bitte, bitte! – Sagen Sie's doch! Wenn auch nur ganz leise? Und wenn Sie auch weiter nichts sprechen wollten als die paar Sätze, ich wäre für mein ganzes Leben damit zufrieden. Und Sie brauchen's mir ja nur nachzusprechen. Ich habe dich gern! Ich bin dir gut! Zieht sie an sich. Ich liebe dich![77]

KLÄRCHEN an seine Brust sinkend. Ich Sie ja auch!

SÜLZHEIMER. Klärchen!

HINZELMANN nach einer kleinen Pause hinüberblickend. Ja, was ist denn das?

KLÄRCHEN will sich losmachen. Ach bitte ...

SÜLZHEIMER. Nein, nein! Bleiben Sie noch! Und lassen Sie uns jetzt gar nichts mehr sprechen! Wozu denn auch? Sie haben's ja gehört: »Und wann's nix mehr zum plauschen woaßt, nimm's Madel um den Hals, druck ihr a saft'ges Busserl auf, und's Madel woaß dann all's!« Küßt sie.

HINZELMANN ist langsam näher getreten und steht jetzt hinter ihnen. Jetzt weiß ich aber auch alles!

KLÄRCHEN Hinzelmann umarmend. Papa!

SÜLZHEIMER. Herr Hinzelmann – ohne viel Worte, wir haben uns lieb.

HINZELMANN. Das scheint mir allerdings auch so! Wie ist denn das aber so rasch gekommen?

SÜLZHEIMER. Ich kann's nicht sagen! Die gemeinsame Fahrt durch den hellen Sommertag und all das Schöne rundum ...

KLÄRCHEN. Da ist uns das Herz so weit geworden.

SÜLZHEIMER. Und wir haben uns zueinander gefunden.

KLÄRCHEN. Ich weiß selbst nicht wie.

HINZELMANN. Ja, ja, der Reisezauber ...


Quelle:
Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg: Im weißen Rössl. Berlin 16[o.J.], S. 74-78.
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