Der erste Abschnitt.

Von der Wahl der Materie aus der

unsichtbaren Welt.

[3] Je weiter ein Werck die menschliche Fähigkeit übersteiget, je behutsamer muß man darüber urtheilen. Je weiter ein Werck die Fähigkeit eines besondern Menschen übersteiget, je bescheidener muß ein solcher davon urtheilen. Unermeßliche Verschiedenheit unter den Menschen in den Gemüthes-Gaben. Ausserordentliche Erhabenheit des Geistes und des Gedichtes Johann Miltons. Ursprung vieler verwegenen Urtheile, so vornehmlich über die Materie in demselben aus der unsichtbarn Welt gefället worden. Voltairen Einwürffe, daß der Krieg im Himmel die menschliche Natur übersteige, und daß der Mensch geneigt sey, die Sachen, die nicht in die Sinne fallen, zu verwerffen. Dem Menschen ist die Wissenschaft von der Natur, den Verfassungen und den Geschichten der Engel nicht gäntzlich verschlossen. Selbst die Erzehlungen von Personen, die keine Würcklichkeit haben, bemächtigen sich des Gemühtes, noch mehr aber die Begebenheiten der Engel,[3] als nemlich solcher Wesen, welche in der Natur vorhanden sind; und deren Geschichte die Leser, für welche Milton geschrieben hat, gantz nahe angehet. Voltairen Schluß daß es vergebliche Arbeit sey, da Milton die Character, Handlungen und Reden der Englischen Kriegs-Häupter so sorgfältig und vollständig vorgestellet hat. Der Christliche Leser hält sie vor seine Freunde, und nimmt darum an allen ihren Sachen Antheil. Zweifel, ob Milton in diesen Vorstellungen den Homer, wie Voltaire davor hält, oder die Natur selbst nachgeahmet habe. Noch ein Einwurff Voltairen, daß Miltons erwehlete Materie den Franzosen schwerlich gefallen könnte, weil sie davon öfters Gassenständgen gemachet. Miltons Großmuth, womit er auf die wahre Hoheit seiner Materie gesehen hat.


Ich habe diese Arbeit unternommen, so wohl meiner Hochachtung gegen diesen erhabenen Geist ein Genügen zu thun, und auch bey andern eine gleichmässige zu erwecken, als meine Lehren von dem Verwundersamen und dessen nothwendigen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen, insonderheit in Absicht auf die unsichtbare Welt der Geister, auf eine angenehmere und lebhaftere Weise vorzutragen. Dieses vortreffliche Gedicht wird mir in der That die bequemsten Exempel lehnen, die ich bey deutschen Poeten vergebens suchen würde, meine Lehrsätze zu erklären, und die Einwürffe, die gegen diese Exempel gemachet worden, werden meinem Wercke eine neue Gestalt und Art geben, die es beleben, und zugleich in sehr absonderliche Aeste ausbreiten wird.[4]

Eh ich aber den Anfang zu dieser Arbeit mache, wünschete ich das Gemüthe meines Lesers in den gehörigen Zustand der Bedachtsamkeit und Bescheidenheit setzen zu können, womit die Erwegung solcher Arten Wercke, welche zu verfertigen unleugbar die höchste Kraft des menschlichen Geistes erfordert wird, billig sollte vorgenommen werden.

Je weiter die Verfertigung eines Werckes so wohl in Absicht auf die Materie als die Kunst, die Fähigkeit der menschlichen Natur übersteiget, je mehr Behutsamkeit und Bescheidenheit muß man in den Urtheilen darüber gebrauchen. Dieser Grundsatz bedarf keines Beweises, sondern nur einer weitern Ausführung, damit unsere Beurtheilungen in den gebührenden Schrancken bleiben. Die Wesen von einem höhern Stand und einer vornehmern Natur als die menschliche ist, würcken auf eine gantz andere Weise und nach eigenen Gesetzen; was das vor Gesetze seyn, bleibet uns gröstentheils verborgen, ausgenommen in so weit uns die Wercke selbst, die nach solchen Regeln verfertigt worden, einige dunkele Merckmahle und Spuren davon errathen lassen. Von dieser Art sind die Wercke Gottes insgesamt, unsere Kräffte fallen in der Erkänntniß derselben unendlich zu kurtz. Die heilige Schrifft selbst bezeuget von Gott, daß seine Wege nicht seyn, wie unsre Wege, und seine Gedancken nicht wie unsre Gedancken, in so weit,[5] daß ofte vor Gott lauter Thorheit sey, was nach dem Dünckel des menschlichen Sinnes die gröste Weißheit ist. Welche Vermessenheit wäre es, wann man nach dem Exempel jenes raschen Königes von Castilien den Schöpfer der Welt unterrichten wollte! Welche Unbesonnenheit, wann man die höchste Weißheit nach unsren eingeschränckten und undeutlichen Begriffen meistern wollte! Wir müssen deßwegen die göttlichen Wercke der Gerichtbarkeit des menschlichen Urtheiles entziehen, doch nicht so weit, daß wir sie von der ehrerbiethigen Betrachtung der Menschen, welche in gewissem Sinn auch eine Beurtheilung ist, ausschliessen; wann diese nur mit Verstand und reifem Nachsinnen und ohne Tadelsucht geschicht. Die Wercke des Höchsten sind alleine unsrer Betrachtung und Bewunderung, aber nicht unsrem richterlichen Ausspruch unterworffen. Eine solche vernünftige Betrachtung ist alleine beflissen die Spuhren der Kraft und Weißheit des Unendlichen in dessen Werken einzusehen, und dadurch sich selbst zu seinem Lob, als der Absicht der Erschaffung, aufzumuntern.

Eine andere Beschaffenheit scheinet es mit den Wercken der menschlichen Wissenschaft und Kunst zu haben. Diese übersteigen die menschliche Fähigkeit nicht; man muß gestehen, daß möglicher Weise ein jeder anderer Mensch in gleichmässigen Umständen eben dergleichen Werck[6] hätte verfertigen können; Woraus denn zu folgen scheinet, daß solche darum der freyen Beurtheilung der Menschen unterworfen seyn. Dieses hat auch in der That, wann es überhaupt von dem menschlichen Geschlecht gesaget wird, seine Richtigkeit, aber in besondern Fällen hat es seine gewissen Ausnahmen, und läßt sich nicht so weit erstrecken, als ob ein jedes Werck dem Urtheil eines jeden Menschen lediglich unterworffen sey. Dann wer einestheils bey sich betrachtet, wie langsam der menschliche Verstand von sich selbsten in Erlernung der Wissenschaften und der Künste, wie kurtz das menschliche Leben, anderntheils, wie beschwerlich der Weg ist, der zur Erkänntniß führet, wie weitlaüftig und mannigfaltig diese ist, der wird leicht begreiffen können, daß die Kräfte und die Dauer eines Menschen nicht zulänglich sind, mehr als einen gewissen Theil einer einzigen Kunst oder Wissenschaft in dem Grund einzusehen. Es bleibet immerfort bey dem Ausspruch Hiobs: Wir sind seit gestern und wissen nichts. Daher entstehet vornehmlich der so gar ungleiche Fortgang der Menschen in den Künsten und Wissenschaften, welcher so groß ist, daß man eben so viele verschiedene Classen der Menschen setzen könnte, nicht nur als Künste und Wissenschaften, sondern als absonderliche Theile derselben sind; da unter diesen Classen allemahl eine die andere in den Graden ihrer Kunst und Wissenschaft übertrifft, und[7] dieses öfters so mercklich daß es scheinet, als ob es unter den Menschen, ungeachtet sie sämtlich von einer Art sind, so viele Arten gebe, als viele dergleichen Classen sind. Hieraus folget, daß wir den anfangs angeführten Grundsatz nicht nur von den Wercken höherer Wesen, sondern auch von den Wercken der Menschlichen Kunst und Wissenschaft annehmen, und also geben müssen: Je weiter die Verfertigung eines Werckes die Fähigkeit eines besondern Menschen übersteiget, je behutsamer und bescheidener muß er davon urtheilen. Aus dieser Ursache hat man vor einen unwidersprechlichen Satz angenommen: Quisquis in Arte sua justissimus arbiter; Der ist der beste Richter eines Werckes, der die Kunst, wie es gemachet worden, am besten innen hat; und zum Gegentheil hat man das Sprüchwort in die gemeine Rede gebracht: Ne sutor ultra crepidam. Dieses kan nicht anderst seyn, zumahl eine jede Kunst ihre eigenen und besondern Regeln hat, die man sich durch eine lange Ubung bekannt machen muß; Wie will aber einer von einem Kunst-Wercke urtheilen, wann ihm die Regeln, nach welchen es verfertigt worden, die doch der Grund und die Richtschnur des Urtheiles seyn sollen, verborgen sind? Und dieses gilt nicht nur von den Künsten sondern eben so wohl von den Wissenschaften, die eben so weitlaüftig sind und eben so viel Mühe kosten als die Künste.[8]

Eine besondere Anmerckung wird diese Materie noch mehr erläutern, und mich zugleich näher zu meinem Vorhaben führen. Man gebe auf die unermeßliche Verschiedenheit der Grade Achtung, nach welchen sich die Individua des menschlichen Geschlechtes so wohl in Ansehung des Verstandes als ihrer übrigen Gemüthes-Gaben von einander entfehrnen. Die unterste Stafel von dieser Leiter setzet die Menschen bis zu den Thieren hinunter, man wird den Unterscheid zwischen dem dümmesten Menschen, und dem schlauesten Thier sehr klein finden, von da erhebet sich die Leiter nach und nach, eine unendliche Menge Stuffen steiget über einander hinauf, biß zu derjenigen, die auf der Spitze der Leiter stehet, und mit denen Wesen, von dem höhern Rang, der auf die Menschen folget, am nächsten gräntzet. Wie es an dem untern Ende Leute von so groben Sinnen giebt, daß die Kräfte der Seele, von welchen die Würdigkeit des Menschen entstehet, davon unterdrucket werden, und sie mit dem Menschen nichts weiter als die Gestalt, alles übrige mit den Thieren gemein haben, also hat es an dem obern Ende solche Männer, welche in einem menschlichen Leib über die Natur der Menschen erhoben zu seyn scheinen.


Ein Neuton übersteigt das Ziel erschaffner Geister,

Findt die Natur im Werck und wird des Welt-Baus Meister.
[9]

Diese erhabenen Menschen verhalten sich gegen den geringern und gemeinen Menschen, wie höhere Naturen gegen den irdischen; derowegen ist auch eben so grosse Behutsamkeit in der Beurtheilung ihrer Wercke zu gebrauchen, als wir gegen die Wercke und Handlungen vornehmerer Wesen schuldig sind; denn wiewohl sie eigentlich die Menschliche Natur nicht übersteigen, so übertreffen sie doch die gemeine Natur. Dergleichen ausserordentlichen Männer sind an ihren eigenen starck gezeichneten Merckmälern leicht zu erkennen, zumahl sie die gemeine Bahn verlassen, und sich von dem grossen Haufen der Menschen in ihren Gedancken, Urtheilen, Lebens-Regeln und Thaten, weit entfehrnen und absondern; insonderheit aber ist ihren Wercken das Siegel einer durchdringenden Gewalt auf die Gemüther aufgedrücket, welcher man sich nicht erwehren kan. Wenn wir dergleichen wahrnehmen, soll uns die Bescheidenheit lehren, daß wir mehr unsrem eigenen Urtheil als dieser grossen Männer mißtrauen, und lieber bey uns eine Unwissenheit der ersten Grundsätze, nach welchen sie handeln, als bey ihnen einen Fehler wider dieselben voraussetzen.

Dieses Siegel einer durchdringenden Beredtsamkeit hat das Gedicht Johann Miltons von dem Verlohrnen Paradieß. Ich meine mich keines hyperbolischen Verbrechens schuldig zu machen, wenn ich Milton in den Rang dieser sonderbaren[10] Menschen setze, welche auf der Leiter der Wesen zu oberst unter den Menschen stehen, und gleich über sich diejenigen Geister haben, die zuerst vom Cörper frey sind. Besagtes Werck zeiget einen so hohen und feuerreichen Verstand bey seinem Erfinder, daß so viele Jahrhunderte des Welt-Alters kaum zween oder drey von dieser Art hervorgebracht haben; es erzehlet uns von lauter hohen und göttlichen Dingen, welche ausser unserer Sphär liegen, und berichtet uns von den Verrichtungen, Gedancken und Sitten entweder unsichtbarer Wesen, oder gantz anderer Menschen, als die heut zu Tag lebenden sind; die Regeln, nach welchen es geschrieben worden, werden uns da zuerst in der Ausführung vorgeleget; und es gewinnt das Hertz, bevor der Verstand Zeit bekommt, sich umzusehen. Dieses sollte schon genug seyn, uns zu bedeuten, daß wir unser Urtheil von diesem erhabenen Gedicht im Zaum fasseten, daß wir mit gewisser Forcht und Mißtrauen davon urtheileten, oder vielmehr denen überliessen, davon zu urtheilen, welche sich ebenfalls von der gemeinen Lebens-Art und den Gedancken der ordentlichen Menschen, unter denen wir leben, loß gemacht, und zu der Gemüthes-Art höherer Wesen, die über dem menschlichen Geschlechte stehen, empor zu heben gewußt, welche sich in ihrem Verstand einen Plan von einer höhern Vollkommenheit machen können, als diejenige ist, welche die[11] Menschen insgemeine erreichen. Da diese Eigenschaften überaus selten gefunden werden, so ists kein Wunder, daß einige unbedachtsame und vermessene Kunst-Richter von diesem vortrefflichen Werck ungeschickt genug geurtheilet haben. Wenn ich insbesondere bedencke, wie schwer es den Franzosen vor andern Nationen fällt, sich ihrer Gewohnheiten und Lebens-Arten zu entschlagen, und in die Sitten fremder, vornehmlich alter Völcker zu schicken, so befremdet es mich destoweniger, daß diejenigen, welche von dem verlohrnen Paradieß am schlimmsten geurtheilet haben, Franzosen gewesen sind. Wie schwer muß es Leuten von dieser wohlgesitteten, zierlichen und modischen Nation ankommen, sich in die Gewohnheiten anderer Arten Geschöpfe, voraus solcher zu richten, die von der menschlichen Art so ungemein weit abweichen, als die guten und bösen Engel, die Sünde, der Tod, die Geister in dem Chaos!

In der That haben die Französischen Critici sich vor allen Dingen an den Vorstellungen der unsichtbaren Wesen in dem Miltonischen Gedichte gestossen. Dieses weitläuftige Reich von Verwundersamem erweckete bey ihnen keine Neugier es zu verkundschaften; und sie wollten lieber diese gantze grosse Ecke des poetischen Gebiethes, eine gantze Welt, wüst und ungebauet stehen lassen. Der berühmte Herr Voltaire selbst, der als ein Dichter-König vor andern eine Begierde[12] haben sollte, die Gräntzen der Poesie zu erweitern, stehet in diesen kleinmüthigen Gedancken; und wenn ihm Glauben zuzustellen, so ist dieses die gemeine Meinung der Französischen Kunst-Richter. Er schreibet in seinem Versuche von der Epischen Poesie ausdrücklich, daß die Erdichtung von dem Krieg in dem Himmel Französischen Kunst-Richtern unerträglich gewesen wäre, und eröffnet uns auch den Grund davon: »Diese Kunst-Richter, sagt er, würden sagen, weil derselbe Krieg etwas wäre, das die blosse Einbildung hervorgebracht hätte, und die menschliche Natur überstiege, hätte er nicht mehr als zwey oder drey Blätter einnehmen sollen, zwey gantze Bücher davon wären zuviel, weil wir von Natur geartet wären, die Sachen, welche nicht in die Sinne fallen, zu verwerfen.« Es ist nur ein höflicher Kunst-Streich, daß Voltaire seine Critick lieber in dem Nahmen der Französischen Kunst-Richter als seinem eigenen vorgetragen hat, und es dörffte ihm schwer worden seyn, sein Creditiv vorzuweisen, daß er von den Kunst-Richtern der Französischen Nation Befehl empfangen, dieses für sie sämtlich zu reden. Was indessen seine Beschuldigung an ihr selbst anbelanget, so finde ich darinne, wiewohl er sich nicht gar ordentlich erkläret hat, zween Gründe, die ihr die erforderliche Kraft geben sollen. Der erste ist, daß Miltons Krieg im Himmel die menschliche Natur übersteiget,[13] und ein Werck der blossen Einbildung ist, der andere, daß der Mensch geneigt ist, die Sachen, die nicht in die Sinne fallen, zu verwerffen. Wenn diese Gründe bündig wären, so würden sie nicht allein den Krieg im Himmel, den Voltaire alleine damit verwerffen will, sondern den gantzen Theil dieses Gedichtes, der ausser den Gräntzen der irdischen Welt und der menschlichen Natur lieget, und folglich alle die Rollen der himmlischen und höllischen Einwohner verurtheilen. Denn der Krieg im Himmel übersteiget die menschliche Natur in keinem höhern Grade, als Satans Musterung seiner höllischen Legionen und seine Reise durch das Chaos. Alle diese Geschichten muste Milton aus seinem Kopf hervorbringen. Derowegen muß ich desto sorgfältiger seyn, den Ungrund und die Schwäche dieser beyden Vorgebungen zu zeigen. Erstlich kan man von den Handlungen der guten und bösen Geister (von der kleinen Rolle des Todes, der Sünde, des Chaos werde ich in einem absonderlichen Abschnitt reden) nicht lediglich sagen, daß sie ein blosses Werck der Einbildung seyn, noch daß sie die menschliche Natur, durch welches Wort Voltaire die Fähigkeit des Menschen sie zu erkennen verstehet, gäntzlich übersteige. Wenn zwar diesem gleich also wäre, so wäre solches in den Rechten der Poesie gegründet, als die vornehmlich mit der Einbildungs-Kraft auf die Einbildungs-Kraft arbeitet. Es ist in der[14] That eine gewisse Schreibart, worinn der Poet die Natur fast gäntzlich aus dem Gesicht verleurt, und die Phantasie der Leser mit den Charactern und Handlungen solcher Personen unterhält, welche grossentheils kein anderes Wesen haben, als dasjenige, das er ihnen mittheilet. Dergleichen sind die weisen Frauen, die Aelfen, die Feyen, die Wasser- und Luft-Geister, die Genii, die Berg-Nymphen, die Geister der Verstorbenen. »Diese Gedichtes-Art, sagt Herr Addison, ist schwerer, als einige andere, die auf der Phantasie des Poeten beruhet, weil er da kein Muster vor sich hat, dem er folgen könnte, sondern allerdings mit seiner eigenen Erfindungs-Kraft arbeiten muß. Die Kunst kommt darauf an, daß man diese zauberischen Personen nicht wie die Leute von unserem Geschlechte reden lasse, sondern wie Wesen von einer andern Classe, welche mit andern Sachen umgehen, und nach einer andern Weise dencken.« Alleine Miltons Gedicht ist nicht in diesem Fall begriffen, die Engel sind würckliche Wesen, welche in der Natur sind, zwar über die Natur der Menschen erhaben, doch nicht so weit, daß man den erhabensten Geistern unter ihnen alle Fähigkeit absprechen könne, auf einen gewissen Grad der Wissenschaft von dem Stand der Engel zu steigen, und von ihrer Natur, Gesetzen und Verfassungen etwas zu erkennen. Die eine Helfte des Menschen[15] gräntzet, so zu sagen, an den Engel; die geistliche Natur desselben hat nicht wenig gleichartiges mit der Englischen Natur, allermassen der Psalmist bezeuget, daß Gott den Menschen nur einiger massen geringer als die Engel gemachet habe. Aus dieser Gleichheit können wir schon verschiedenes von den Tugenden der Engel herholen; wenn wir nemlich den vollkommensten Begriff, den wir uns von dem menschlichen Geist vorstellen können, noch mehr erheben, indem wir ihn von allem dem, was ihm von seinem irdischen Gefährten, dem Cörper, geringes anklebet, befreyen und reinigen; wir bekommen auf diese Weise Begriffe von ihrer Unsichtbarkeit, Unsterblichkeit, Zartheit, Behendigkeit, Scharfsinnigkeit. Weil wir aber auch wissen, daß diese Eigenschaften, ob sie gleich auf einem so hohen Grade stehen, dennoch ihr Ziel und Maß haben, wie alle Geschöpfe, zumahl die Engel solche von dem Willen und der Allmacht des Schöpfers, und nicht aus eigener Krafft haben, so werden unsere Begriffe besagter Eigenschaften dadurch eingeschräncket, und bleiben weit unter den Begriffen, die wir derselben halben von dem ersten, höchsten und selbst-beständigen Wesen haben. Noch mehr aber können wir diese Begriffe aus einander setzen und bestimmen, wenn wir die heiligen Scribenten zu Hülffe nehmen. Weil diese von verschiedenen Ordnungen, Hierarchien, Fürstenthümern und[16] Häuptern der Engel reden so schliessen wir daraus, daß auch zwischen Engel und Engel in denen Tugenden, die nicht zu ihrem Wesen gehören, Grade angetroffen werden, also daß einer mehr, ein anderer weniger Glantz, Behendigkeit Scharffsinnigkeit, Stärcke, hat. Aus denselben hohlen wir eine ziemliche Wissenschaft von den Geschichten und dem Schicksal dieser unsichtbaren und unsterblichen Geister. Ihre Nachrichten davon sind zwar kurtz, flüchtig, und ihnen gleichsam bey anderer Gelegenheit entfallen, alleine so weitschweifig sie sind, liegen doch gantz reiche und fruchtbare Begriffe darinnen. Die Tiefsinnigkeit der Ausleger hat in der That aus diesen und dergleichen Quellen so viel herausgebracht, daß die Wissenschaft von dem Wesen und Thun der Engel, wie solches von ihnen entdecket wird, ein ziemliches Systema ausmachen mögte. Und diese Wissenschaft ist mehr, als ein Werck der Einbildungs-Kraft, nicht allein sind die Personen, von denen sie uns berichtet, etwas würckliches, sondern auch der Grund dessen, was sie uns berichtet, hat seine feste Wahrheit, und schützet sich hauptsächlich mit dem glaubwürdigen Ansehen derjenigen, die es ausgesagt, und die es wissen konten; denn es ist ihnen von höhern Wesen, von Engeln und Gott selbst entdecket worden, gesetzt daß es an sich über die Gräntzen der menschlichen Wissenschaft und Erforschungs-Fähigkeit erhaben[17] wäre. Wenn jezo ein Poet weiter gehet, und diese gesammelten abgebrochenen Nachrichten mit einander vergleicht, ergäntzet, ausführet, verbindet, so ist auch dieses mehr als ein Hirngespinst und leere Einbildung, es hängt an etwas würcklichem und geschehenem, wovon wir Gewißheit haben, und weil Ordnung und Verknüpfung der Umstände darinnen ist, so ist es auch nicht Unwahrheit, es ist Möglichkeit, es ist Wahrheit nach einem gewissen Satz; und von dieser Art ist alle die Wissenschaft, um welche die Poesie sich bekümmert. Betrachten wir nach diesem Licht den Krieg im Himmel, den Voltaire als ein Exempel angeführet hat, so sagen uns die heiligen Scribenten von einem Aufstand eines Theiles der Engel, an deren Haupt sie den Engel setzen, der von dieser Auflehnung den Nahmen Satan empfangen hat. Nun führet das einzige Wort Aufstand auf die Begriffe von Mißvergnügen, Unwillen, Beleidigung, Haß, feindlichen Anschlägen, Widerstand, Tumult, Treffen, Sieg, Niederlage, Nachjagen; welches theils Ursachen, theils Folgen und Umstände eines Aufstandes sind. Ein jeder, der der Bedeutung dieses Wortes nachspüret, wird leicht auf diese Begriffe fallen, wenn er sich ein vorhergehendes, eine Mitte und ein nachfolgendes darinnen vorstellen wird. Ich muß über diesen ersten Grund des Herren Voltaire nur noch anmercken, daß er die beyden, ein[18] blosses Werck der Einbildung seyn, und, die menschliche Natur übersteigen, also zusammenfasset, daß es scheinet, er wolle im ersten den Grund des andern setzen, und zu verstehen geben, daß dasjenige, was die menschliche Natur und Fähigkeit übersteiget, nichts anders als ein Werck der Einbildung sey: Alleine weil dieses eine giftige und der gesunden Philosophie allzu widerwärtige Meinung wäre, will ich mich hüten, solche diesem scharfsinnigen und in philosophischen Wissenschaften so wohl bewanderten Critico zuzuschreiben.

Der andere Grund, warum Hr. Voltaire den Krieg im Himmel, und damit zugleich die gantze Einführung der guten und bösen Engel verwirfft, beruhet auf der Abneigung, so er den Menschen gegen alle Sachen, die nicht in die Sinne fallen, zuschreibet. Diesen andern Grund verbindet derselbe um etwas plump mit dem erstern, indem er ihn als einen Grund desselben vorträgt, auf folgende Weise: Weil der Krieg im Himmel ein Werck der Einbildung ist, und die menschliche Natur übersteiget, hätte er nur etliche Blätter einnehmen sollen, weil wir von Natur die Sachen, die nicht in die Sinne fallen, verwerffen. Sonst muß ich zum Behufe dieses Kunstrichters anmercken, daß er die Materien, welche die Einbildung hervorgebracht hat, nicht lediglich verwirfft, sondern nur kurtz abgebrochen haben will. In dem[19] Grund selbst, den er dafür anbringt, könte ich ihm vor allen Dingen aufheben, daß Miltons geistliche Wesen nicht von der Beschaffenheit sind, daß sie nicht in die Sinne fallen. Der Poet hat diese unsichtbare Wesen mit Cörpern und Gestalten versehen, welche in die Sinne fallen, und hat daran recht gethan, wie ich in dem nächsten Ab schnitt gegen einen andern Französischen Kunstrichter ausführlich zeigen werde. Weil Voltaire sein Auge nicht auf diese poetische Verrichtung, sondern auf die natürliche Unsichtbarkeit der Engel alleine gerichtet hat, will ich in gegenwärtiger Untersuchung auch auf dieses alleine sehen. Wenn wir die Engel gleich in diesem Gesichtes-Punct als uncörperliche, den groben Gliedmassen der Sinne sich entziehende Wesen betrachten, so werden wir gerade das Gegentheil dessen, was der Criticus vorgiebt, bey uns befinden. Es ist so ferne, daß die Vorstellung und Geschichte der Engel, welche würcklich in der Natur vorhanden sind, ob es gleich himmlische und über die irdische Naturen erhabene Wesen sind, in dem menschlichen Gemüthe Verdruß und Eckel verursache, daß selbst die Erzehlungen von erdichteten Personen, die keinen andern Platz in der Natur des würcklichen haben, als denjenigen, welchen sie von einem geschickten und Erfindungs-reichen Kopf empfangen haben, und die Beschreibungen der Gedancken, Thaten und Reden derer Nixen, Feyen, Luft- und Wasser-Geister,[20] das Gemüthe des Lesers mit einer angenehmen Art Entsetzens einnehmen, sie belustigen die Einbildungs-Krafft mit der Neuigkeit und Selzamkeit deren Personen, welche vorgestellet werden; sie unterhalten und erregen die geheimen Besorgnisse, welchen das Gemüthe des Menschen von Natur unterworffen ist. Es ergetzet uns die verschiedenen Kleidungen und Manieren fremder Nationen zu betrachten, noch mehr erfreuet es uns, und nimmt uns mit Verwunderung ein, wenn wir gleichsam in eine neue Schöpfung geführet, und uns Personen und Gebräuche anderer Geschlechter von Geschöpfen vor Augen gesteilet werden. Der Herr Voltaire sollte demnach Miltons geistlichen Stücken wenigstens diese Kraft zu bewegen, welche sie mit allen Schatten-Personen der Dichtung gemein haben, zugestanden haben. Als er selbst in dem Gedicht von Heinrich dem vierten abgezogene Eigenschaften und Zufälligkeiten vor Personen eingeführet, und in Handlungen verbunden, hat er sich nicht eben dadurch dem Leser angenehm machen wollen, oder hat er gedacht, daß dieser mehr Anmuth an dergleichen Schatten-Personen finden, und mehr Theil an ihrem Schicksal nehmen werde, als an dem stehn und fallen der himmlischen würcklichen Wesen? Und wenn er gleich vor seine Person so kaltsinnig an Einbildungs-Krafft, oder von so strenger Gemüthes-Art hat scheinen wollen, daß diese Hirn-Geburten[21] ihn nicht vermögen einzunehmen, so sollte er doch in seinem Urtheil mehr auf die allgemeine Neigung der Menschen, als auf seine eigene Achtung gegeben, insonderheit sollte er die Leser nicht aus den Augen gesetzet haben, für welche Milton sein himmlisches Gedicht geschrieben hat. Das sind Leute, welche die Engel vor etwas mehr als Geschöpfe einer müssigen Einbildungs-Kraft erkennen, welche von ihrer Würcklichkeit und dem hohen Rang, den sie unter den mannigfaltigen Reihen der Geschöpfe Gottes bekleiden, unbetrügliche Nachrichten empfangen haben, welche aus den Berichten heiliger und göttlicher Männer wissen, daß die Geschichte dieser Engel sie gantz nahe angehet, zumahl einige derselben um ihre Glückseligkeit bekümmert sind, andere hingegen auf ihren Untergang lauren; weil auch die erstern mit ihnen einerley Begierde und Eifer hegen, dem Höchsten ihre Treue und Gehorsam zu erstatten, die leztern aber sich unseliger Weise bemühen, sie von ihm abzuziehen, und in dieser verdammten Mühe würcklich nur allzuweit fortgegangen sind. Es ist nicht möglich, daß Leute, die in diesen Gedancken stehen, keine Regungen gegen die Stücke des Miltonischen Werckes, darinnen die guten und bösen Engel aufgeführet werden, bey sich empfinden können. Diese Betrachtung hätte den Herrn Voltaire vermögen sollen, sich mit dem geschwinden Schluß nicht zu übereilen, welchen[22] er die Französischen Kunstrichter, zu deren Worthalter er sich aufgeworffen hat, aus oben geseztem seichten Grund ziehen läßt, und dergestalt abfasset: »Nach diesem Grundsatz, lauten seine Worte, würden sie behaupten, daß es verlohrne und überflüssige Arbeit wäre, dem Leser alle Character der Krieges-Häupter vorzustellen, Raphael, Michael, Abdiel, Nisroc und Moloch abzuschildern, wie Homerus den Ajax, Diomedes, und Hector geschildert hat. Denn wozu dienet es, erkläret er sich ferner, daß diese Wesen so sorgfältig und vollständig abgeschildert werden, welche dem Leser so fremd und unbekannt sind, daß er an ihrem Schicksal keinen Antheil nehmen kan.« Daher scheinen ihm die langen Reden dieser chimärischen Helden, also heisset er die Engel, vor der Schlacht und mitten in dem Treffen, und ihre Kämpfe nur eine übel überlegete Nachahmung Homers. Ich muß bald der Meinung des Herren Paul Rolli beyfallen, der in seinen Anmerckungen über Voltaires Versuch von den Epischen Gedichten diesen Französischen Kunstrichter beschuldigt, daß er Miltons Leser vor lauter Indianer und Chinesen halte, welche von dem Fall der Engel nichts wissen, und Michael niemahls den Erz-Engel noch Satan den Erz-Teufel haben nennen hören; daher er meinet man könte von ihm sagen, daß er zu Tonkin daheim und einer von so vielen Tausenden[23] Chinesen wäre, die von dem Christenthum niemahls gehöret reden, geschweige daß sie die Apocalypsin oder die Weissagung Ezechiels gelesen haben. Wahrhaftig der schlechteste Christliche Leser hält die guten Engel vor seine vornehmen Freunde, und Mit-Diener des Allerhöchsten, die zwar ihn an Würdigkeit und Gaben ungemein übertreffen, jedoch zu seinem Schutz bestellet sind, hingegen siehet er die bösen Engel, als die Förderer seines Falles an, als seine Verführer, die nach seinem Verderben trachten, und ihm tausend Fallen legen, ihn zu stürtzen, damit sie ihn von dem Himmels-Wege, und der Gnade Gottes, die ihm in so weit wider geschenket worden, abführen und zu sich in die höllischen Wohnungen hinunter ziehen, daselbst ihre Qual mit ihnen zu theilen. Nun ist nichts natürlichers, als daß man um den Zustand derjenigen, die uns Nutzen bringen, oder Schaden thun können, besorgt ist, und dieses um so viel mehr, als sie mehr Willen und mehr Macht haben, uns zu helfen oder zu schaden. Alle Umstände, die uns von ihnen zu vernehmen kommen, werden von uns mit Begierde angehöret, und sind bequem auf einer Seite freudige, auf der andern furchtsame Empfindungen bey uns hervorzubringen. Es ist uns, daß wir selbst um so viel sicherer stehen, wenn wir vernehmen, daß unsre Freunde glücklich, und selig sind; und wenn wir hören, daß unsre Feinde zu boden liegen,[24] richtet es uns auf, wie wir hingegen uns bekümmern und befahren, wenn unsre Freunde Abbruch leiden, und unsre Feinde die Oberhand gewinnen. Ein Freund findet selbst in der geringsten Nachricht von seinem Freund etwas, das sein Verlangen erwecket, das ihm Furcht, Hoffnung, Trost und s.f. bringet, nur eine Handlung, nur ein Spruch, nur ein Wort, das ihm von ihm erzehlet wird, unterhält ihn in der Aufmerksamkeit, allermassen ihm seine Freundschaft des Freundes Zustand als seinen eigenen fühlen und empfinden läßt. Dieses war die Ursache daß Milton diese wahrhaften Wesen, welche dem schlechtesten Christen in so weit bekannt sind, so sorgfältig abgeschildert, und ihre Reden und Thaten so vollständig vor Augen geleget hat. Nachdem er an dem rechten Orte von der einen Freundschaft und der andern Feindschaft gegen uns so wohl als beyder Macht solche im Werck zu zeigen, hohe Proben und Würckungen vorgestellet, und uns schon dadurch theils mit Liebe, theils mit Haß gegen sie eingenommen, so konten uns die Nachrichten von ihrem Character, Sitten, Reden, Kämpfen, so umständlich sie waren, nicht anders als desto mehr einnehmen, weil sie uns um so viel weiter in ihre Bekanntschaft führen, und uns zu ermessen geben, wie viel wir von ihnen zu hoffen, oder zu fürchten haben. Aus eben dergleichen Ursache hatte Homerus seine Helden so deutlich abgeschildert, und[25] ihnen nach eines jeden Character so viele Sprüche, und Reden zugeschrieben, und wenn man sagen will, daß Milton hierinnen dem Homerus gefolget, so ist dieses an sich selbst ein Lob, wiewohl es von Voltaire vor einen Fehler angerechnet wird; allermassen Homer sich in diesem Stücke nach dem menschlichen Affecte gerichtet hat, daher noch zweifelhaftig bleibet, ob der Englische Poet hier die Natur selbst, oder das Muster derselben in dem Griechischen Poeten, der ihr gefolget, nachgeahmet habe. Gutherzige Critici werden dem erhabenen Milton ihren Danck mit ihrer Bewunderung bezeugen, daß ers so glücklich gewaget hat, die Character dieser hohen Wesen so ausführlich und in so absonderlichen Umständen aus einander zu setzen; die Leser insgemein, welche die standhaften Engel hochachten und lieben, die gefallenen aber hassen und fürchten, werden tausend Vergnügen darüber bey sich empfinden, daß der Poet alle Stärcke seines Geistes angespannet, dem Mangel der Nachrichten, so sie davon hatten, zu Hülfe zu kommen, und die Schrancken ihrer Wissenschaft in diesem Stücke weiter hinan zu setzen. Und da diese die Hoffnung der Unsterblichkeit und der ewigen Seligkeit haben, wird es ihnen überaus angenehm seyn, in den Miltonischen Vorstellungen der glückseligen Einwohner des Himmels dasjenige, was sie hoffen, vorzusehen und dadurch einigermassen vorzugeniessen. Das[26] Conterfey, das Voltaire in folgenden Zeilen von den Französischen Lesern unsers Poeten verfasset hat, zeiget keine Aehnlichkeit mit jenen erstern: »Der Franzose, sagt dieser Criticus, lachet mit einem verächtlichen Gesichte, wenn er höret, daß die Engelländer ein Episches Gedicht haben, in welchem die Materie abgehandelt wird, wie der Teufel mit Gott streitet, wie Adam und Eva aus Anstiften einer Schlange einen Apfel essen. Da diese Materie bey ihnen niemahls was mehrers hervorgebracht hat, als etliche Strophen von Liedern, oder etliche lustige Verse, in welchen Stücken diese Nation sich so berühmt gemachet hat, so können sie nicht fassen wie es möglich sey, ein Gedicht von einer Sache zu verfertigen, von welcher sie Gassenständgen machen; und man kan sagen, daß ihr Irrthum in diesem Stücke sich entschuldigen läßt, denn wenn wir betrachten, mit welcher Freyheit die wohlgezogensten Männer, so wohl von der protestierenden als von der Catholischen Kirche, ungeachtet ihrer hohen Ehrfurcht gegen die Christliche Religion, zuweilen dieses Stück der heiligen und zugleich lustigen Geschichte von dem Teufel, der Schlange, der Gebrechlichkeit unserer ersten Eltern, der Riebe Adams, und andere dergleichen Sachen in ihren Gesprächen in ein Gelächter ziehen, so müssen wir es für ein verwegenes Unternehmen vor einen Poeten ansehen,[27] der solche Materien abhandeln darf, und für etwas eine Hochachtung von uns erhalten will, welche die heiligen Scribenten mit grosser Müh von uns bekommen können.«

Der muß wahrhaftig ein niedriges und verderbtes Hertz haben, der einige Aufmercksamkeit auf eine solche Schwierigkeit machet, welche die elende Gewohnheit schaler Köpfe, so die Geschichte des Miltonischen Gedichtes zur Materie ihres Gelächters mißbrauchen, zum Grund hat! Diese Leute, die Voltaire mit dem Titel der wohlgezogensten Männer in beyden Religionen beehret, sind vielmehr der Abschaum einer Nation, und die hohe Ehrfurcht, die sie dabey gegen die Religion behalten, erfordert eine starcke Leichtgläubigkeit von uns. Es muß einer sehr unbesonnen und verkehrt seyn, wenn er für solche thörigte Leute schreiben, oder seinen Ruhm auf ihr Urtheil bauen will. Voltaire giebt durch seine Reden zu verstehen, daß ihn die Betrachtung der Schwierigkeit, die er sich von seiten dieser seichten Spötter vorgestellet hat, von der Erwehlung dieser Materie abgeschrecket hätte; aber er verräth dadurch, wie weit er an Großmüthigkeit hinter Milton zurück bleibet. Dieser sah in seiner Wahl alleine auf die Natur der Materie selbst, welche in dem höchsten Grade vortrefflich und einzeln ist; eine solche zu verwerffen, weil sie von solchen Zotenreissern mißhandelt wird, oder eine zu erwehlen, die denselben gefallen könte,[28] war er zu edelmüthig und zu gerecht. Er wußte, daß das Gespötte, das auf etwas gutes und vollkommenes fällt, dasselbe nicht verderben kan, weil es darauf nicht anklebet.

Quelle:
Johann Jacob Bodmer: Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie und dessen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen. Zürich 1740, S. 3-29.
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Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 5-8

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Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

554 Seiten, 24.80 Euro

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Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

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Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

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