Sechste Szene

[68] Giesecke – Siedler.


SIEDLER von links hinten. Sie sind hier, Herr Giesecke? Ich denke, Sie rudern?

GIESECKE. Nee, lieber Freund, das geht nicht mehr. Ich jond'le ja schon die ganze Woche auf dem See rum. Nun kann ich nicht mehr, ich habe ja schon Blasen an die Finger.

SIEDLER. Das tut mir aber leid.

GIESECKE. Schad't ja nicht, Doktor. Desto mehr Zeit hatten Sie, mit meiner Tochter zu reden. Und ich muß sagen, Sie haben Ihre Sache großartig gemacht.

SIEDLER. Wenn Sie nur zufrieden sind, Herr Giesecke ...

GIESECKE. Sie müssen sich ja eine riesige Mühe gegeben haben!

SIEDLER. Ich kann wohl sagen, ich habe das Meinige getan.

GIESECKE. Dafür ist das Mädchen aber auch wie verwandelt! Wenn ich früher vom Heiraten gesprochen habe, hat sie mich immer ausgelacht und mich gar nicht zu Ende kommen lassen. Aber jetzt hört sie mir ganz andächtig zu!

SIEDLER erfreut. Wirklich?

GIESECKE vertraulich. Ich kann Ihnen sogar noch mehr sagen: – das Mädchen ist verliebt.

SIEDLER. Ach nein!

GIESECKE. Verlassen Sie sich darauf, sie ist verliebt. Das Tagebuch, das sie führt, hat sie sonst immer offen herumliegen lassen. Seit zwei Tagen aber schließt sie es sorgfältig ein in den Koffer und trägt den Schlüssel immer bei sich. Na, das zeigt doch, daß sie etwas zu verbergen hat. Ein Herzensgeheimnis.

SIEDLER. Ja, das sieht fast so aus.

GIESECKE. Was meinen Sie, ob wir jetzt offen mit ihr reden?

SIEDLER. Nein, das weiß ich doch nicht, ob das nicht noch zu früh wäre. Sehen Sie, so ein Mädchenherz ist wie ein Acker, da muß man erst den Boden vorbereiten.

GIESECKE. Ja aber, Doktor, die Zeit drängt! Der junge Sülzheimer muß morgen abreisen. Heut müssen wir das entscheidende Wort reden!

SIEDLER. Ja, wenn Sie es wünschen!


Quelle:
Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg: Im weißen Rössl. Berlin 16[o.J.], S. 68-69.
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