Der dritte Abschnitt.

Von der Wahrscheinlichkeit des Characters

und der Handlungen der Engel.

[52] Miltons Geschicklichkeit den hohen Character der Engel unter ihren sichtbaren Gestalten beyzubehalten. Eines Ungenannten Beschuldigungen, daß Milton den englischen Cörpern solche Zufälligkeiten zugeleget habe, welche mit den himmlischen Tugenden dieser vortrefflichen Geister streiten. Beweiß, daß ihre Verwundung den Begriff von ihrer unvergänglichen Natur nicht umstosse. Ihre Wunden treffen nur die Maßke, die der Poet ihnen lehnet. Ihre Unsterblichkeit rühret von dem Willen Gottes, welchen ihre Verwundung nicht aufhebet. Thorheit den Höchsten, der die Unsterblichkeit in sich selbst hat, verwundet vorzustellen. Gewohnheit der christlichen Poeten, Gott in dem angenommenen Fleisch unter Schmertzen und Wunden vorzustellen. Widerlegung der Bezüchtigung, daß Milton in der Verwundung der Engel Homer nachgeahmet habe. Vortrefflichkeit der miltonischen Engel, selbst in Ansehung des[52] ihnen zugelegten Cörpers, vor Homers Göttern. Kleiner Unterscheid zwischen Miltons Teufeln und Homers Göttern. Entschuldigung Homers betreffend die Aufführung seiner Götter. Beweiß daß das Blut, das aus den Wunden der Engel fleußt, mit der Materie übereinstimme, von welcher sie nach der Vorstellung der Phantasie bestehen. Widerlegung des Vorurtheiles, daß die Verwundung der Engel durch Geschoß mit ihrer Subtilheit und Behendigkeit streite. Voltairen höhnisches Urtheil von der geringen Würckung des satanischen Geschosses, die er mit dem Kegeln vergleicht. Eines Unbekannten Einwurf, daß die Hand-Arbeit der gefallenen Engel in der Verfertigung des Pulfers allzu menschlich wäre. Voltairen Vergleichung der Engel, so Berge durch die Luft schleudern, mit den Dipsoden des Rabelais. Vertheidigung der Wortspiele, die Milton dem Satan und Belial in den Mund leget, wider Voltaire. Einwurf wider das Gefecht im Himmel, daß den Engeln in ihrer tiefen Ruh, Seligkeit, und Unwissenheit, was Wunden wären, der Gedancke mit einander zu schlagen, nicht habe in den Sinn kommen können. Einwurf des Hrn. Magny wider den Krieg im Himmel, daß er mit der Glückseligkeit des Ortes streite, wo er geführet worden. Desselben Einwendung, daß Milton hingegen die Hölle nicht unselig genug vorgestellet habe. Rettung des Trostes, den Satan vom Schicksal herholet. Rettung der mühsamen Botschaften, so die Teufel in dem finstern Abgrund hin und her tragen müssen. Irriger Schluß, den Magny von dem Uebergang des gefallenen Heeres aus dem Feuer-See an das Gestade von festem Feuer-Land zieht, daß das eine neue Strafe sey, welche sie mit keinem neuen Verbrechen verdienet haben. Wie ungeschickt derselbe eine sogenannte Seligkeit der Teufel in der Hölle daraus schleußt, weil Satan die Ohnmacht derselbigen[53] in dem feurigen Pful mit dem ironischen Nahmen eines Schlafes beleget hat. Seine Beschuldigung, daß Milton der Freude, der Symphonie, der Ruhe, in der Hölle einen Platz eingeräumet habe. Seine Anklage, daß die göttliche Rache den Satan nur gestreifet habe. Wie ungereimt er die Gleichheit der Hölle mit dem Himmel aus dem Golde schleußt, das zu dem höllischen eben so wohl als zu dem himmlischen Palast gebraucht worden. Seine falsche An merkung, daß Mammon die Neigung zu Gold und Reichtum schon in seinem himmlischen Stand der Unschuld gefühlet habe. Voltairen Beschuldigung, daß das Pandämonion ohne Nutzen, allzu kunstreich, und allzu klein gebauet worden. Wahrscheinlichkeit der Erdichtung, daß die geringern Fürsten des satanischen Heeres ihre grossen Gestalten in einen kleinern Raum zusammen gezogen haben. Falschheit der Regel des Hrn. Voltaire, daß eine Erdichtung, die in einem epischen Gedicht angebracht wird, verwerflich sey, wenn sie in einem abentheurlichen schön stehen würde. Ungereimter und schädlicher Gebrauch dieser Regel in den sogenannten Parodien. Ubereilter Schluß Magny, daß schwache und träge Engel seyn, weil es starcke und schnelle giebt. In welchem Verstand eine Verrichtung der Engel, die ihnen von dem Höchsten aufgetragen wird, könne widrig und verdrüßlich für sie geheissen werden. Magny Anklage des Ertz-Engels Vriel, und der Englischen Wache des Paradieses, daß sie sich von Satan haben hintergehen lassen. Seine Beschuldigung der himmlischen Heerscharen, daß sie über die erhaltene Zeitung von dem Fall der Menschen ihre Neugierigkeit blicken lassen. Grobe Anschwärtzungen des Poeten, daß er den Engeln die Erkänntniß des Sohnes nicht von der Zeit ihrer Erschaffung an zugeschrieben; und daß er in dem göttlichen Rath von der Erlösung des Menschen die dritte Person der Gottheit mit Stillschweigen übergangen hat.
[54]

Die alte Meinung, welche den Engeln einen Cörper zuschreibet, war Milton zu seinem poetischen Gebrauche desto leichter zu erlauben, weil er gewußt hat, dieselbe mit der grösten Geschicklichkeit anzuwenden, damit der vortreffliche Character, der uns von den Eigenschaften und Tugenden der Engel aus den H. Scribenten bekannt ist, nicht dadurch verletzet würde; indem er von dem Englischen Cörper alles dasjenige weggenommen, was ihm irdisches und beschwerliches und blödes anhängt, und ihm solche Vollkommenheiten zugeleget hat, welche sich vor diese unsterblichen Personen am bequemsten schicken. Die Gestalt des Cörpers, die er ihnen zuleget, ist die menschliche, welche göttliche und englische Personen vorzeiten würcklich gewürdigt haben, sich darinnen sichtbarlich zu zeigen. Er leget ihr eine Schönheit und einen Glantz bey, welche sie auf den höchsten Grad setzen, eine Grösse, die alle menschliche übertrifft, eine Stärcke, die Sterblichen nicht zukömmt, eine Jugend die nicht alt wird; eine Geschwindigkeit die mit der Schnelligkeit der Gedancken in Vergleichung kömmt; eine Kraft sich auszudehnen, und einzuziehen; die Unsterblichkeit, und die Unfähigkeit Schmertzen zu empfangen; und nachdem der Abfall die satanischen Aufrührer an ihrer vorigen Vollkommenheit übel verkürtzet hatte, setzet er doch noch in der Natur derselben einen Unterscheid, der sie weit über den[55] Menschen erhöhet, wiewohl sie Wunden empfangen, bleibet ihr etherisches Wesen nicht lange getheilet, sondern schließt sich bald wieder zu; das Blut, das aus demselben hervorsprützet, ist ein nectarischer Saft, wie himmlische Personen solchen bluten können; sie weinen Thränen, wie die Engel weinen; ihr angeschaffener Urglantz ist nicht gäntzlich vergangen, oder verdunckelt, sondern nur verdüstert. In den cörperlichen Eigenschaften des Himmels und der englischen Werckzeuge und Waffen bewerckstelliget er eben diese Erhöhung derselben über die irdischen. Der Himmel hat solche Tage, wie das grosse Jahr des Himmels hervorbringet; es wird da Morgen und Abend nur zum Wechsel, nicht zur Nothwendigkeit; die Nacht ist da nur eine Dämmerung; die Speisen überfüllen nicht; ein Rubin-Nectar sprudelt in den Bechern; der Fluß der Wonne führt einen ambrosialischen Strohm mitten durch den Himmel, über die elysischen Fluren; an demselben wächßt der unsterbliche Amaranth, und die unverwelckliche Rose; die Harnische der Engel flammen, und sie reiten auf feurigen Rössern. Allenthalben hat der Poete Sorge getragen, durch die Wörter Ambrosialisch, Etherisch, Elysisch, Nectarisch, Empyreisch, den Begriff zu etwas höhern als das irdische ist, von diesen cörperlichen Dingen zu erheben, und zu verhüten, daß sie nicht mit den gebrechlichen Cörpern der vergänglichen Sachen vermenget werden.[56]

Nichtsdestoweniger hat die Uebereilung in ihrem raschen Urtheil diese sorgfältige und weise Kunst des Poeten übersehen, und in seiner Aufführung der englischen Cörper nicht wenig ungereimtes zu finden gemeint. Ich will mit Untersuchung dieser Anklage den Anfang machen, das Vorhaben des Poeten die Wercke, Thaten und Leidenschaften, der Engel vor Augen zu stellen, in seiner Ausführung zu vertheidigen; und wie mit dieser Anklage mehr andere, so die Seligkeit, die Wissenschaft, die Scharfsinnigkeit und andere moralischen Tugenden der Engel berühren, übereinfallen, oder sonst von den Criticis damit verknüpfet worden, will ich nach Anleitung derselben zu andern Beschuldigungen fortgehen, und überall beflissen seyn zu zeigen, daß die Gedancken, Entschlüsse, und das gantze Betragen der englischen Personen Miltons so wohl stückweise vor sich selbst und einzeln, als in ihrem Zusammenhang unter einander betrachtet, mit denen Lehren und Nachrichten, welche der menschliche Verstand mit Hülfe der Heiligen Scribenten, von der Natur, der Verfassung und der Geschichte der Engel haben kan, in gehöriger Wahrscheinlichkeit zusammenstimmen. In den vorhergehenden Abschnitten hatte ich alleine die Wahl des Vorhabens an ihm selbst gerechtfertigt, die Ausführung desselben hat erst der Critick einen rechten Tummel-Platz eröffnet, wohin wir ihr unerschrocken nachfolgen, und[57] untersuchen wollen, was ihre Stärcke oder Behendigkeit gegen die kluge Kunst des Poeten vermöge.

Einer von Miltons Richtern, der seinen Nahmen hier nicht will geoffenbahret wissen, hat seine Beschuldigungen der cörperlichen Gestalten und Eigenschaften, die der Poet seinen Engeln zuschreibet, in folgenden Zeilen an mich geschrieben: »Es ist nicht genung, daß die Ausdrücke eines Poeten von den Leuten ohne Mühe können verstanden werden, die Bilder, mit welchen die Poesie unsere Einbildung einnehmen will, müssen überdieß mit der Vernunft übereinstimmen; nun kan ich nicht finden, wie sich dieses in allen Erfindungen des Engelländischen Poeten eräuge; denn ob wir wohl gewohnet sind, uns die Engel unter menschlichen Figuren vorzustellen, so stellen wir sie uns doch nicht so vor, als ob sie uns in allen menschlichen Eigenschaften gleich wären. Wir stellen sie uns vor, als solche, die eine Gestalt haben, so der menschlichen ähnlich ist, aber einen unverweßlichen, feinern und luftigern Leib. Derowegen muß man gestehen, daß das Blut oder der Nectargleiche Saft, der aus ihren Wunden fleußt, was es vor einer seyn mag, weder mit dem Begriffe von ihrer unvergänglichen Natur übereinkommt, noch mit der Materie, von welcher sie nach der Vorstellung unsrer Einbildung bestehen.[58] Wann man hier auf nichts anders, als auf die Eigenschaften eines Cörpers zu sehen hätte, so könnte Gott selbst, der von den Propheten in menschlicher Gestalt beschrieben worden ist, ohne Uebelstand verwundet, und blutrünstig vorgestellet werden; wie ungereimt aber dieses herauskäme, mag jedermann vor sich urtheilen. Der Poet hat vielleicht Homer nachahmen wollen, welcher dichtet, daß Mars von Diomedes verwundet worden; aber er machet sich mit ihm lächerlich, statt daß ihn desselben Exempel entschuldigen könnte. Weiter ist die Thorheit unglaublich, da die gefallenen Engel Geschoß, das unserm gleich ist, wider die getreuen brauchen wollen, welche wegen ihrer feinen Cörper und natürlichen Hurtigkeit keinen Schaden davon empfangen konten. Mithin sind die Heiligen Engel eben so alber, daß sie wider die andern Berge werfen, welche sie doch aus erzehlten Ursachen nicht verwunden konten. Es ist niemand, ich will nicht sagen, unter den Gelehrten, sondern unter dem gemeinen Volck, der mit der Vorstellung eines englischen Leibes, nicht den Begriff einer Behendigkeit und feinen Zartheit verknüpfe, welche mit den Püffen der geschleuderten Berge allerdings streiten, zumahl diese sich nicht anderst als feste und dicke Cörper begreiffen lassen.« Der ungenannte Urheber dieser Einwürffe zeiget darinn sein reiferes Urtheil indem er für bekannt annimmt, was wir in[59] dem vorhergehenden Abschnitt uns genöthiget gesehen, wieder den Herren Magny sorgfältig zu beweisen, nemlich daß dem Poeten erlaubet sey, die Engel, diese unsichtbaren Geister, in cörperliche Gestalten einzukleiden, damit er dieselben der Phantasie auf eine sichtbare Weise vorstelle. Die Bedingung, mit welcher er ihm besagtes Recht zutheilet, nemlich, daß dem Cörper der ihm geliehen wird, keine Eigenschaft zugeschrieben werde, welche mit der Unsterblichkeit, der Zartheit, der Behändigkeit, oder einer andern englischen Kraft und Vermögen streitet, ist ebenfals gantz nothwendig und vernünftig. Ich bin es zufrieden und fodere es selbst daß unser Poet nach dieser Grund-Regel gerichtet werde. Dieser neue Gegener führt erstlich die Verwundung der Engel an, und vermeint daß solche ihrer unvergänglichen Natur zuwider laufe. Wann er hier nicht aus der Acht gelassen hätte, was er selber eingeräumet hat, daß die Gestalten, unter welchen die Engel vorgestellet werden, nur poetische Verkleidungen sind, so hätte er leicht gesehen daß es mit diesen Verletzungen der Engel eine gantz andere Bewandniß hat, als mit den Verwundungen der Menschen; Bey den Menschen macht der Cörper einen wesentlichen Theil aus, er ist nicht eine blosse ihnen gelehnte Maßke, hingegen ist der Cörper, der den Engeln von dem Poeten zugetheilet wird, nur etwas fremdes und entlehntes; daher gehen die Verletzungen dieser leztern nicht auf etwas wesentliches,[60] wie die Verletzungen der Menschen, nichts wird bey ihnen getroffen, als die poetische Larve, unter welcher diese unsichtbaren Geister der Phantasie zu sehen gegeben werden. Also streitet die Verwundung derselben keinesweges mit dem Begriffe von ihrer unvergänglichen Natur, welche durch die Verwundung nichts leidet. Daneben hat der Poet sich sehr wohl in Acht zu nehmen gewußt, daß er dieser Maßke nichts zuschriebe, was den Begriff von der Unverweßlichkeit und Unsterblichkeit der Engel zerstören oder vermindern könte. Er behält zwar in seiner Vorstellung des englischen für die Phantasie zugerichteten Cörpers den Begriff des zusammengesetzten und theilbaren, aus welchem die Vorstellung der Verletzung fleußt, aber er weiß die Verwundung mit der Unsterblichkeit zu reimen, indem er die verletzten Theile des etherischen Cörpers nicht lange getheilet bleiben, sondern kraft ihrer Unsterblichkeit bald und von sich selbst wieder zuheilen läßt. Was vor einen deutlichern Vorzug konte er diesem englischen Cörper vor unserm menschlichen zulegen, als mit folgenden Zeilen im sechsten b. »Geister, in welchen ein jeder Theil durchgehends Leben führt, und lebet, nicht wie in den gebrechlichen Menschen nur das Eingeweide, das Hertz oder Haupt, die Leber oder die Nieren, können nicht sterben, sie werden dann gänzlich zernichtet; sie empfangen auch keine tödtlichen Wunden in ihr flüssiges Gewebe, so wenig[61] als die blühende Luft verwundet werden kan. Ihr Leben ist lauter Hertz, lauter Haupt, lauter Ohren, lauter Sinnen, lauter Verstand.« Wann wir ferner betrachten, daß die Unsterblichkeit keine innerliche Kraft ihres eigenen Wesens ist, sondern daß ihnen allein der Wille des Allmächtigen davor gut ist, so werden wir noch besser begreiffen, daß ihre Verwundung wohl damit bestehen kan, weil solche den Willen Gottes ihrer Unsterblichkeit halber nicht aufhebet, welches der Poet uns damit geschickt zu verstehen gegeben hat, indem er sagt, daß sie von ihrer Verletzung keinen Schmertzen empfinden, so daß sie nichts mehrers zu sagen hat, als eine kleine Ungelegenheit; gestalt diese Unfähigkeit Schmertzen zu empfinden ebenfalls von dem Willen des Höchsten herrühret, daher die gefallenen Engel dießfals eine unselige Veränderung verspürten, sobald Gott diesen Willen nach ihrem Abfall zurücke nahm, da sie alsobald dem Schmertzen unterwürffig wurden. Hieraus erlernen wir zugleich, warum es nicht nur etwas übelstehendes, sondern der höchste Grad der Thorheit und Gottesvergessenheit wäre, wann ein Poet Gott blutrünstig und verwundet vorstellen wollte; dann er hat die Unsterblichkeit von sich selbst, aus eigener Kraft, und nicht von dem Willen jemandes, er ist unveränderlich, Anfälle und Zufälle vermögen nichts wider ihn; seine Natur ist über die vollkommenste Natur der Engel unendlich[62] erhaben. Nun hat die Poesie kein Recht die Natur der Dinge, auch der geringsten nicht geschweige der vornehmsten, zu verkehren. Nichtsdestoweniger, wann Gott selbst in einem christlichen Gedicht eingeführet wird, wie er in dem Fleisch, das ist, in der Natur des Menschen auf Erden erschienen ist, so kommt es den christlichen Lesern nach den Geheimniß-Lehren ihrer Religion gantz geläufig vor, daß er in dieser angenommenen zerbrechlichen Natur, in dieser unterthänigen und knechtischen Gestalt Schmertzen gelitten, Wunden empfangen, Blut vergossen hat: Zumahl sie diesen Begriff nicht weiter als auf das angenommene Fleisch erstrecken, und damit den Begriff von den unsterblichen und unverletzlichen Rechten der Gottheit keinesweges verringern. Wer ärgert sich, wann zum Exempel Heinsius in dem Lobgesange Jesu Christi die κοινωνίας ἰδιομάτων in solchen Redens-Arten ausgedrücket hat:


Judea gantz verstockt, blutgierig, blind ohn Ende,

Ermordet ihn noch selbst, legt selbst an ihn die Hände,

Geht wider alles Recht, durchbohrt mit eigner Hand

Der von dem Himmel war, zu ihnen hergesandt;

Der mit der gantzen Last des Vaters Ungenaden

Und unsrer bösen That am Holtze hangt beladen,

Gepreßt, verspeit, gedrückt, veracht, geschmäht, in Spott,

Verlassen in der Welt, und wegen ihr von Gott.

Diß alles was hier ist, sieht seinen Schöpfer hangen,

Die Himmelweite Luft, doch klein ihn zu umfangen,

So jetzt wird mit Gewalt; (o Leid, o grosse Noth!)

Gezwungen, anzusehn ihr's eignen Vaters Tod.
[63]

Hieraus mag man urtheilen mit was vor Unbilligkeit der ungenannte Gegener unsern Poeten verunglimpfen will, als ob er in der Verwundung der Engel den griechischen Dichter nachahmen wollen. Der mythologische Abgott, von welchem Homer schreibt, daß ihm ein griechischer Held eine Wunde beygebracht habe, stehet mit dem gantzen Haufen der heidnischen Götter, nach dem besten Begriff seiner Anbeter selbst, weit unter dem Character der miltonischen Engel, dieser Diener und Knechte des höchsten Gottes; das Heidenthum hat die Cörper seiner Abgötter von den gebrechlichen Eigenschaften des menschlichen Leibes bey weitem nicht so verständig gereinigt, als Milton mit den englischen Cörpern gethan hat. Ihr Leib ist die Sterblichkeit ausgenommen im übrigen grobirdisch. Und wann wir uns erinnern daß die heidnischen Poeten sich kein Bedencken gemachet haben, dieselben auch dem Schmertzen zu unterwerffen, wie denn der von Diomeden verwundete Mars seinen empfundenen Schmertzen durch sein gräßliches Geschrey genug verrathen hat, so werden wir nicht nur gestehen müssen, daß Miltons selige Engel diese falschen Götter an unsterblichen Eigenschaften übertreffen, sondern daß seine Teufel selbst auf dem Grad der Hoheit und Macht stehen, worauf die heidnischen Priester und Poeten ihre Götter gesetzet hatten. Diese hatten alle Affecte, Leidenschaften und Schwachheiten der Menschen an sich,[64] und ob sie schon unsterblich waren, verwahrete sie die Unsterblichkeit nicht vor Schmertzen, nur ist zwischen ihnen und Miltons gefallenen Engeln der Unterscheid, daß dieser Poet den Schmertzen sich bey den Teufeln würcklich hat einstellen lassen, und zwar ohne aufhören, wiewohl in gewissen Graden; da hingegen die heidnischen Götter nur für eine kurtze Zeit und in weit geringern Graden Schmertzen empfanden. Auf diese Weise hat Milton sich vor dem Tadel bewahret, welchen Saint-Evremond dem Homer und andern alten Poeten angeworffen hat, wann er im vierten Th. bl. 341. saget: »Mich nimmt sehr wunder, daß die alten Dichter sich so sorgfältig um die Wahrscheinlichkeit in den Handlungen der Menschen bekümmert, und hingegen in den Handlungen der Götter dißfals so wenig Sorgfalt erzeiget haben. Selbst diejenigen, welche von ihrer Natur am weisesten geschrieben, haben nichtsdestoweniger von ihrem Betragen recht loses Zeug geschrieben. In den Lehr-Sätzen von ihrem Wesen und Eigenschaften machen sie selbige unsterblich, unendlich, allmächtig, allweise, allgütig, aber so bald sie dieselben in einer Handlung aufführen, so ist keine Schwachheit, der man sie nicht unterwerffe, keine Thorheit, noch Boßheit, die man sie nicht verrichten lasse.« Doch muß ich zur Entschuldigung dieser Poeten anmercken, daß sie vor den gemeinen Haufen[65] der Menschen geschrieben haben, welche mit dergleichen Gedancken von den Göttern eingenommen gewesen waren; der Spruch Epicurs, den derselbe Saint-Evremond bey diesem Anlaß anbringet, impium esse non eum, qui multitudinis Deos tollit, sed eum qui multitudinis opiniones Diis adhibet, hat nur in dem Fall seinen guten Grund, wann man die Poeten als Lehrer der Religion ansiehet, nicht aber, wann sie die Fabeln der Religion nur zu Materialien und Exempeln ihrer Absicht gemäß gebrauchet haben, und auch in jenem Fall trifft sie so wohl die Priester und die Obrigkeiten, welche dieselben Fabeln angenommen und beschützet haben, als die Poeten.

Eben so wenig als die Unsterblichkeit, verwahrete die Subtilheit und Behendigkeit die englischen Cörper vor Wunden und vor Schmertzen. Mein Gegener ärgert sich an dem Nectargleichen Saft, der aus den Wunden der Engel fliesset. Er meint daß solcher mit der Materie nicht übereinstimme, von welcher sie nach der Vorstellung unsrer Phantasie bestehen. Alleine wie er recht hat, wann er überhaupt den englischen Leib als subtiler, reiner und luftiger betrachtet, so irret er hingegen, wenn er nicht alle Theile, Gefässe, und kleinste Substanz, woraus die englischen Cörper bestehen, vor eben so fein in ihrer Art ansiehet; dann sobald man die Materie der englischen Cörper vor Materie nimmt, die mit der menschlichen Materie eine Aehnlichkeit hat,[66] so kan die Phantasie nicht anderst, als die kleinsten Theile und Gefässe derselben sich in denselben von einerley Verhältniß mit den Theilen und Gefässen des menschlichen Leibes vorstellen, wiewohl von einer subtilern Art, welche der Poet durch das Wort Etherisch andeutet, und also läßt er in diesen Gefässen ohne Ungereimtheit einen Saft fliessen, wie in den Adern des menschlichen Leibes Blut rinnet; damit er doch dessen subtilere Art anzeigete, hieß ers einen Nectargleichen Saft. Aus diesem Irrthum entspringet ferner das Aergerniß meines Gegeners, daß die Engel einander mit Geschoß, und Gewehr, das unserm gleich ist, zu verletzen gemeinet haben, zumahl dieses sich mit ihren subtilen Cörpern und ihrer natürlichen Behendigkeit nicht reimen lasse, sowenig als die geschleuderten Berge. Die Vorstellung ist falsch, daß das himmlische Gewehr unserm irdischen gleich sey. Gleichwie wir einmahl den englischen Leib vor lustiger, und subtiler begriffen haben, als den menschlichen, also müssen wir diese Subtilheit in den Werckzeugen, Rüstungen, Waffen, Bergen, Flüssen, und überhaupt in allen Gegenständen des Himmels ebenfalls begreiffen, nemlich in ihrer Art, und nach einem gewissen Verhältniß und Fortgang, wie das Verhältniß und der Fortgang in den irdischen Cörpern auch ihrer Art gemäß bestehet. Es ist gar nicht ungereimt, daß etherische Cörper mit etherischen Waffen auf einander[67] loßgehen, dergleichen Gewehr war dergleichen Natur gemäß. Wird der englische Cörper subtiler gesetzet, als der menschliche, so wird zugleich dem Schwerdt, das ihn verletzen soll, eine grössere Subtilheit, als ein stählines Schwerdt hat, zugeeignet, und wie das stähline Schwerdt gegen dem menschlichen Leib, also das etherische gegen dem himmlischen in ein gewisses Ebenmaß gesetzet. Auf gleiche Weise wird die Festigkeit und Dichtigkeit der geschleuderten Berge vor Etherisch genommen, und hat mit dem etherischen Cörper ein gewisses Verhältniß, wie die irdischen Berge mit dem menschlichen Cörper. Was insbesondere die Behendigkeit der englischen Cörper anbelanget, so will ich nur vorstellen, daß sie eben so geschwind waren, einen Streich, Stoß, oder Wurff anzubringen, als einem auszuweichen.

Auch der Herr Voltaire hat wider das satanische Geschoß einige widrige Urtheile gefället, welche er mit einer höhnischen Art vorgetragen hat. »Die Artillerie Satans, sagt er, ist desto abgeschmackter, weil sie keinen Nutzen hatte, zumahl sie den Feind nicht verletzen sondern alleine von der Stelle heben konnte. Wahrhaftig das ist so viel als kegeln, und die Sachen, die auf Erden so groß und erschrecklich sind, werden in dem Himmel sehr klein und sehr verächtlich.« Ich bekenne daß diese verkehrte Vorstellung sie lächerlich machet, wenn ein solches[68] kindisches Bild von einem niedrigen Spiele auf die schwere Niederlage der Engel zugeeignet wird: Aber dieses ist Voltairen und nicht Miltons Werck. Denn was hat die Ueberwerffung cörperlicher Sachen, wie hier die Engel sind, an sich selbst verächtliches in sich, und wer hat jemahls einem Helden, den eine Stuck-Kugel zu Boden geschlagen, solches verwiesen? Wenn Homerus den Fall des von Ajax erlegten Simoisius mit dem Fall eines Pappel-Baumes und den ausgestrecket ligenden Sarpedon mit einem Eichbaume vergleichet, so findet niemand was lächerliches darinn, weil die natürliche Art des fallens und ligens dadurch geschickt vorgestellet ist; hätte er das Gleichniß-Bild von einem umgeworffenen Kegel genommen, so hätte die Niedrigkeit desselben die Beschreibung lächerlich gemachet, denn man hätte die Aehnlichkeit nicht im fallen alleine gesuchet, sondern auf das Spiel erstrecket. Uebrigens thut die Artillerie dem aufrührischen Heer auch einigen zwar sehr geringen Nutzen, da sie ihre Feinde alleine von der Stelle hebet, und einige Ungelegenheit und Unordnung bey ihnen verursacht, mithin aber hat sie einen desto grössern Nutzen für den Poeten, indem sie überaus bequem ist die gestählte Kraft der englischen Cörper in das rechte Licht zu setzen. Was die grausamen Würckungen des Geschützes unnütze machet, dienet ihre Erhabenheit zu zeigen; das einzige, was der Gewalt an ihnen[69] auszuüben übrig geblieben war, ist, daß sie konten von der Stelle gehoben wer den; und Cörpern ist nichts natürlichers als die Veränderung der Stelle. Aergeret sich Voltaire an der Niedrigkeit der Stellung im fallen und ligen, und soll sein Gleichniß die Schwachheit der fallenden Engel anzeigen, so muß er sich bedeuten lassen, daß einen Fall alleine die Ohnmacht, die damit verknüpfet ist, niedrig machet; bey den fallenden Engeln aber fand sich keine Ohnmacht. Wann wir auch betrachten, daß die guten Engel ihre Unfähigkeit mit Schmertzen überfallen zu werden, nicht von ihrer eigenen Natur sondern von dem Willen des Höchsten gehabt, so werden wir uns nicht wundern, daß die Würckungen der Artillerie auf sie nicht grösser gewesen sind; und dieses wird diesem Geschoß an seiner erschrecklichen Macht nichts nehmen, wiewohl es der Hoffnung seiner Erfinder kein Genügen gethan hat. Was vor einen höhern Begriff von der Wundfreyen Kraft der seligen Engel hätte uns der Poet machen können, als durch die Erdichtung, daß die erschreckliche Macht des Geschosses, auf welches die Erfinder dessen in ihren Gedancken eine so grosse Hoffnung gesetzet hatten, nichts wider sie vermocht hat? Das ist der Begriff, den der Poet dadurch hervorbringen wollen, und in der That hervorbringet, alleine Voltaire hat die Sache über die Achsel im halben Licht angesehen.[70]

Ich erinnere mich noch einer Critick, die über die Erfindung des Geschosses, insonderheit des Pulvers, die Milton dem Ertz-Teufel zuschreibet, gemachet worden; man hat die Handarbeit der gefallenen Engel vor allzu menschlich angesehen, da sie in den Abgründen des Himmels Ertz gruben, Schwefel und Salpeter mit subtiler Kunst durch einander mengeten, und nachdem sie solche gebacken, gedörret, und zu einem Körnlein gerieben, sie auf einen Haufen schütteten. Man hat bey der Englischen Erfindungs-Kraft und Geschicklichkeit zu tausend Künsten etwas scharfsinnigers, neures und unbekannteres gesucht, als eine solche menschliche Manier das Pulver zu verarbeiten anzeiget, welche von der geringern List der Menschen würcklich erfunden worden und täglich gebrauchet wird. Dieses befindet sich ausser dem Gedicht Miltons in der That also, aber nach der Erdichtung desselben sind die bösen Geister die Erfinder und ersten Arbeiter des Pulvers, die Menschen aber nur die Nachahmer dieser Erfindung, welche derowegen mehr verdienet, satanisch und teufelisch, als menschlich geheissen zu werden. Nach diesem Lichte solte der Criticus die Pulver-Verarbeitung der abtrünnigen Engel angesehen, und seinen Geist nach der Erdichtung des Poeten bequemet haben. Solches solte ihm auch nicht schwer angekommen seyn, nachdem es eine sehr gemeine Rede ist, daß der Teufel den Menschen das Schiessen[71] gelernet habe, welche uns zu erkennen giebt, daß man die Erfindung des Pulvers ins gemeine für etwas ansiehet, das dem Character dieses bösen Geistes nicht unanständig ist. Auf diese Weise hat es auch Opitz gefasset, wenn er sich nach poetischer Art ausdrücket:


– – – – – – – – – Alecto aus der Höllen

Hat, glaub ich, selber erst geblasen in die Glut,

Da als der böse Mensch das Ertz in heisse Flut

Gezwungen und den Zeug des Todes hat gegossen.


Vesuvius.


Von dem Grade der Scharfsinnigkeit, der zu einer solchen Erfindung gehörete, bitte ich Voltairen nicht zu urtheilen, eh er sich das Exempel des Erfinders der Neuen Welt wohl vorgestellet hat; solchen, welche sie vor ihrer Erfindung vor unmöglich würden angesehen haben, dauchte sie am allerleichtesten zu erfinden, nachdem sie einmahl war erfunden worden. Was vor erhabene Gedancken auch Menschen selbst von dieser erstern Erfindung aus ihren erschrecklichen Würckungen fassen, welchen sie noch unbekannt und verborgen ist, werden ihm die Einwohner derselben neugefundenen Welt sagen können; Opitz erkläret uns ihr Urtheil in dem Lob des Krieges-Gottes v. 782 – – 785.


Die Stücke gaben Blitz, die Schiffe speyten Feuer,

Das blaue Saltz erschrack, das arme Volck lief fort,

Und glaubte daß die Schar der Götter um den Port

Sich sämtlich liesse sehn. – – – – – – – – – – – –
[72]

Die von den streitenden Engeln durch die Luft des Himmels loßgeschleuderten Berge hat Voltaire ebenfals mit einer ungeschickten Vergleichung angegriffen. Er sagt, »die mit Bergen bewafneten Engel glichen allzusehr den Dipsoden des Rabelais, welche mit Harnischen von Klippen sechs Schuh dick wären angethan gewesen.« Hier verräth sich des Censors Untreue ersten Anblicks, indem Milton seinen Engeln die Klippen nicht vor Harnische anziehet, sondern von ihnen vor Waffen gebrauchen läßt; Uebrigens hat niemand lächerlich gefunden, daß die himmelstürmenden Giganten den Berg Pelion auf den Ossa getragen haben, und Longinus hat eben dieses bewundert, wann er in der achten Abtheilung wider Cecilius anmercket, daß es grosse und erhabene Stellen giebt, welche doch nicht von Neigungen und Aufwallungen des Hertzens reden. »Von dieser Art, sagt er, ist, was Homerus mit so grosser Kühnheit von den Aloiden sagt; sie droheten den unsterblichen Göttern, daß sie Krieg in dem Himmel anrichten wolten, daher sie sich unterstuhnden den Berg Ossa auf den Olympus zu tragen, und den Pelion auf den Ossa mit allen seinen Bäumen, damit sie den Himmel erstiegen; was folget, sagt Longinus, ist noch stärcker: Sie hätten auch ihr Vorhaben vollführt.« Die unglaubliche Stärcke der Aloiden hat keinen andern Grund, als daß sie Söhne des Titans und der Erden, vermeinter[73] Götter, gewesen; wie viel wahrscheinlicher werden die Berge von den Engeln geschleudert, von welchen wir wissen, daß der Allmächtige eine übermenschliche Stärcke in sie geleget hat?

Ich kan hier nicht ungeantet vorbeygehen, daß Voltaire sich selbst dergleichen lächerliche Gleichnisse über Miltons Vorstellungen erlaubet hat, hingegen aber auf die Wortspiele scharf anziehet, welche Milton dem Satan und Belial in ihren höhnischen Reden über die ersten Würckungen ihres Geschosses gestattet hat: »Ich übergehe mit Stillschweigen, sagt er, die schülerischen und unzeitigen Schertzreden Miltons.« Der Leser mag selbst urtheilen, ob Voltairen abentheurliche Gleichniß-Bilder oder des Teufels auf Schrauben gestelleten Worte von besserm Schrot und Korn seyn, und welchem von beyden dergleichen anständiger seyn; ohne Zweifel dem Vater der Lügen, dem Geist dessen Verstand im Grund verderbt ist, dessen Gedancken und Worte alle lauter Betrug, Irrthum und falscher Schein sind. Was für einen nachdrücklichern Stich konte der Poet denjenigen geben, welche Lust an dergleichen falschen Schertzreden haben, als da er den Ertz-Teufel zum Erfinder derselben gemachet hat? Was betrifft, daß sie unzeitig wären, so sage ich, daß der schmäligste Weg einen zu tractieren das Gelächter und Gespötte ist, weil solches die stärckeste Verachtung zu erkennen giebt, und[74] diese wird dem Geist, den der Stoltz von Gott abfällig gemachet hat, billig in den Mund geleget.

Was ich oben zur Erklärung des Begriffes von der Verwundung der Engel und dessen Uebereinkunft mit dem Begriffe von ihrer Unsterblichkeit, Zartheit und Behendigkeit, vorgebracht habe, giebet uns richtig den Begriff von ihrem Gefechte. Denn das ist nichts anders als das Bestreben einander auf die Weise zu verletzen, wie es nach einer poetischen Vorstellung der Phantasie bey unsterblichen Cörpern angehet, und bey einigen zwar nur einige Ungelegenheit verursacht, bey andern aber mit Schmertzen begleitet ist, doch bey allen der Unsterblichkeit unnachtheilig ist; welcher Unterscheid von ihrem ungleichen Stand und Verhalten gegen ihren Schöpfer entstehet. Da fraget sich aber, ob ihnen ein solches Bestreben zuzuschreiben nicht mit dem Begriff von ihrer Seligkeit, und dem unverletzlichen Frieden des Himmels streite. Man könte gedencken, weil die englischen Cörper zwar nach ihrer Art können verletzet werden, doch in der tiefen Ruh des seligen Himmels keine Erfahrung von würcklichen Verletzungen oder Wunden, wenigst solchen, die mit Schmertzen begleitet gewesen wären, bekommen haben, so habe es ihnen nicht in die Gedancken kommen können, mit einander zu schlagen. Wir antworten hierauf, daß die guten Engel von ihrer Glückseligkeit mitten in derselben den Begriff haben, daß sie eine Gutthat des[75] Höchsten und nicht eine wesentliche Eigenschaft ihrer Natur sey, also daß sie derselben könten beraubet werden. Daher entstuhnd nun schon ein Begriff von Uebel bey ihnen, als einer Abwesenheit und Beraubung des Guten, das sie befassen, ungeachtet sie keine Erfahrung von dieser Beraubung hatten. In der That ist das Gut nur ein Gut in Absicht auf das Uebel oder dessen Abwesenheit. Demnach fasseten die guten Engel den Krieg als ein Mittel die abgefallenen ihrer Glückseligkeit zu berauben, wenn sie dieselben aus dem Besitz der glückseligen Wohnungen vertrieben. Ihr Herr hatte sie befehligt, daß sie selbige in den Ort der Qual hinausjagen sollten. Dieses Wort Qual erweckete bey ihnen den Begriff von der Beraubung der Seligkeit, wie die Androhung des Todes, die dem Ersten Menschen gethan ward, bey ihm mitten in dem Genuß des Paradieses und in der vollkommenen Unwissenheit, was böse sey, den Begriff von Uebel, als von einer Beraubung oder wenigst einem Abbruch seiner würcklichen Glückseligkeit gebähren mußte. Also giengen die getreuen Engel erstlich mit diesen Gedancken, die verworffenen an ihrer Glückseligkeit zu verkürtzen, zu Feld. Bey den gefallenen Engeln hatte die Unfähigkeit mit schmertzhaften Wunden verletzet zu werden, gleich nach ihrem Aufstand aufgehöret, also daß sie den Schmertzen und das Uebel aus eigener Erfahrung kenneten. Und die aufrichtigen verbesserten[76] ihren unvollkommenen Begriff davon mit dieser fremden Erfahrung. Ich füge hinzu, daß der Begriff von dem Krieg im Himmel aus Satans Aufstand daselbst hervorfliesset, ein Aufstand setzet Feindschaft und dieser Vorsatz zu verletzen voraus; der Aufstand, der eine geoffenbahrete Geschicht ist, hat alle die Schwierigkeiten in sich, welche man über den Vorsatz der Engel eine Schlacht mit einander anzutreten, vorbringen kan. Woher haben die satanischen Aufrührer den Begriff gehabt, oder was für ein Begriff ist es gewesen, ihrem Schöpfer, ihrem Wohlthäter, dem Allmächtigen und ewigen König, den Dienst aufzukündigen, und ein absonderliches Reich in seinem Himmel neben seinem Reich aufzurichten?

Der Herr Magny hat seine Einwürffe wider diesen Krieg der Engel vornehmlich auf die Betrachtung des Ortes, wo er geführet worden, gebauet, der Poet selbst hatte ihm Anlaß dazu gegeben, da er im siebenten B. gedencket, »daß Adam voll Verwunderung und Nachsinnens geblieben, als er so hohe und seltsame Dinge vernommen, welche seine Gedancken so wenig zu fassen wußten, als Krieg im Himmel, so nahe bey dem Frieden und der Ruhe Gottes, Krieg, der mit einer solchen Verwirrung geführet wird.« Alleine er läßt auch Adam sich selber antworten: »Da aber das böse fähret dieser fort, bald wieder auf diejenigen,[77] von welchen es entsprungen war, als eine Flut zurück wallet, weil unmöglich ist, daß es sich unter die Seligkeit mischen könne.« Daher gab Adam dem Zweifel bald Abscheid. Magny ist nicht so leicht zufrieden, er sagt: »Was Milton hier Adam nachbringen läßt, löset die Schwierigkeit nicht auf, das ist nicht Logicalisch; das Uebel, das auf diejenigen, von welchen es entsprungen ist, zurück wallet, beweiset uns zwar die Verstossung der Engel, aber es läßt uns nicht erkennen, wie diese Feindschaft und der Krieg, die Milton ein so weites Feld eröffnet haben, mitten in dem Sitz der Seligkeit haben herrschen können.« Er füget die höhnischen Worte hinzu: »Man fodert von einem solchen Poeten zuviel, wenn man haben will, daß er ein vollkommener Dialecticus sey, allzu grosse Sorgfalt in diesem Stücke würde das Gedicht frostig machen.« Uneingenommene Critici, welche auf die Absicht der Poesie, nemlich die Aufweckung der Phantasie und die Erregung der Affecte Acht gegeben, haben den Poeten im rechten Ernst eingeräumt, daß sie statt mathematischer Beweise solche anbringen dörffen, die nur einige Grade der Wahrscheinlichkeit haben; alleine ohne daß wir uns hier dieser Begünstigung behelffen wollen, werden wir mehr Bündigkeit in Miltons Auflösung des Zweifels Adams antreffen, als Magny darinn angetroffen hat, wenn wir den Einwurff nach des Poeten Meinung[78] und Absicht betrachten werden. Derselbe entstuhnd von der Betrachtung des Widerstandes, den die abtrünnigen Engel mit solcher Gewalt gethan hatten, daß sie in dem Wohnplatz der Seligkeit selbst eine grausame Verwirrung angestellet haben. Dieses verursachte bey dem ersten Menschen einige Gedancken, welche ihm ersten Anblickes die Gewalt und den Muthwillen derselben vor etwas nachtheilig für die Obermacht des Höchsten und die unzerstörbare Ruhe der guten Engel vorstelleten. In diesem Zweifel bestehet also der Einwurff. Denselben löset dann der Poet durch eine reifere Betrachtung auf, welche bey Adam plötzlich auf jene folgete, wie bald die Scena sich geändert, wie leicht und völlig Gott das Unwesen gedämpfet, wie die Heiligen Engel von dem Uebel nicht den geringsten Anstoß empfangen, wie der Himmel durch die gäntzliche Ausreutung des satanischen Heeres vollkommen gereiniget worden. Die nachfolgenden Gedancken verjagten die vorhergehenden wieder, als sie kaum entstanden waren, inmassen sie deutlich zeigen, daß der Höchste die kriegerischen Unternehmungen der bösen Engel nur geduldet, und seine Macht eine kurze Zeit lang zurückegehalten, oder verheelet habe. Unser Crititicus treibet den Einwurff weiter, als Adam, oder Milton gethan haben, er fängt ihn da an, wo Adam seinen beantwortet hatte; warum die Feindschaft und der Krieg im Himmel obgleich nur[79] eine Zeit lang, Platz gefunden habe. Hierauf schicket sich in der That die Auflösung nicht, die Milton dem Adam in den Mund leget, und mußte sich nicht schicken, weil er ihm nicht dieses hat in Bedencken ziehen lassen. Mithin hat der Poet die Ursache dessen, worauf Magny Frage beruhet, an einem andern Ort angezeiget, da er den Höchsten selbst in seiner Anrede an den Messias, den er wider das abtrünnige Heer aussendet, sagen laßt: »Zween Tage sind vergangen, der dritte ist dein, für dich habe ich ihn bestimmet, und dem Unwesen in so weit den Lauf gelassen, damit der Ruhm diesen grossen Krieg geendigt zu haben, dein sey, sintemahl ihn niemand, als nur du allein endigen kan.« Wem dieses nicht genug ist, für den will ich noch hinzufügen, daß der Abfall nicht nur in Gedancken oder Worten bestehen, sondern in würckliche Thaten ausbrechen mußte, damit der Character der bösen Engel in seiner abscheulichen Grösse vorgestellet würde. Er mußte sich nicht nur in seinem Anfang sondern auch in der Fortsetzung zeigen, sonst wären die Teufel besser gemachet worden, als sie sind, ein geschwinderes Nachgeben, eine kürtzere Wuth hätte ihren wahren Character geschwächt, und von einiger Reue Anzeige gegeben, daß sie der Verstossung nicht würdig genung zu seyn geschienen hätten. Diesemnach konte der Ort, wo diese bösen und feindseligen Bestrebungen vorgenommen worden, kein anderer seyn, als[80] derjenige, wo der Abfall sich zuerst entsponnen, und in den Gemüthern Satans und seiner Gesellen schon Feindschaft und Krieg gewürcket hatte, eh solche noch öffentlich ausgebrochen waren, welches Magny eben so wohl befremden könte als der Ausbruch selbst; daher ich noch zwo Anmerckungen hier beyfügen will, die erste, daß in den göttlichen Gesichtern, die dem Heiligen Johann geoffenbahret worden, die Scena des Streites, den der Drache und seine Engel mit dem Ertz-Engel Michael und dessen Engeln führet, in dem Himmel gesetzet wird, welches eben die Stelle ist, die Milton auf den Einfall geführet hat, den Krieg der guten Engel mit den bösen vorzustellen; Zumahl er an demselben Orte fand, daß der Drache mit seinem Schwantz den dritten Theil der Sternen des Himmels nach sich gezogen habe, welches einige Ausleger von dem Abfall Satans und seiner Legionen verstanden haben. Die andere Anmerkung ist, daß die Seligkeit an keinen Platz gebunden ist, massen sie in dem Gemüthe bestehet. Die guten Engel haben ihre nicht von der Anmuth und dem Reichthum des Himmels, sondern von ihrem Gehorsam und Standhaftigkeit. Einem bösen Gemüthe wird alles gute zu Gifft, und befände sich ein böser in dem Himmel selbst, so würde sein Zustand durch die Gegenwart des himmlischen Reichthums von Gutem nur so viel schlimmer seyn. Das Gemüthe wohnt in sich selbst und kan in sich aus dem Himmel eine Hölle, und gegentheils einen Himmel aus der Hölle machen.[81] Dieses hat Satan und sein unseliges Heer erfahren. Die Seligkeit des Himmels hatte sie vor Ungehorsam und Abfall nicht bewahren mögen, mit ihrem Abfall erfolgete zugleich ihre Unseligkeit, welche die kriegerischen Ausbrüche des Aufstandes noch unseliger macheten.

Nach den unverdauten Begriffen des Hrn. Magny hat der Poet die abtrünnigen Engel nicht nur in dem Himmel, dem Stamm-Hauß der Seligkeit, zu lange geduldet, sondern er hat ihnen in der Hölle selbst eine gewisse Ruh und Stille gegönnet, die für sie eine Seligkeit war. Diese selzame Anklage wird uns die Ordnung zu einer neuen Reyhe Criticken, die an derselben hangen, anweisen. Auf diese Censur führet ihn erstlich der Trost, den der abtrünnige Ertz-Engel dem Beelzebub in der ersten Anrede an denselben, nachdem sie einander in dem Feuer-See liegend erkannt hatten, mitgetheilet hat; da er ihm die Verordnung der Schickung vorgestellet, »nach welcher die Lebhaftigkeit der Götter und das empyreische Wesen keinen Abbruch leiden können.« Hier weiß Magny nicht, was Milton durch die Schickung verstehet, wenn er die Vorsehung meine, so sey die Verordnung der Schickung, auf welche Satan bauet, von eben derselben Macht, welche ihn in die Hölle geworffen, hergekommen, darum könne er keinen Trost daraus ziehen. Weiterhin düncken ihn Beelzebubs Gedancken in seiner Antwort, daß »Gott sie[82] vielleicht als seine Sclaven zu schwerer Arbeit in dem höllischen Feuer zu brauchen, oder seine Bothschaften in dem finstern Abgrund hin und her zu tragen, aufbehalten habe,« von allem Grund der Wahrscheinlichkeit eben so sehr entblösset. »Hat Beelzebub, sagt dieser Censor, nicht schon sein Urtheil einer ewigen Verdammniß angetreten? Hat er in diesem Stande des Verderbens noch zu zweifeln? Ist das nicht ein Sclave der fürchtet die Freyheit zu verlieren? Daneben, was ist kindischeres, als die mühsamen Botschaften in dem finstern Abgrunde?« Hierauf dienet zur Antwort, erstlich, daß Milton oder vielmehr Satan durch die Schickung eine unvermeidliche Nothwendigkeit versteht, welcher der Höchste selbst unterworffen wäre, kraft derselben wären die Engel gebohren worden, als der fatale Wechsel seinen Circkel in einen vollen Ring geschlossen, und die Geburten des Himmels, der sie erzeugete, zur Zeitigung gebracht; wie Satan sich im fünften B. gegen dem getreu-gebliebenen Engel Abdiel erkläret. Wollte Magny versetzen, daß solcher Irrthum bey solchem englischen Verstand unglaublich sey, so muß ich ihn erinnern, daß der Aufstand wider den Allmächtigen, welcher doch eine geoffenbahrete Wahrheit ist, keinen geringern Irrwahn voraussetzet, er war nemlich auf die thörigte Meinung gegründet, daß sie sich der Herrschaft des Allgewaltigen entziehen[83] mögten; welche einen Zweifel an der Allmacht und Allwissenheit Gottes zeiget. So übel verblendete sie ihr Stoltz:


Die Kenntniß ihres Lichts gebahr ihr Finsterniß,

Sie hielten ihre Kraft für vor sich selbst gewiß.

Und voll von ihrem Glantz, verdrüssig aller Schrancken

Mißkennten sie den Gott, dem sie ihn solten dancken.


In welchen Worten eines dogmatischen Gedichtes, ungeachtet der Gegensätze, so darinne stecken, doch derselbe Begriff von der Ursache des Falles der Engel enthalten ist. Denselben machte Milton durch folgende Vorstellungen wahrscheinlicher, welche er in Satans Anrede an das gantze teuflische Heer in der Höllen im ersten B. einfliessen lassen: Keine Gemüthes-Kraft, die aus dem tiefsinnigen Kenntniß des vergangenen und des gegenwärtigen das künftige vorher siehet, oder vorher saget, hätte fürchten können, daß eine solche Heeres-Macht von Engeln den Kürtzern ziehen sollte. Der himmlische Monarche wäre zuvor in voller Stille und Ruh auf seinem Thron gesessen, und hätte seine Stärcke verborgen; die satanischen Engel hätten sich beredet, daß ihn nur ein alter Glaube, oder eine hergebrachte Gewohnheit, oder ein freywilliger Gehorsam darinn bestätiget hätte. Dieses gebahr denn bey ihnen den Zweifel an Gottes Allmacht, und hierauf war der leidige Trost des Ertz-Feindes gegründet, nachdem solcher durch die erlittene[84] schwere Niederlage und den Fall vom Himmel selbst noch nicht gäntzlich war getilget worden, wiewohl sie jetzo anfiengen es näher zu geben, wenn sie von Hertzen redeten; wie Mammon in seiner Rede, die er in dem höllischen Divan gehalten, mit ausgedruckten Worten bekennet: »Daß wir vermögend seyn, ihn von dem Throne zu stürtzen, mögen wir auf den Fall hoffen, wann das ewigbestehende Verhängniß dem wandelbaren Glückes-Wechsel weichen, und Chaos den Streit zwischen ihnen entscheiden wird.« Im übrigen ruhet des Hrn. Magny angezogene Critick auf dem falschen Satz, daß in der Pein der Verdammten keine Grade seyn. Er setzet voraus daß sie auf einmahl auf den höchsten Grad des Verderbens gesetzet worden, und daß sie beständig darauf bleiben. Allein ich frage, ob nicht die Veränderung der Pein zu der äussersten Stafel der Strafe gehöre? Mehr Arten von Pein vergrössern solche allezeit durch den Wechsel, wie Milton daher im zweyten B. gedichtet hat, daß die Verdammten von den Furien nach gewissen Zeitläuffen aus dem tobenden Phlegeton in eine kalte Landschaft hingeschleppet werden; damit sie Wechselweise die beyden höchsten Grade der Hitze und der Kälte fühleten, welche wegen dieses Wechsels noch einmahl so empfindlich wären. Und den Belial läßt er in derselben Versammlung der satanischen Herzogen etliche dergleichen Arten von Pein anzeigen, dadurch er[85] Magny Begriff von dem höchsten Grad ihres Verderbens allerdings widerleget: »Saget man, wir seyen zu einem ewigen Weh verurtheilet, und verflucht, was kan zu unserm Leiden noch hinzugesetzet werden, was für eine schwerere Strafe kan uns angethan werden, wir mögen auch vornehmen, was wir wollen? Ist dieses denn das schlimmste, daß wir so bey einander sitzen, so rathschlagen, so unter den Waffen stehen. Wie denn, als wir aus aller Macht flohen, – – – Wie wenn der Wind, der jene ungestümen Feuer-Flocken angezündet hat, wieder erwachete, sie in eine siebenfache Wuth wehete, und uns unter die Flammen verscharrete, oder von oben die unterbrochene Rache ihre rothe rechte Hand wieder waffnete, uns zu schlagen? Wie wenn alle ihre Zeug-Häuser geöffnet würden, und dieses Firmament der Hölle seine Feuer-Schleussen loßsprützete etc. Das würde fürwahr schlimmer seyn.« Was endlich die schweren Bothschaften anbelanget, welche die Hölle-Verdammten vielleicht in dem Finsterniß des Abgrundes hin und her tragen müssen, so drücket diese Vorstellung die unbeschränckte Herrschaft des Höchsten, die sich über die Hölle selbst erstrecket, vollkommen aus, und gründet sich auf das Bekenntniß, das Beelzebub in dem Concilio der Teufel ablegt, wo er sagt: »Das ist gewiß, daß der König des Himmel immerfort in[86] der Höhe und in der Tiefe, zu oberst und zu unterst, als ein einziger König herrschen, und unsers Aufstandes wegen nicht ein Stücke von seinem Königreiche missen, sondern seine Herrschaft über die Hölle erstrecken, und uns hier mit einem eisernen Scepter regieren will, wie die andern im Himmel mit dem güldenen.«

Nach dem Begriff, den wir von den Graden in der Pein der verdammten Engel haben, fällt für sich selbst der folgende Einwurff des Herren Magny, daß das Aufstehen des gefallenen Heeres aus dem Feuer-See und sein hinübergehen an das Gestade von zusammen geronnenen Feuer eine neue Strafe sey, welche die Teufel mit keinem neuen Verbrechen verdienet haben; worauf er die Beschuldigung gründet, daß Milton sie anfangs nur halb verdammet habe. Denn wer siehet nicht, daß diese und andere Arten der Pein mehr, in dem Inbegriff ihres Urtheiles der Verdämmniß enthalten waren, welches sich nach und nach durch verschiedene Absätze an ihnen erfüllete.

Dieser Criticus zeiget sich auf gewisse Weise begierig, die Teufel in der Hölle selig zu heissen, wann er ihre Seligkeit aus der Ironie schliesset, womit Satan ihnen, als sie noch in dem betäubenden Teiche lagen, zurufet: »Düncket euch der Schlaf hier eben so süß, als ehmahls in den Thälern des Himmels?« Daß der Poet Satan diese ironischen Worte in den Mund geleget[87] habe, seine danieder liegenden Völcker damit zu beschämen, wie der rechte Gebrauch der Ironie ist, sollte Magny aus den Worten erkennt haben, mit welchen Milton die Würckung des Zurufes Satans anzeiget: »Sie höreten ihn, schämeten sich, und hoben sich auf ihren Flügeln empor.« Der Poet hatte genung angezeiget, und so wohl durch Satan als Beelzebub gestehen lassen, daß ihr ligen in dem feurigen See kein Schlaf, sondern eine Betäubung und Ohnmacht gewesen, daher ich noch anmercken will, daß die Ironie selbst, nach welcher er sie einen Schlaf heisset, ungeachtet der Beschämung den grausamen Zustand, in welchem sie begriffen lagen, aus ihren Gedancken entfernete, und aus dieser Ursache gelinder und erträglicher war, als das rechte Wort und die Vorstellung der Sache selbst gewesen wäre. Lächerlich ist, daß der Hr. Magny den Poeten darum, weil er die Teufel in der Hölle seinem Begriff nach nicht genug verdammt hat, zum Ketzer machen will: »Was für eine seltzame Lehre, sagt er, oder vielmehr, was für ein Haufen ungereimten Zeuges?« Mein Leser mag urtheilen, ob dieses von dem Poeten oder dem Critico billiger gesagt werde.

Mit der Verdammniß der Teufel streitet nach Magny ferner die Freude, welche Milton den Häuptern der gefallenen Engel zuschreibet. Er sagt: »Diese alle und noch mehr kamen schaarweise und mit unter sich geschlagenen trüben[88] Blicken, aus welchen doch zuweilen einige dunkele Funcken einer Freude hervorglimmeten, die daher entstuhnd, daß sie ihr Oberhaupt noch nicht verzagt fanden, und daß sie mitten in dem Verlust aller Dinge sich selbst nicht verlohren hatten.« Der frantzösische Criticus kan nicht begreiffen, daß ein so lieblicher Affect wie die Freude ist, in der Hölle wohne. »Die Pein der Verdammten würde dadurch verringert, sagt er, statt daß er glaube, sie sey so wohl in ihr selbst als in ihrer Dauer unendlich. Was wird aus dem Betrübniß werden, fraget er, in die Milton uns über den Verlust des Paradieses versetzen soll, wenn die Freude anderwerts herrschen kan?« Man glaubte bald daß der Poet die Hölle recht annehmlich abgeschildert hätte. Alleine die dunckeln Funcken von Freude sind von der Freude selbst noch weit entlegen, sie haben, wie Satans Reden, nur den Schein, und nicht das Wesen; sie bekommmen diesen Nahmen nur mit einer Absicht auf die vorige Ohnmacht und den niedergeworffen gewesenen Muth der gefallenen Engel. Denn da es in der Pein der Verdammten Grade giebt, so stellet sich die geringere Qual ihnen in Absicht und Vergleichung mit der grössern als ein Gut vor, und dieses so beschaffene elende Gut bringet ihnen eine Art Freude. Alle Freude ist eine Empfindung einer gewissen Vollkommenheit, die man an sich findet, diese bestuhnd in dem gegenwärtigen[89] Fall darinn, daß die aufrührischen Engel nach ihrer schweren Niederlage ihr Oberhaupt noch nicht verzagt sahen, und daß sie mitten in dem Verderben sich selbst wieder gefunden hatten; welches Vollkommenheiten sind, in so weit Hoffnung besser ist, als Verzagung, und Seyn vortrefflicher ist, als nicht seyn. Was Magny gläubt daß die Pein der Teufel in ihr selbst, ohne Absicht auf den göttlichen Willen und das erfolgte Straf-Urtheil, unendlich sey, widerspricht sich selbst, die Teufel sind endliche Geschöpfe, nun kan in etwas endlichem nichts unendliches seyn. Die Fähigkeit zu leiden ist eben so endlich, als das Wesen der Geschöpfe. Daß er sonst befürchtet, wir würden desto weniger Betrübniß über den folgenden Verlust des Paradieses empfinden, wenn wir innen würden, daß eine solche Freude, wie dieser gefallenen Engel hier war, auch in der Hölle Platz habe, giebt uns zu vermuthen, daß er einen sehr schwachen Begriff von der unvergleichlichen Grösse der wahren und unvermischten Freude des Himmels habe. Wie er sich ferner hier erkläret, »mangelt es in der That den Einwohnern der Hölle an nichts weitern, als an der Symphonie des Gesanges, sie in einen Stand zu setzen, daß sie den Erwehlten schier nichts zu mißgönnen fanden;« und Milton, sagt er, habe ihnen selbige eingeräumet; dieses schleußt er daraus, weil der Poet erzehle, »die Heerscharen der Hölle seyn in[90] einem Phalanx nach der Dorischen Symphonie lieblicher Flöten und Pfeiffen angezogen,« und dann von den Würckungen dieser Dorischen Melodie sage, »sie habe die Helden des Alterthums auf den edelsten Grad des Temperaments erhöhet, und ihnen statt der blinden Wuth eine entschlossene Dapferkeit eingeblasen, welche sich von der Furcht des Todes weder zum fliehen noch zu einem schändlichen Abzug verleiten läßt; sie habe eine Kraft gehabt, die unruhigen Gedancken zu besänftigen, und die Angst, Unschlüssigkeit, Traurigkeit, Furcht und Pein aus sterblichen und unsterblichen Gemüthern zu verjagen.« Ich könnte diese Klage mit der kurtzen Anmerckung abfertigen, daß der Poet diese herrlichen Würckungen der Dorischen Kriegs-Symphonie nicht auf die gefallenen Engel, sondern nur auf die alten Helden und Halb-Götter gezogen habe, weil sie aber leichtlich auf dieselben gefolgert werden kan, so will ich mich daran nicht halten, um so viel weniger weil der Poet an einem andern Orte von dem Gesang einiger sanftmüthigern Geister der Hölle berichtet, ihre Melodie habe die Hölle aufgehalten und die Haufen der zuhörenden Geister aus sich selbst verzücket. Wenn wir diese poetischen Ausdrücke, welche allezeit lieber mehr als weniger sagen, in dem gehörigen Masse fassen, so führen sie uns auf den Begriff, den wir oben festgesetzet haben, daß es in der Pein der Hölle Absätze und[91] Zwischenraum gebe, daß sie nicht stets auf dem höchsten Grade stehe, massen dieses dienet, die Schmertzen durch den Genuß der kleinen Ruh wieder zu beleben. Auf diesen Begriff bauet Milton beständig; wann er zum Ex. dem Satan bey seiner Abreise den zurücke bleibenden rathen läßt, sie sollen nachsinnen, ob vielleicht eine Arzney oder Beschwörung zu erfinden, die Plagen ihrer unseligen Wohnung zu entfernen, zu bannen, oder zu lindern; und die Uebungen und Geschäfte, welche der Poet ihnen nach Endigung des höllischen Concilii zuschreibet, sind sämtlich nach diesem Begriff aufgesetzet, insonderheit die philosophischen Gespräche derjenigen Engel, welchen er einen sanftern und stillern Character beyleget. Aber wie Himmelweit diese scheinende Ruhe von der wahren entfernet sey, giebt uns der Poet selbst mit folgenden Worten zu verstehen: »Lauter eitele Wissenschaft und teuschende Philosophie! die dennoch mit einer angenehmen Bezauberung die Qual und Angst auf eine kurtze Zeit verbannen, und eine betrügliche Hoffnung hervorbringen, oder die verstockte Brust mit einer halsstarrigen Gedult, wie mit einem dreyfachen Stahl bewaffnen konnte.« Von eben dieser falschen Art waren die gerühmten Würckungen der Dorischen Symphonie, und mag Hr. Magny nach diesem ausrechnen, wie viel das schier nichts ausmache, das seiner Meinung nach den gefallenen Engeln an der himmlischen Seligkeit abgehet.[92] Ich muß hierüber auch noch gedencken, daß Milton in diesen Verrichtungen der gefallenen Geister auf die Vortrefflichkeit ihrer Natur gesehen hat, ihre erste vortreffliche Natur war nicht gantz zerstöret, sie ließ stets noch einige Spuhren von sich sehen, auch die verdammten Geister, sagt der Poet, verliehren nicht alle ihre Tugenden. Ein solcher Rest ist die Bewegung, die in Satans Brust beym ersten Anblick der Menschen entspringet: Er betrachtete sie mit Verwunderung, und hätte sie lieben können, so lebhaft leuchtete das göttliche Ebenbild in ihnen. In besagter Absicht mercket Milton auch an, ihren entzückenden Gesang desto wahrscheinlicher vorzubilden: »Wie konnte es anderst seyn, wann unsterbliche Geister singen?« Und von Satan meldet er ausdrücklich. »Seine Gestalt hatte ihren ursprünglichen Glantz noch nicht gäntzlich verlohren, er schien nicht geringer, als ein Ertz-Engel, der gefallen ist, und an welchem die vormahlige übermässige Herrlichkeit sich verdunckelt hat.« Gleichwie der Poet unter den Engeln des Himmels verschiedene Stuffen von Glantz, Ansehn, Macht und Stärcke setzet, nach welchen einer den andern nach dem Masse seines Standes und Würde übertrifft, also behält er eben dergleichen unter den gefallenen Geistern, welche in ihrem allgemeinen Stand des Verderbens dennoch mehr oder weniger Glantz, Herrlichkeit, Stärcke, nach ihrem hierarchischen Stand und Rang besitzen.[93] Der Verstand, den Herr Magny dieser Stelle giebt, ist gantz verkehret. Er fasset sie, daß der Blitz der göttlichen Rache den Satan nur um etwas gestreiffet habe; daher fraget er: »Kan man uns wohl einen schwächern Begriff von dem Zorn Gottes machen?« Doch muß ich anmercken, daß er einigermassen von der französischen Uebersetzung verführet worden, welche lautet, »daß Satan annoch auf eine vortreffliche Weise einen Ertz-Engel vorgestellet habe, dessen Fall seine Herrlichkeit, die vormahls übermässig groß gewesen sey, verdunckelt hatte;« Wiewohl auch diese Worte einen anständigern Sinn in sich haben, als der Criticus gefunden hat. Es zeiget wahrhaftig eine schlimme Verwegenheit an einem Menschen, der einen Poeten von Miltons Ansehn und Ruhm, den er in seiner eigenen Sprache nicht verstuhnd, auf eine prosaische Uebersetzung, die ihr Verfasser selbst vor schwach und unvollkommen giebt, mit so viel Eigendünckel verurtheilen darff. Wenn er aber gleich von einigen freyen Abweichungen der französischen Uebersetzung zu verschiedenen irrigen Criticken verleitet worden, so hat ihn doch sein übereilter Verstand und sein böses Gemüthe zu weit mehrern angetrieben. Diese hintergehen ihn, daß er weiterhin zwischen Miltons Himmel und Hölle keinen Unterscheid findet, point de difference entre le Ciel et les Enfers.[94]

Diese seltzame Meinung ziehet er daraus, »daß in dem Bau des Pandämonion das reinste Gold wäre gebrauchet worden, wie in dem himmlischen Palast.« Milton saget alleine, »daß ein Hauffen höllischer Berg-Knappen das rohe Ertz geschmeltzet, die unterschiedlichen Gattungen gesondert, und die Schlacken von den siedenden Kesseln abgeschäumet habe.« Welches der französische Uebersetzer de la Marde gegeben, derselbe »habe das Gold durch eine verwundersame Kunst gereinigt, und in dem höchsten Grad geläutert.« Wir finden da keine Vergleichung des höllischen Goldes mit dem himmlischen; dasjenige, das in der Hölle gegraben ward, konnte auf den höchsten Grad der Feinheit geläutert worden seyn, dessen es fähig war, ohne daß es dadurch auf den noch höhern Grad des himmlischen Goldes wäre gesetzet worden. Ich will dennoch setzen, der Poet hätte ausdrücklich gesagt, das Gold in der Holle wäre an Eigenschaft Glantz und feinem Wesen dem Gold des Himmels gleich, was wollte Magny hieraus für die Seligkeit der gefallenen Engel gutes schliessen? Hält er den Reichthum, das Gold und die kostbaresten Schätze vor bequeme jemanden die Seligkeit zu geben; heilt der Besitz und die Ansicht derselben von der Qual, die in der Brust wüthet? Er unterstützet seine Anklage mit der Anmerkung daß Mammon dieselben Neigungen, die er in der Hölle hatte, schon in dem Himmel gehabt hätte;[95] welches er aus folgenden Worten des Poeten nimmt: »Mammon führete sie an, der niederigste Geist, der von dem Himmel fiel, denn in dem Himmel selbst waren seine Blicke und Gedancken nur niederwärts gerichtet, und bewunderten vielmehr den kostbaren Estrich von geschlagenem Gold, als was sie sonst göttliches und heiliges in dem seligen Anschauen Gottes geniessen konten.« Worüber er fraget: »Und wie kan sich der Leser bereden lassen, daß die niederträchtigste Begierde in dem Himmel habe wohnen können, in welchen nichts unreines hineinkommt?« Ein wenig Wohlgewogenheit gegen dem Poeten hätte diesen scharfen Kunstrichter schon lehren können, daß dieses niedrige Gefallen an Reichthum, das Mammon im Himmel selbst zugeschrieben wird, nur von der Zeit an zu verstehen sey, da der Abfall von Gott und der nächtliche Aufbruch des satanischen Heeres in ihr Heimath in Norden geschehen war, massen die aufrührischen Legionen noch eine zeitlang aus bündigen Ursachen, die wir oben angeführt haben, in dem Himmel geduldet worden. Mammons Gold-Begierde ward eine Weile in dem Himmel zu wohnen vergönnet, wie Satans und seines Heeres wüthenden und unsinnigen Bestrebungen wider den Allmächtigen.

Dieser Mammon wird von dem Poeten für den Baumeister des Pandämonion angegeben, an welchem der Herr Voltaire sehr vieles zu[96] tadeln gefunden hat, theils in der Bauart, theils in dem Gebrauche des Baus. Seine Critick ist zwar an sich selbst so seicht, daß ich den Leser damit nicht aufhalten wollte, wenn sie nicht von einem unsrer wenigen deutschen Kunstrichter unschuldiger Weise wäre gutgeheissen worden. Sie wird mit diesen Worten vorgetragen: »Der Platz, der für die Versammlung der Teufel gebauet worden, ist gantz ohne Nuzen, weil Satan sie schon würcklich auf einem weiten Feld versammelt stehend hatte, wo er sie auch schon angeredet hatte. Der Rath war nothwendig, aber der Ort wo, war sehr gleichgültig. Der Poet scheinet seine Lust daran gehabt zu haben, sein Pandämonium nach der Dorischen Bauart mit Verzierungen von Karnissen und güldenem Bluhmenwerck auszuschmücken. Diese Erfindung schmecket mehr nach der ungebundenen Phantasie unsers Paters le Moine, als dem ernsthaften Geist Miltons; aber wenn die Teufel nachgehends zu Zwergen werden, damit sie in dem Gebäude Platz haben mögten, als ob es unmöglich gewesen wäre, einen Ort zu bauen, der geraum genug war, sie alle in ihrer natürlichen Grösse zu fassen, so ist das eine erbärmliche Erdichtung, welche man mit den abentheurlichen Mährgen in eine Linie stellen kan. Was die Ausschweiffung auf das höchste treibet, ist, daß Satan und seine[97] vornehmsten Fürsten ihre ungeheure Gestalt behalten, da immittelst der gemeine Haufen der Teufel zu Pygmeen wird.« Wenn wir einen kleinen Blick in die Grundschrift thun, welches mit dergleichen raschen Criticis allemahl eine nothwendige Behutsamkeit ist, so finden wir bald, daß Mammon nur eine Haupt-Burg für Satan und seinen Rath gebauet, nicht einen Ort für das gantze Heer der gefallenen Geister; in derselben sollte eine Versammlung gehalten werden, in welche alleine diejenigen beruffen würden, so an dem Haupt der Geschwader und Hierarchien stühnden, und entweder ihrer Vorrechte wegen oder nach einer freyen Wahl dazu gehöreten. In diese zwo Classen theilet sie der Poet, und von der erstern saget er hernach, daß sie hinter beschlossenen Schrancken und in ihrer natürlichen Grösse gesessen, da die von der andern Classe hingegen ihre Gestalten ins kleine zusammengezogen hätten. Daß nicht die gantze höllische Nation versammelt worden, konnte Voltaire ferner daher lernen, daß der Poet nach Beendigung des Concilii meldet, man habe den grossen Reichsschluß bey dem Schall der Trompeten ausgeruffen, vier schnelle Cherubim haben ihn mit einer mächtigen Heerolds-Stimme verkündiget, und das gantze stygische Heer habe ihnen mit einem lauten Glückes-Zuruf geantwortet. Wenn von der Zahl der Versammelten in dem Rath als von einem gantzen Heer geredet wird, so[98] ist solches der unzehligen Menge der gefallenen Engel gemäß, welche nach des Poeten Satz den dritten Theil des Himmels ausgemachet hatten, also daß die Führer, Häupter, und Abgeordneten derselben für sich alleine schon ein ziemliches Heer waren. Diesemnach war das Pandämonium nothwendig, die Fürsten der gefallenen Hierarchien ihrem Staat gemäß von dem gemeinen Haufen zu sondern, damit die Angelegenheiten dieser verzweifelten Nation nicht unter offener Hölle abgehandelt würden. Zu eben diesem Staat dienet nun auch die Pracht, die Voltaire dem Gebäude vorwirfft; an welches der englische Poet in der That mehr Kunst und Arbeit gewendet hat, als der Französische an seinen Palast der Liebe, in dem Gedicht von Henrich dem vierten, den er mit zweyen Worten vollendet: Un vieux palais. Mir gefällt, was der Herr Rolli in seinen Anmerckungen über Voltairen Versuch einer Beurtheilung der epischen Gedichte hievon geschrieben hat. »Die freyen Künste geben dem epischen Gedichte einen herrlichen Schmuck; wenn ihre Wercke da in ihrer Vollkommenheit und Pracht beschrieben werden, so belustigen und unterrichten sie den Leser auf einmahl. Werden übermenschliche Kräfte vorgestellet, die einen Bau ausführen, so müssen die Arbeiter und das Werck auf eine mehr als menschliche Weise vorgestellet werden. Daher entsteht das Wunderbare, das in dem[99] epischen Gedicht mit so viel recht gefodert wird. Es ist so ferne, daß das Pandämonium eine abentheurliche Erfindung sey, daß es vielmehr eine wunderbar erhabene ist. Wie viel richtige Begriffe von der Natur der Metalle, und der Baukunst werden in dieser Beschreibung auf eine erhabene Art erkläret! Dem Herren Voltaire mißfallen an dem Pandämonium die Karnissen, und Verzierungen mit güldenem Blumenwerck, nicht daß er lieber kein Gebäude gehabt hätte, nachdem er selbst uns einen alten Palast des Liebes-Gottes gegeben hat, sondern weil er lieber einen ohne Bauart und Regeln gehabt hätte.« Ich gestehe übrigens, daß der Poet einen so geraumen Platz hätte bauen können, welcher die grosse Anzahl der höllischen Häupter in ihrer natürlichen Grösse hätte fassen mögen; aber man wird mir hingegen einräumen, daß er geschickter gehandelt hat, da er die Burg für sie zu klein gemacht, damit er die wunderbare Erdichtung einführen könnte, nach welcher diejenigen von den versammelten Engeln, die an Stand, Würde und Vorrechten geringer waren, ihre Gestalten ins kleine zusammen zogen, da immittelst die Vornehmen ihre natürliche Gestalt nach ihrer Grösse behielten. Dieses Wunderbare, das Voltairen so abgeschmackt vorkömmt, ist allerdings wahrscheinlich, denn es ist demjenigen gemäß, was der Poet von der Natur der Engel an einem andern Ort gemeldet hatte,[100] daß ihr reines Wesen gantz zart und ungemenget sey, und sie daher das männliche, oder das weibliche Geschlecht an sich nehmen, ihre Gestalt aus einander dähnen, oder ins kleine zusammen ziehen können. Da diese Kraft ihnen vor natürlich und eigen zugeleget wird, sie auch in ihren kleinern Gestalten ihre geistliche Stärcke, Macht und übrigen Kräfte behielten, kan ich nichts lächerliches darinnen finden. Diese messen sich nicht nach dem Raum, welchen ihre Gestalt einnahm, eine grössere verstärckte sie nicht, und eine kleine verminderte sie nicht. Das lächerliche, das unser Tadler hier gefunden, kam aus seinem eignen Gehirn hervor, welchem diese selzame Kraft der Engel ungewohnt und daher wunderlich geschienen. Er führet zwar nach den angezogenen Worten seiner Critick eine Regel an, nach der man das wahrhaftig lächerliche zu messen habe, nemlich man solle sehen, ob eben dieselbe Erdichtung, die in einem epischen Gedichte gebraucht wird, nicht in einem abentheurlichen Gedichte schön stehen würde, allein dieser Meßstab ist gantz krumm und betrüglich. Denn wie kan er gebraucht werden, als daß man die Sachen und Gedancken, die in einem ernsthaften Gedicht ihren eigenen Personen, an dem rechten Orte, und in dem rechten Masse zugeschrieben werden, von da wegnimmt, und gantz andern Personen, die der erstern Gegenfüsser sind, zuleget, daneben Zeit, Ort, Ziel und Maaß aus Vorsatz[101] und mit bestem Fleiß verhudelt und verwirret; auf diese Weise aber muß das gründlichste und ernstlichste Werck lächerlich herauskommen, weil es dann nicht mehr das vorige ist. Durch diese leichtsinnige Kunst sind Virgils Eneis, und Telemach verkleidet worden. Durch eben dieselbe sind die ernsthaftigsten und traurigsten Tragödien in Parodien verwandelt worden; Wie Voltaire selbst an einigen der besten, die aus seiner Erfindung geflossen sind, erfahren hat. Aber will er daher seiner gegebenen Regel gemäß schliessen, daß diese Wercke an sich selbst und in ihrer wahren Art lächerlich seyn? Ich kan mich nicht enthalten, den gründlichen Gedancken, die der Herr de la Motte in der Abhandlung vor seinem Trauerspiel Innés hierüber eröffnet hat, allhier einen Platz einzuräumen. »Die Kunst solcher Verkleidungen ist sehr einfältig, sagt er, sie bestehet nur darinn, daß man die Handlung und den Lauf des Werckes behält, und den Stand der Personen verändert. Nach diesem nimmt man die Verse des Werckes in Besitz, wirft aber von Zeit zu Zeit possierliche Worte und lächerliche Umstände darunter, welche durch den Absatz des ernsthaften und des hertzrührenden, womit sie gegattet werden, noch so lächerlich werden. Also macht man aus dem Werck selbst, das man zum Gelächter machen will, ein neues, das man für seine eigene Erfindung hochmüthig ausgiebt, schier[102] wie wann ein Mensch, der einer vornehmen Rathsperson den langen Rock entwendet, gläubte, er wäre sein, wenn er etliche Stücke von einem Pickelherings-Kleide daran flickete, und sein Recht dazu damit bewiese, daß seine Verkleidung zum lachen reizete.« Nachdem er weiterhin etliche Ungelegenheiten erzehlet hat, welche von solchen Verkleidungen entstehen, gedencket er auch der folgenden: »Aber das wichtigste Uebel, das aus diesen Wercken entsteht, ist, daß sie die Tugend zu einem Parodoxo machen, und ofte sich bemühen, sie ins Gelächter zu ziehen. Sind in einem Trauerspiel einige Proben einer Heldenmüthigen Tugend, die fähig sind, das Gemüthe empor zu heben und zu vortrefflichen Entschliessungen aufzumuntern, so gebraucht die Parodie eben diese Stellen dem Verfasser Spitzfündigkeiten und Chimären vorzuwerfen.« Ihr sehet, wohin uns die Regel führen würde, welche uns Voltaire zur Richtschnur geben will; Und dieses muß die meistenmahl für sich selbst, ohne einen neuen Vorsatz des Parodisten erfolgen, weil eine gleiche That oder Entschliessung, die bey einer Person eine Tugend ist, bey der andern ein Laster wird, und was einem Menschen wohl anstehet, dem andern ungebührlich ist.

Wir haben uns mit diesen Tadlern lange genug in der unseligen Gesellschaft der verdammten Geister aufgehalten, lasset uns eine seligere bey den standhaften und getreuen Einwohnern des[103] Himmels suchen. Der Herr Magny hat von ihrer Natur eben so undeutliche Begriffe, als er von den gefallenen an den Tag geleget hat. Daher entstehen eben dergleichen falsche Urtheile von ihrer Aufführung in unserm Gedichte. Wenn der Ertz-Engel Gabriel in dem vierten B. zween Engel ausschicket, die der Poet als starck, schlau, erfahren, und schnell characterisiert, den Garten zu durchsuchen, schließt Magny daraus, daß folglich schwache und träge Engel seyn, und in diesem Begriffe findet er Fehler, welche himmlischen Geistern nicht können zugeschrieben werden. »Die Stärcke und Schnelligkeit, sagt er, seyn ihr vornehmstes Erbgut, sie müssen unter ihnen nur in den Graden unterschieden werden, nach welchen sie mehr oder weniger starck und schnell sind, nachdem dem Schöpfer gefallen hat, sie auf einen gewissen Grad der Herrlichkeit zu erheben.« Dieser Begriff ist richtig genug, wann der Criticus ihn nur in dem Urtheile nicht aus den Augen gelassen hätte. Wer siehet nicht, daß der Character von Stärcke und Schnelligkeit, den Milton diesen beyden Engeln beygeleget hat, eben in Absicht auf diese verschiedene Grade, in so weit sie zwischen Engel und Engel Platz haben, zu verstehen sey? Wiewohl derjenige unter den Engeln, der den geringsten Grad Stärcke empfangen hat, in Absicht auf die stärcksten Sterblichen stärcker zu nennen ist, so kan er doch in Absicht auf andere Engel[104] nicht so starck seyn, und diese geringere Stärcke mit einer grössern verglichen wird sich ohne eine fehlerhafte Vorstellung selbst mit dem Wort schwach benennen lassen. Unser Poet folget dem Begriff, den der Criticus vorgeleget hat, hier und überall auf die geschickteste Weise, indem er die Character seiner aufgeführten Engel auf so verschiedene Arten, und in so mancherley Graden der Arten, doch ohne Abbruch der von dem Schöpfer ihnen mitgetheilten Herrlichkeit, verändert und abgesetzet hat. Wollte man dergleichen Absätze in den Sitten und dem Leben der Engel nicht zugestehen, so müßte man darinn ein durchgehends Einerley setzen, welches der Theorie von den Engeln zuwider läuft, und die englischen Personen vor ein episches Gedicht gantz unbequem und verdrüßlich machte. Der Herr Magny scheint von dem richtigen Begriff, den er von den Graden in den Charactern der Engel eröffnet hatte, gäntzlich abgewichen zu seyn, und auf diesen ungeschickten gebauet zu haben, wenn er die Worte tadelt, die Gabriel im achten B. von seiner Abfertigung zu den Pforten der Höllen gebraucht, die er in währender Schöpfung bewachen mußte, indem er es eine unangenehme und verdrüßliche Reise heisse. »Wie, sagt der Criticus, können die Befehle des Allmächtigen seinen getreuen und eifrigen Dienern widrig und mißfällig seyn?« Ich antworte ihm mit ja, und dieses auf zweyerley Weise. Erstlich[105] in so weit in dem Leben der Engel die Grade von angenehmem und angenehmerm Platz haben, da dasjenige, was ihnen weniger angenehmes vorfällt, oder aufgeleget wird, in Absicht auf etwas angenehmers in unserer menschlichen Sprache ohne Verbrechen widrig und verdrüßlich genennt werden darf; hernach in so weit nicht auf den Befehl Gottes, der an sich stets anbetenswürdig ist, sondern auf die Natur der anbefohlenen Sache gesehen wird. Wenn wir unsern Poeten selbst in der Grundsprache einsehen, so werden wir bald finden, daß er die lange Streiferey biß zu der Pforten der Hölle in dieser letztern Absicht beschwerlich und unangenehm geheissen hat. Warum sollte diese Reise nicht beschwerlich können geheissen werden, wann wir sie neben derjenigen betrachten, welche die Cherubim und Seraphim des Himmels mit dem Messias in die noch ungebohrne Welt gethan, wohin sie ihn in einem gläntzenden Zug begleiteten, wie unser vortreffliche Poet in dem siebenden B. von ihnen erzehlet?

Hätte dieser Kunstrichter seinen eigenen Lehrsatz von den Graden in dem Character der Engel, welche mit ihrer eingeschränckten Natur so wohl übereinstimmen, nicht ins Vergessen gestellt gehabt, so wären ihm auch folgende Criticken nicht entfallen, da er an dem Ertz-Engel Uriel tadelt, daß er sich von dem verkleideten Satan übertölpeln lassen, und der gantzen Schaar der englischen Leib-Wache einen gleichmässigen Verweiß[106] giebt, ferner, da er den himmlischen Heerschaaren ihre Neugierigkeit über die erhaltene Zeitung von dem Fall der Menschen vorrücket, bey welchem Anlaß er ausrufet: »Was vor ein Bildniß stellet uns Milton von dem Himmel vor, das etherische Volck lief Haufenweise zu den neuangekommenen, aus Begierde zu hören und zu vernehmen, wie sich alles zugetragen hätte. Ist dieses der Begriff, den wir von himmlischen Geistern haben?« Wir wissen von ihnen, daß ihre Erkänntniß, wiewohl sie weit über die menschliche hinaufsteiget, dennoch in gewissen Schrancken eingeschlossen ist, insonderheit was das künftige und dasjenige, was ausser ihrem englischen Gesichte lieget, anbelanget, wovon sie nichts weiters wissen, als was sie mittelbar, mittelst Anzeigungen schliessen können, wenn sie die Ursachen mit ihren vermuthlichen Folgen vergleichen. Nun war dieses beyweitem nicht zulänglich dem Uriel den vergestalteten Satan vollkommen und offenbar zu entdecken, wiewohl es ihm ziemlich viel Verdacht verursachete; Es war auch nicht genug, der englischen Leibwache, ungeachtet ihrer fleissigen Verwachung, die listigen Verstellungen des Teufels zu verrathen; endlich war es zu wenig, den himmlischen Heerschaaren die Geschichte von dem Fall der Menschen ihren kleinen Umständen nach bekannt zu machen. Ueberdiß bitte ich über die drey vorgegebenen Fehler ins besondere noch bey einem jeden anzumercken,[107] bey dem ersten, daß der aufrichtigste sich am allerwenigsten Betruges vermuthend ist, weil er von andern nach seiner Redlichkeit urtheilet, daher er sich der Betriegerey am leichtesten bloß stellet; bey dem zweyten, daß das Amt der Wacht im Paradieß alleine in sich begriffen, den Menschen vor feindseliger äuserlichen Gewalthätigkeit zu bewahren, da er immittelst in Ansehung der innerlichen Gefahr, vor welche er mit genugsamen Gemüthes-Kräften ausgerüstet war, sich selbst gelassen war, welches mit Bestand feiner Freyheit nicht anderst seyn konnte; beym dritten, daß die Neugierigkeit des etherischen Volckes eine natürliche Folge sowohl ihrer Liebe gegen den Menschen, als auch ihres Verlangens ist, die wunderbaren Wege Gottes gegen den Menschen einzusehen.

Ich sehe keinen bequemern Ort, als diesen, ein paar der schweresten Anklagen zu beantworten, welche wider Milton können geführet werden, die wenn sie Grund hätten, ihn billig bey allen Bewahrern der reinen Religion anschwärtzen und verhaßt machen müßten. Die erste fällt auf folgende Stelle des Poeten. »Der Unendliche, in dessen Schooß der Sohn in göttlicher Wonne saß, that seine unwiderrufliche Verordnung mit folgenden Worten kund: Höret ihr Engel alle, ihr gebohrnen Söhne des Lichts, Herrschaften, Fürstenthümer, Kräfte. Heut habe ich den gebohren, welchen ich vor meinen einigen[108] Sohn erkläre, und habe ihn auf diesem heiligen Berge gesalbet etc.« Hier fraget Miltons Gegner: »Haben die himmlischen Geister jetzo zum erstenmahl den göttlichen Sohn gesehen? Sind sie nicht gleich nach ihrer Erschaffung von der ewigen Geburt des Wortes unterrichtet worden? Das Wort heut, das hier gebraucht wird, kan nicht den grossen und immerwährenden Tag der Ewigkeit bedeuten, weil die Engel, mit welchen Gott da redet, à parte ante nicht ewig sind. Aber wie könnten sie selig gewesen seyn, wenn sie bis auf diesen Tag, da Gott ihnen zum ersten mahl anzeiget, daß er einen einzigen Sohn hat, des seligmachenden Anschauens des Wortes beraubet waren?« Milton macht sich bey ihm stets mehr verdächtig, wenn er den Aufstand Satans auf den Neid gründet, mit welchen dieser »denselbigen Tag den Sohn Gottes von seinem Vater ehren und zu seinem gesalbten Messias erklären gesehn, da er gedacht, daß ihm selbst dadurch zu kurtz geschehen wäre.« Diese Anklage zu widerlegen muß man wohl bedencken, daß die Kundmachung des höchsten Wesens unter drey aus einander gesetzten, persönlichen Vorstellungen, eine Offenbarung ist, welche eine absonderliche Absicht auf den Menschen hat. Der Höchste hatte in seinem unerforschlichen Rath beschlossen, sich gegen den gefallenen Men schen und nicht gegen den gefallenen Engel auf diese Weise zu verherrlichen,[109] welche er hier durch die Salbung des Messias und Erklärung vor seinen Sohn, zu erkennen giebt. Der Sohn Gottes ist der Messias der Menschen und nicht der Engel. Darum konnte diese Relation auch den Engeln nach dem Wohlgefallen des Schöpfers wohl eine lange Zeit verhalten worden seyn. Dadurch gieng ihnen an der seligen Gemeinschaft Gottes nichts ab, weil sie diese geheimnißvollen drey Personen in dem Einigen schon genossen. Was jetzo den Neid anbetrift, den Satan über diesen Bericht von der Kundmachung des Messias gefasset hat, so wird uns wohl zu verzeyhen seyn, wenn wir statt des Poeten den Satan zum Arianer machen, und sagen, daß er in diese geoffenbarete Sohnschaft einen Zweifel gesetzet, und im verwegenen nachgrübeln der erste auf die Lehrsätze gefallen sey, die Arius unter den Menschen ausgehecket; worauf er gegen dem Sohn, den er vor ein Geschöpfe seines gleichen gehalten, zu dem Neide bewogen worden, der seinen Abfall gewürcket hat. So ungereimt und gottloß diese Arianischen Lehrsätze bey Menschen und Engeln sind, kan man doch von dem Abfall Satans, der indessen eine geoffenbarete Geschicht ist, keine Ursache anbringen, welche nicht eben so thörigt und teufelisch herauskomme. Der Herr Magny hat sich zwar bemühet, eine andere Ursache des Neides Satans zu ersinnen, welche er vor ein gutes anständiger und trifftiger hält; nemlich daß Satan damahls zum erstenmahl vernommen habe,[110] Gott werde den Menschen so sehr lieben, daß er seinen einzigen Sohn vor desselben Erlösung geben und seine Natur an sich nehmen wolle, eine Ehre, welche er den Engeln nicht thun würde. Alleine ich finde hierinn den nothwendigen Grund nicht, der den Satan zum Neid hätte bewegen und die verruchte Voßheit in ihm gebähren sollen, dem Höchsten den Dienst aufzusagen; Denn die Ehre, die Gott den fallenden Menschen thun, und den fallenden Engeln versagen wollte, hatte nichts, was den Satan, der ietzo mit seinen Engeln noch aufrecht stuhnd, zum Eifer oder Neid bewegen konnte. Der Neid, der aus dieser Ursache entspringen sollte, würde bey Satan eine Wissenschaft von seinem eigenen künftigen Fall, und was noch schwerer zu begreifen ist, eine Begierde nach einem Erlöser, die auf die Nothwendigkeit eines solchen gegründet war, voraus gesetzet haben. Wenn wir die Neigung zum Stoltz, die sich nach der Hand bey disem Geist gezeiget hat, betrachten, so ist zu vermuthen, daß er sich vor einem solchen Fall von seinem hohen und glückseligen Stand nur allzu wohl gesichert gehalten, und daß er keines fremden Erlösers vonnöthen zu haben gemeinet.

Die andere Anklage, die mir zu widerlegen übrig bleibet, betrifft das Stillschweigen des Poeten von der dritten Person der Gottheit, woraus ihm Magny kein geringeres Verbrechen beymißt, als er ihm aus der vermeinten aus Augen setzung[111] des Sohnes aufzubürden gemeinet hatte. Er verwundert sich, daß der Poet in dem göttlichen Rath von der Erlösung des Menschen im dritten B. des Heiligen Geistes nicht gedencket, um so viel mehr als er in dem Lobgesang der Engel vergeblich erwartet hatte, daß sie ihr Lob, wie dem Vater und dem Sohn, also auch dem Heiligen Geist abstatteten. »Milton scheint zu vergessen, sagt Magny, daß eine dritte Person in der Heiligen Dreyeinigkeit ist. Woher mag diese wiederholete Auslassung kommen? Dieses könnte mich auf seltzame Gedancken von seinem Glauben verleiten, wenn er das Gedicht nicht mit einer Anrufung des Heiligen Geistes angefangen hätte; aber diese Anrufung entschuldigt ihn nicht, daß er seiner an disem Ort vergessen hat, wo er pflichtig war, von ihm zu reden.« Wer die göttliche Scena, welche der Poet da mit einer ehrerbiethigen Kühnheit beschreibet, mit Fleiß erwiegt, wird leicht sehen, daß sie eingeführet ist, den Sohn nach seiner göttlichen Menschen-Liebe, die ihn vermochte sich zu einem freywilligen Opfer für dieselben zu anerbiethen, und zur Annehmung des sterblichen Cörpers zu verstehen, zu verherrlichen. Daher ist es auch derselbe vornehmlich, welchen die Engel hier besingen, Miltons vornehmster Held, der erstlich den rebellischen Ertz-Engel mit seinem gantzen Heer u. alleine, ohne Hülfs-Völcker, zur Hölle gejaget, und jetzo das gefallene Geschlecht der Menschen von diesem Ort der Qual[112] erledigt. Und dieses Werck der Erlösung ist der eigentliche Inhalt ihres verherrlichenden Gesanges. Wenn dann hier die dritte göttliche Person nicht eingeführet wird, so geschicht es, weil die Rede da nicht von demjenigen Wercke ist, mit welchem dieselbe sich bey den Menschen geoffenbaret hat. Die Redens-Art, welche ein Heiliger Scribent gebraucht hat die noch nicht geschehene Offenbarung des Heil. Geistes unter den Menschen anzuzeigen, wenn er sagt, der Geist war noch nicht, ist ohne Zweifel viel kühner, als des Poeten Stillschweigen von demselben in einer Handlung, welche die Offenbarung des Sohnes, als des Erlösers, zum Zweck hatte. Des unbilligen Censors Verdacht zu beschämen, muß ich noch anmercken, daß Milton im zwölften B. nicht vergessen hat, dieser dritten göttlichen Person an dem rechten Orte, wo er von der Ausgiessung derselben auf die Apostel redet, mit einem anbetenden Angedencken Meldung zu thun.

Quelle:
Johann Jacob Bodmer: Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie und dessen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen. Zürich 1740, S. 52-113.
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