Der vierte Abschnitt.

Von dem Zusammenhang in Miltons

Vorstellungen der Engel.

[113] Verdächtige Merckmahle der critischen Urtheile Magny von dem verlohrnen Paradiese. Widersprüche, welche er in diesem Gedichte zu sehen meint; Daß Milton die Unempfindlichkeit mit der Empfindlichkeit zusammengereimet; Daß er die Flöten und Hautbois der gefallenen Engel nach einer Melodie gestimmet habe, welche noch nicht vorhanden gewesen war; Daß er in der Beschreibung des verdunckelten Glantzes Satans das wenige und das viele in einer Sache und in einem Gesichtes-Puncten vereinbaret habe; Daß er den Vater bitte, einen Willen abzulegen, den er nicht gehabt, und der unveränderlich würde gewesen seyn, wenn er ihn gehabt hätte; Daß er eine Warnungs-Stimme wünschet, welche die ersten Menschen vor Satans Fallstricken bewahrete, da er doch von dem Vater gehöret hatte, daß der Mensch fallen würde. Verstossungen, die Magny sich in dem Traume der ersten Frauen, welcher von Satan in ihrer Phantasie gewürcket worden, einbildet, indem er ihr dadurch Waffen wider ihn selbst in die Hände geliffert habe. Widersprüche in den Gedancken Satans, da er in seiner aufrührischen Rede zu verstehen gebe, daß er von der Stunde seiner Erschaffung des Hochverrathes schuldig gewesen, massen er Gott niemahls für den Monarchen des Himmels erkannt habe; Und da er in der Anrede an seine geflohenen Heerscharen schliesse, daß sie gegen das himmlische Heer ewige Tage werden Stand halten mögen, weil sie einen Tag gegen dasselbe Stand gehalten hätten. Verstoß des Hrn. Magny in der Berechnung der Anzahl beyder Heere, und in dem Vorgeben,[114] daß der Poet die Engel einander an Stärcke gleichmässig gesetzet habe. Widerspruch den Voltaire zwischen dem Befehl Gottes an Michael das satanische Heer aus dem Himmel zu jagen, und dem Mangel in der Vollstreckung desselben entdecket haben will. Unrichtiger Schluß den Magny darinnen findet, daß Gott durch die Erschaffung neuer Anbeter dem Satan das Rühmen abgeschnitten, daß er ihm Anbeter entführet habe. Vermeinter Widerspruch zwischen Satans Muthmassung, daß Gott nicht früher als nach seinem Abfall auf die Gedancken gefallen, die Welt zu erschaffen, und eben desselben Vorgeben von einem prophetischen Gerüchte, das in dem Himmel von der künftigen Erschaffung einer Welt gegangen wäre.


Der critische Advocat, mit dem wir in dieser Abhandlung am meisten zu thun bekommen, hat die Zanck-Kunst, die ihn auf dem Richthause berühmt gemachet, auf den Parnaß gebracht, und das herrliche Gedichte Miltons mit solchen Advocaten-Stückgen aufgezogen, wie er sonst mit den Processen zu thun gewohnet war. Ich rede nicht zu hart von einem Manne der durch seine beissenden Ausdrücke die Wahrheit selbst verdächtig machen würde, wenn er für sie redete; Von einem, der uns bekennet, daß er in der ersten Durchlesung des verlohrnen Paradieses nichts anders gethan habe, als dasselbe bewundert, und das Vorhaben ein Werck, das ihn so vollkommen dünckete, zu tadeln, mit zittern gefasset habe, ja daß er darinn nur durch den Unmuth bestärcket worden, in welchen ihn[115] der ironische Ausdruck des Herren Addisons gesetzet, der gesagt, diejenigen, die Miltons Gedichte den Nahmen eines heroischen Gedichtes nicht zugestehen wollen, können es nach Gutbefinden ein göttliches Gedichte nennen; Anderer Stellen zu geschweigen, in welchen er sich verräth, daß das grosse Lob, welches Addison Miltons Wercke beygeleget, dasselbe bey ihm verringert und ihn vermocht habe, so viel böses davon zu sagen. Wahrhaftig dieses alles läßt uns keinen sichern Geschmack, kein festes Urtheil, keine aufrichtige Critick bey ihm vermuthen. In der That sind seine Einwürffe weder in festgesetzten und bewiesenen Grundregeln gegründet, noch ordentlich mit einander verknüpfet, und man hat Mühe, die Grundsätze, welche sie unterstützen sollen, herauszubringen. Alleine seine unverschämte Dreistigkeit im Aussprechen seiner Urtheile muß ihm dasjenige ersetzen, was an Richtigkeit daran abgehet. Diese steiget stets auf einen höhern Grad und scheuet sich ietzo nicht den Poeten eines Widerspruchs in seinen Vorstellungen zu beschuldigen, der keinen andern Grund hat, als den widersinnigen Kopf des Tadlers. Nachdem ich denn in dem vorhergehenden Abschnitte die Vorstellungen der englischen Personen an sich selbst und in ihrem Grund vertheidiget habe, wie sie auf die Natur, den Character und die Tugenden derselben sehen, will ich sie in dem gegenwärtigen in ihrem Zusammenhange[116] betrachten, und wider Miltons Ankläger vornehmlich erweisen, daß eine jede mit sich selbst und mit den andern in genauer Uebereinstimmung zusammenhängt.

Der Herr Magny entdecket nach seiner scharffen Einsicht nicht weit von dem Anfange des Gedichtes einen offenbaren Widerspruch. Der Poet beschreibet den Satan, wie er und seine Gesellschaft nach ihrem Falle vom Himmel sich neun Tage lang in dem feurigen Meerbusem herumgeweltzet haben, der Sinnen beraubet. Dieses heisset der Criticus, »die Beraubung der Sinnen mit den feurigen Wellen zusammenreimen, die Unempfindlichkeit mit der Empfindlichkeit. Das göttliche Strafgerichte, sagt er, hat Satan die Unsterblichkeit gelassen, zu seiner grössern Qual, aber hat sie ihm die Unempfindlichkeit mitgetheilet,« Die Unempfindlichkeit ward ihm und seinem elenden Heer für neun Tage lang mitgetheilet, diese Zeit über lagen sie in dem Feuer-Meer, ohne daß sie den Brand desselben fühleten; Man konte auf gewisse Weise von ihnen sagen, was der geschickte Herr Marivaux von einer in Ohnmacht gefallenen Fräulein sagt: Sie waren nicht todt, doch lebeten sie auch nicht; aber nach der Zeit bekamen sie den Gebrauch der Sinnen und die Empfindung wieder. Dieses düncket mich gereimt genug, nur daß ich es mit Herren Magny Ausspruch nicht wohl reimen kan.[117]

Milton hatte gesagt, das Heer der gefallenen Engel sey in einem vollkommenen Phalanx nach der dorischen Symphonie anmarschiert, solches hatte der frantzösische Uebersetzer gegeben, die Flöten und Hautbois seyen nach der dorischen Melodie gestimmet gewesen. Er braucht das Wort se conforment. Auf dieses fällt die Critick des Kunstrichters. »Wie konten sie, sagt er, nach einer Melodie gestimmet seyn, die noch nicht war; Soll man mit etwas zustimmen, muß man ein Modell, das würcklich da ist, vor sich haben. Also hätte Milton besser gesagt: Von dieser Art war nach der Zeit die dorische Melodie. »Eben dieses saget der Poet. Die dorische Melodie konte schon gewesen seyn, eh dieser Nahme gewesen war; dieses nimmt Milton an, und brauchte zum voraus den künftigen Nahmen. Also hat es Virgil mit den Nahmen der Orte und Völcker und Städte in Latien gehalten, welchen Anchises in der prophetischen Erzehlung von den Thaten und dem Ruhm der Nachkommen Eneas diejenigen Nahmen giebt, so sie erst lange Zeit hernach bekommen haben:


Hi tibi Nomentum, & Gabios, urbemaue Fidenam,

Hi Collatinas imponent montibus arces,

Pomerios castrumque Jnui, Bolamque, Coramque,

Hæc tum nomina erunt, nunc sunt sine nomine terræ.


Und unser Poet hat auf gleiche Weise den gefallenen[118] Engeln, als sie noch nicht aus der Hölle ausgebrochen waren, die Menschen zu verführen, die Nahmen der heidnischen Gottheiten beygeleget, welche sie erst lange hernach erhalten, nachdem sie den grösten Theil des menschlichen Geschlechtes verführet hatten, den Schöpfer zu verlassen, und Teufel für Gottheiten anzubeten.

Eben so nichtig ist der folgende Widerspruch, den Magny dem Poeten Schuld giebt. »Milton habe erstlich von Satan gesagt, das Unglück habe seinen Glantz ein wenig verdunkelt, und sage hernach von eben demselben, auf seinem Angesicht seyn tiefe Narben gewesen, welche ihm von dem Donner eingegraben worden; Dieses stimme mit einander nicht überein, es heisse das wenige und das viele in einer Sache und in einem Gesichtes-Puncten vereinbaren.« Wenn wir in der Grundsprache des Gedichtes nachsehen, so werden wir finden, daß Milton sich genauer also ausgedrucket hat: Satans Gestalt habe ihren angebohrnen Glantz noch nicht gäntzlich verlohren gehabt, sie habe nicht geringer geschienen als eines Ertz-Engel, der gefallen ist, und an welchem der ehmahls übermässige Glantz sich verdunckelt hat. Milton hatte sein Auge auf den vormahligen unvergleichlich gläntzenden Stand Satans gerichtet, in Absicht auf denselben sagt er, daß das ehmahls übermässige in seinem Glantz sich verdunckelt habe: Bey diesem[119] so verdunckelten Glantze schreibet der Poet ihm noch tiefe Narben zu, welche der Donner auf seinem Angesichte gezeichnet habe. Dieses kan mit der Verdunckelung gar wohl bestehen; der verdunckelte Glantz bedeutet nicht weniger, und giebt keinen geringern Begriff, als die tiefgeschlagenen Donner-Mähler, massen auch diese Verdunckelung eine Würckung desselben Donners gewesen; er giebt auch nicht mehr, oder ein grösseres Licht zu verstehen, als mit den Narben bestehen kan. Eine Gestalt kan zugleich und auf einem hohen Grade leuchten und Mähler haben; Also haben die neuern Sternseher in dem hell-leuchtenden Cörper der Sonnen Flecken entdecket.

Folgende Beschuldigung eines neuen Widerspruchs fällt, so fern sie einigen Grund hat, auf die Uebersetzung des Herren Saint-Maur. Gott der Vater läßt sich im dritten B. gegen dem Sohn, der ihm zur Rechten sitzet, vernehmen, der Mensch werde Gnade finden. Darauf anwortet ihm der Sohn, von dem Ungehorsam des Menschen und dem Urtheil des Ewigen Todes redend, nach dem Frantzösischen dergestalt: Lasset einen solchen Willen fern von euch seyn. »Dieser Wille, sagt Magny hierauf, war nicht da, weil der Vater eben gesagt hatte, der Mensch werde Gnade finden, aber wenn dieser unveränderliche Wille da gewesen wäre, hätte Gott ihn ablegen können?«[120] Ferner antwortet der Vater dem Sohne nach dem Frantzösischen: Dein Begehren rechtfertiget meine unwiderrufliche Verordnung, es ist meinen Gedancken gemäß. Hierauf gründet der Kunstrichter einen weitern Einwurf. »Was will Milton mit diesem Worte Begehren sagen? Hat sich der ewige Vater nicht schon erkläret, begehret man eine Gnade, die man schon empfangen hat?« In Miltons eigenen Worten findet sich von dieser Undeutlichkeit nichts; Der Sohn antwortet erstlich dem Vater: Sollte der Mensch fallen? Das sey von dir fern, fern sey das von dir, Vater! Welche Redens-Art mit dem lateinischen Absit einerley sagt, und eine Verwerffung oder Mißbilligung einer Sache anzeiget, so mit einem Abscheuen begleitet ist; also daß der Sohn an diesem Ort damit seine höchste Billigung und Genehmhaltung des väterlichen Entschlusses, welcher das Gegentheil von dem ist, den er hier mit Abscheu verwirfft, an den Tag giebt. Und der Vater sagt nach Milton in der Gegen-Antwort: Du hast eben geredet wie meine Gedancken sind, eben wie mein ewiger Vorsatz bestimmet hat. Also war des Sohnes Antwort nichts anders, als eine weitere Ausführung und Befestigung derer gnädigen Gedancken gegen den Menschen, welche der ewige Vater schon durch seinen eigenen Mund zu erkennen gegeben hatte.[121]

Milton hatte in dem dritten B. den Vater vorhersagen lassen, daß der Mensch Satans lügenhaften Vorgebungen Gehör geben werde; darauf fängt er das vierte B. mit einem Wunsch an, daß eine Stimme möchte erschallen, unsre ersten Eltern vor ihrem ankommenden Feinde zu warnen, und sie dadurch aus seiner Schlingen zu ziehen. Die Hoffnung, die in diesen letztern Worten enthalten ist, kan Magny mit der vorhergegangenen Eröffnung, daß der Mensch sich zum Ungehorsam werde verleiten lassen, nicht reimen. Wenn der Criticus bey sich erwiegt, daß das Zuvorsehen Gottes keinen Einfluß auf den Fall gehabt hat, folglich auch das Vorhersagen nicht, sondern daß der Mensch ohne Antrieb oder Stoß der Schickung aus freyem Willen gefallen ist, so wird er leicht erkennen, daß der Wunsch des Poeten, und die darauf gegründete Hoffnung gar nichts ungereimtes in sich fassen, weil diese gewünschete Warnungs-Stimme in der That ein Mittel hätte abgeben können, den Fall zu verhüten, wenn die ersten Menschen sie gehöret und wohl gebrauchet hätten. Ich bitte auch anzumercken, daß alle Wünsche und Bitten von dieser Art sind, denn dasjenige, was das Schicksal über das Glück der Menschen vorherbeschlossen hat, ist eben so unveränderlich, wenn es uns verborgen bleibet, als wenn es, wie hier geschehen ist, eröffnet und vorhergesagt worden.[122]

Der unermüdete Tadler unsers Poeten findet unterschiedliche Fehler in dem Traume der Eva im fünften B. welchen Satan in ihrer Phantasie gewürcket hatte. Eine eigene Einsicht in das Englische wird uns aber auch hier mit leichter Müh entdecken lassen, daß die vermeinten Verstossungen von dem Critico und nicht von dem Poeten begangen worden. Ich will nur eine davon retten, und die übrigen den Anfängern in der Critick zu untersuchen überlassen. Magny will behaupten, »Milton habe Even durch die Vorstellung der Verführung, welche er gesonnen war, gegen ihr vorzunehmen, die Waffen wider sich selbst in die Hände geliffert, er habe ja fürchten sollen, sie werde sich, wenn er ihr solche so umständlich vorbildete, desto besser dagegen in Acht zu nehmen wissen.« Alleine dieser geschwinde Criticus hat die geheime List, welche in dieser satanischen Scena mit unsrer ersten Mutter verborgen lieget, nicht eingesehen, welches uns könte vermuthen lassen, wenn er an ihrer Statt gewesen, daß er ungeachtet der Obermacht seines Witzes, der ihm den Ertz-Engel Uriel selber vor allzu unbedachtsam und leichtsinnig vorgestellet hatte, weil er sich von dem verkleideten Satan hatte betriegen lassen, eben so leicht wäre übertölpelt worden. Satans List bestuhnd in der Beredungs-Kraft des Exempels; Der Betrieger wollte Even die ersten Begriffe beybringen, daß[123] die verbotene Frucht gut und nützlich zu essen wäre, daß sie vor die Götter gewidmet wäre; die Menschen selbst zu dem göttlichen Verstand erheben könte, und ihnen nur aus Neid gemißgönnet worden. Diese Begriffe konten ihr auf keine nachdrücklichere Weise beygebracht werden, als durch das Exempel, darum stellete Satan sich im Traume, der Eva in der Gestalt eines Engels vor Augen, er aß von der Frucht, und hielt auch ihr davon zum Munde, sie mit dem Geruche zu reitzen. Als sie im Phantasieren auch davon gegessen, that er zu seinen Worten auch die versprochene Würckung hinzu, und führete sie in der Einbildung über die Wolcken hinauf. Diese Vorstellungen sind fürwahr keine Waffen wider Satan, sondern vielmehr teufelische Künste und Blendungen, dadurch eitele Hoffnungen und hohe Einbildungen erwecket werden. Ist des Herren Magny Meinung, daß die Gleichheit dieser Handlung mit derjenigen, welche Satan nachgehends mit der wachenden Eva vorgenommen hat, ihr den Betrug sollte entdecket oder wenigstens verdächtig gemacht haben, so hab ich dagegen zu erinnern, daß Eva diesen Traum nicht vor ein Werck eines verborgenen Feindes, zumahl da ihr kein solcher noch bekannt war, sondern vor eine blosse Nachahmung der spielenden Phantasie gehalten, oder gesetzt daß sie das nächtliche Gesicht vor etwas mehr als einen Traum angesehen hätte, so brachten sie[124] die listigen Vorstellungen der redenden Schlange auf die Gedancken, daß es von einem günstigen Wesen möchte hergekommen seyn, nachdem sie an der Geschichte der Schlange ein neues Exempel der vergötternden Frucht zu haben wähnete, welches das erstere bestätigte, vornehmlich, da sie an diesem Thiere, das also redete, und seine Aussage mit dem Gebrauche der Rede zu beweisen schien, keine Anzeige einiges Betruges merckete, und ihr keine Ursache bekannt war, warum es ihr sollte übel wollen, oder sie zu beleidigen trachten. Wollte man einwenden, daß meine Auslegung mit dem allen Even eine allzu grosse Leichtsinnigkeit beyleget, welche an der ersten Frauen nicht wahrscheinlich genug wäre, so thut man mir Unrecht, weil die Sache selbst nicht nur wahrscheinlich sondern die Wahrheit selbst ist. Das Verboth vor sich alleine war so gemessen, der Schöpfer hatte solches mit seiner gebiethenden Minen so ernstlich ausgesprochen, er hatte eine so scharffe und schnelle Straffe darauf gesetzet, die Menschen waren von seiner Allmacht und seiner Güte, durch so herrliche und sichere Proben überzeuget, daß dieses die stärcksten Waffen wider Satans Versuchungen hätten seyn sollen; Nichtsdestoweniger hat Eva übertreten.

In den Reden und Gedancken Satans findet Miltons feindseliger Gegner ein paar mahl Widersprüche, erstlich wenn Satan im fünften[125] B. in seiner aufrührischen Rede sagt, niemand könne sich der Monarchal-Herrschaft über solche anmassen, welche ihm an Freyheit gleich sind, ob sie gleich an Macht und Glantz geringer wären, woraus Magny folgert, Satan sey seit der ersten Stunde seiner Erschaffung des Hochverrathes schuldig gewesen, massen er Gott nicht für den Monarchen des Himmels erkannt habe; Hernach wenn der Ertz-Teufel im sechsten B. in der Anrede an seine geflohenen Heerschaaren meldet, daß sie gegen den Heerzeug des himmlischen Monarchen ewige Tage werden Stand halten mögen, weil sie einen Tag gegen ihn Stand gehalten hätten. Ich könte auf beyde Einwürffe kurtz antworten, daß die Widersprüche und unter sich selbst streitenden Sätze recht nach dem Character des Vaters der Lügen seyn, von welchem man keine richtigen und in bündiger Ordnung zusammenhangenden Vernunfts-Schlüsse erwarten muß. Doch will ich des ersten halben noch hinzu setzen, daß dieser Satz wider die Monarchal-Herrschaft im Himmel dem Satan allererst damahls konte in den Sinn gekommen seyn, Milton sagt nirgend, daß er dergleichen Gedancken vor seinem Aufstand, vielweniger von seiner Erschaffung an geheget habe. In der französischen Ubersetzung lesen wir zwar auch die Worte: der Despotißmus hat bißdahin hier nicht Platz gehabt, aber nach dem Englischen heisset es: Ihr seyd[126] von dem Himmel gezeuget, seine Söhne, welcher vor Euch von Niemanden war innengehabt worden. Wenn der Herr Magny in den Worten, die unmittelbar auf diesen Einwurf folgen, die Seichtigkeit der Schlüsse Satans erkennet und sich verwundert, daß alle diejenigen, die sie angehöret haben, den einzigen Abdiel ausgenommen, ihnen Beyfall gegeben haben, so muß ich dieses als einen Beweißthum seiner wohlgegründeten Religion ansehen, und ihn deßwegen im höchsten Grade loben; Doch weil er mithin den Poeten zu beschuldigen scheinet, daß er dem Ertz-Feinde so elende Gründe in den Mund geleget hatte, muß ich noch erinnern, daß keine Reden zum Behuf einer so offenbar verdorbenen Sache, wie Satans Aufstand war, können erfunden werden, welche nicht in ihrem Grunde seicht, elend und erbärmlich seyn. Ueber den andern Einwurf hab ich anzumercken, daß in Satans Schluß-Rede dennoch ein ziemliches Blendwerck stecket. Sie ist auf das Vorurtheil desselben gebauet, daß der Herr des Himmels ein auserlesenes Heer wider ihn ausgesendet, welches er vor starck genug gehalten hätte, den Aufstand zu dämpfen: Nun aber hatten die Aufrührischen dem Heer des Allmächtigen den ersten Tag in so weit Widerstand gehalten, daß sie noch nicht bezwungen worden. Woraus Satan schleußt, weil der Höchste Herr ein zu schwaches Heer wider[127] sie gesendet, könne er fehlen, und er werde ihm auch künftighin, wie desselben Tages, Stand halten mögen. Dieses ist unleugbar in seinem Grunde falsch und eitel, aber wie konte es anderst seyn, wie konte einige Rede, die von dem Verführer gehalten wird, richtig und gründlich seyn? Will Magny den Poeten beschuldigen, daß er Satans Character verfehlet habe, weil er ihn nicht bündig und gründlich aus bewiesenen und festen Grundsätzen schliessen läßt?

Ich habe hier Anlaß einen Verstoß dieses allzu fertigen Critici in der Berechnung der Anzahl beyder Heere, die in dem Himmel gegen einander zu Felde lagen, auszusetzen. Bey Gelegenheit der Rede, in welcher der Vater den Sohn abfertiget, den Krieg zu beendigen, der sonst keine Endschaft hätte gewinnen können, so lange sie sich selber überlassen waren, weil sie in ihrer Erschaffung einander gleichmässig waren gemacht worden, und noch waren, ausgenommen was die Sünde von dieser Gleichheit weggenommen hatte, welche doch bisdahin nur unvermercket gewürcket, weil Gott die Straffe diser Aufrührer noch verschoben, verhauet sich unser unbesonnene Tadler also: »Es ist kaum ein Ausdruck, den Milton hier dem ewigen Vater in den Mund leget, welcher nicht strafbar wäre. Wenn Gott die Kämpfenden zu beyden Theilen ihrer eigenen Macht überlassen hat, warum hat der Sieg sich nicht auf die Seite gewendet,[128] wo die stärkere Anzahl war? Das Heer des Herren war zweymahl so zahlreich, als des Satans Schaaren. Waren Satans Soldaten dapferer und hertzhafter? Lasset uns weiter gehen, ist es auch gewiß daß die Engel einander gleichmässig erschaffen worden? Sie sind alle aus dem Nichts hervorgeruffen worden, aber sie haben mehr oder weniger Stärcke bekommen, nachdem es ihrem Schöpfer gefallen hatte, ihnen solche mitzutheilen. Alleine die Sünde hat etwas von dieser Gleichheit weggenommen, aber unvermercket, sagt Milton; Was vor eine schwache und gemilderte Beschreibung des Jammers welchen die Sünde anrichtet!« Ich ruffe hingegen, welche Verkehrung der zusammenhangenden miltonischen Gedancken und Ausdrücke! Da sie jedermann in die Augen fällt, will ich nur zweyer Verschiessungen erwähnen. Die erste, die mich auf diese Materie geführet hat, bestehet darinnen, daß das Heer Gottes stärcker an der Zahl gewesen, als Satans. Der Befehl Gottes an Michael und Gabriel lautete, daß sie die Söhne Gottes in gleich grosser Anzahl, als der rebellische Hauffen war, in die Schlacht führen solten; Und als der Messias zu Feld gieng, ward er von zehen mahl zehen tausend Heiligen begleitet, welche nicht in dem Streit gewesen waren. Der andere Verschuß ist, daß die Engel unter einander, einer von denselben dem andern, an[129] Stärcke gleichmässig gewesen sey. Der Poet hat die gleichmässige Stärcke der Engel nicht von den Individuis, sondern überhaupt von dem gantzen Heer eines Theiles gegen dem Heere des andern Theiles betrachtet verstanden, wie er denn die Fürsten und Heerführer von beyden Armeen nach ihrer verschiedenen Stärcke würcklich characterisiert hat. Da nun auf beiden Seiten eine gleich grosse Zahl gestanden, auch auf beyden Seiten Engel von gleichem Rang, Stand und Stärcke waren, so folget daß sie einander nichts hauptsächliches haben angewinnen können. Denn ob die Sünde gleich den grossen Unterschied zwischen ihnen gemachet, daß die Aufrührer dem Schmertzen unterwürffig worden, so war dieser vermöge der miltonischen Erdichtung noch nicht sonderlich empfindlich, worfür der Poet einen gar scheinbaren Grund giebt, weil Gott ihre Straffe noch verschoben hatte; Und in der Stärcke hatte die Sünde keine Verringerung gewürcket, wie Milton ebenfalls gantz geschickt annimmt, und solches schon in dem ersten B. von Satan und Beelzebub, sobald sie aus dem Feuer-Meer aufgestanden waren, anmercken läßt, da er ihnen die geschickte Muthmassung in die Gedancken leget, daß ihre Stärcke darum nicht abgenommen habe, damit sie unter ihren Schmertzen ausdauren mögten.

Der Herr Voltaire hat eine andere Ursache angegeben, welche den Sieg auf die Seite der[130] gehorsamen Engel hätte lencken sollen, nemlich den gemessenen Befehl Gottes, der Michael und Gabriel mit den Worten abgefertiget: Jaget sie bis an das äusserste Ende des Himmels und stosset sie von Gott und der Seligkeit aus, in ihre Gerichtesstätte, den Golfo des Tartarus, welcher sein feuriges Chaos schon weit aufspärret, sie im fallen zu empfangen. »Wir kan denn, sagt der Criticus und Poet, nach einem so gemessenen Befehl der Sieg zweifelhaftig und ungewiß seyn, und warum heißt Gott den Michael und Gabriel thun, was er hernach durch seinen Sohn vollbringen läßt?« Ich will die Antwort auf diesen Einwurf dem Herren Rolli überlassen, der in der That denselben in seiner Widerlegung des Herren Voltaire Prüffung der epischen Gedichte gründlich und umständlich gehoben hat; Wovon ich nur etwas weniges hier ausschreiben will. »In Miltons Worten lesen wir, sagt er, nichts anders als Befehle das Heer in den Streit zu führen, den Feind anzugreifen, zu verfolgen, aus dem Himmel zu jagen. Ich kan darinnen nicht finden, daß Gabriel und Michael zum siegen gesendet werden, wohl werden sie zum streiten, aber nicht zum siegen gesendet. Der Schluß des Höchsten ist noch nicht ergangen, daß sie triumphieren sollen.«

Ich füge zu diesem noch hinzu, wenn man je Lust hat, aus des Poeten Worten einen Befehl[131] zum siegen zu lesen, daß ein solcher darum den Sieg nicht als eine nothwendige Folge mit sich führet. Alle Feldherren werden zum siegen in das Feld gesendet, auch diejenigen, die geschlagen werden, sind zum Siege ausgeschicket worden. Wollte man sagen, daß es mit den Befehlen des Allwissenden eine andere Bewandniß habe, so würde mir leicht fallen zu zeigen, daß sie öfters nichts anders als eine Aufmunterung auf sich tragen, die uns unsere Pflichten vorstellig macht, damit wir alle Kräfte zu Erfüllung derselben anspannen.

Um derer willen, welche den Eigensinn und die Dreistigkeit eines Tadlers vor sichern Geschmack und Erleuchtung halten, will ich noch zwoer Unrichtigkeiten gedencken, die Magny in Miltons Schlüssen gefunden, die aber sowohl als die schon angeführten, nur in dem Gehirne des übereilten Kunstrichters Platz haben; Wenn man nicht sagen will, daß der schlimme Wille desselben eben so viel als die Uebereilung daran gearbeitet haben. Die erste findet er, da der Poet den ewigen Vater vor eine Ursache der Erschaffung der Welt anbringen läßt, damit Satan nicht prahlete, er hätte den Himmel entvölckert, in der Einbildung Gott hätte dadurch einigen Abbruch gelitten. Der Herr von Saint-Maur giebt dieses, damit er sich in seinem Hertzen nicht rühmete, daß er Gott Anbeter entführet hätte; Und darauf gründet Magny seine[132] Critick, die er mit folgenden Worten vorträgt: »Milton, sagt er, schleußt hier, wie mich deucht, nicht bündig, es ist wahr, Gott bekömmt durch die Erschaffung neue Anbeter, aber daraus folget nicht, daß sein Feind sich nicht habe rühmen können, daß er ihm Anbeter entführet habe.« Wenn diese Critick auch Milton gelten soll, so muß sie also gesetzt werden: Es ist wahr der Himmel bekömmt durch die Erschaffung neue Völcker, aber daraus folget nicht, daß der böse Feind sich nicht rühmen könne, er habe dem Himmel Völcker weggenommen. Wir können beyde Milton und seinen Uesbersetzer mit einer Antwort vertheidigen. Der Censor sucht den Grund der Prahlerey, die Satan in dem angenommenen Fall hätte ausstossen mögen, in der blossen Entführung oder Entvölckerung, welches die Meinung hier nicht ist, was wäre das für ein Ruhm gewesen, daß er die Engel aus der Seligkeit- in das Verderben geführet, daß er den Himmel leer gelassen, aus welchem er verstossen worden; sondern den Grund seines Rühmens hätte nach unsern Verfassern die Verminderung der Anzahl der himmlischen Einwohner, und der Anbeter Gottes abgeben mögen. In dieser Absicht hätte Satans Prahlerey einigen Schein gehabt, wiewohl es nur eine eitele und elende Prahlerey gewesen wäre, weil die Anzahl der himmlischen Einwohner, und der Anbeter Gottes zu seiner Grösse eigentlich[133] nichts hinzuthut: Damit dennoch auch dieser Schein gehoben würde, wird dem Schöpfer die Ursache der Erschaffung der neuen Welt in den Mund geleget, daß er den Himmel dadurch wider bevölckern, und die Anzahl seiner Anbeter habe ergäntzen wollen.

Die andere Unrichtigkeit, von der ich noch reden will, soll in den Worten stecken, da Satan im neunten B. in der Rede, die er mit sich selbst geführt hat, eh er in die Schlange gefahren war, vor die muthmassliche Ursache der Erschaffung der Welt eben diese Verminderung der Anbeter Gottes angiebt. Vielleicht, sagt Satan, hat er nicht früher auf die Erschaffung gesonnen, als seit ich in einer Nacht, beynahe die Helfte Engel von der Herrschaft befreyet, und dadurch die Anzahl seiner Anbeter vermindert habe. Magny meinet, dieses streite mit dem was Beelzebub im zweyten B. gesagt hat, eine alte Weissagung habe ihnen in dem Himmel geoffenbaret, es sollte eine neue Welt aus dem Nichts entspringen. Auf diese Weise giebt es die französische Uebersetzung, die englische Grundsprache des Gedichtes sagt etwas wenigeres, nemlich: Wofern ein altes prophetisches Gerüchte, das in dem Himmel gegangen ist, nicht ohne Grund sey. Dieses prophetische Gerüchte war also gantz dunckel, und ungewiß, vor eben so ungewiß trägt Satan seine Muthmassung von der Ursache der Erschaffung vor, vielleicht, sagt[134] er. Nun stossen zwo Ungewißheiten einander nicht um, so wenig als eine die andere gewiß machet. Und jetzo vermeine ich nicht Unrecht zu haben, wenn ich dem Herrn Magny eine Lection lese, welche der Hr. La Motte vor dergleichen raschen Tadler in seiner Abhandlung von der Tragödie bey Gelegenheit seiner Innes geschrieben hat: Die Fehler, sagt er, mit welchen man die Scribenten am meisten zu schanden machet, sind die Widersprüche. Man will sie dadurch überweisen, daß sie ihr Werck nicht gantz überschlagen haben; Daß sie weder von ihrem Plan noch von den Charactern, die sie vorstellig machen, nette und aus einander gesetzte Begriffe gehabt haben; Kurtz daß sie sich mehr von der Einbildungs-Kraft haben fortreissen, als von dem Verstande führen lassen. Indessen thut man ihnen Unrecht, wenn diese Fehler nicht häufig vorkommen, so man sie auf eine verächtliche Weise einem Mangel Einsicht zuschreibet; Und wenn nur die Verfasser solche bekennen, wenn man sie ihnen anzeiget, so verdienen sie wohl, daß man sie nur vor Uebersehungen ansehe, welche in einem langen Wercke allemahl zu verzeyhen sind. Aber diese Tadler geben mit ihren Verweisen eine noch unvorsichtigere Leichtsinnigkeit zu erkennen, indem sie oft vor einen Widerspruch ausgeben, was keiner ist. Da sie ein Werck bey weitem nicht so wohl im Kopf haben, als der Verfasser, so begreiffen sie die[135] verschiedenen Stücke und Theile desselben keinesweges mit solcher Gewißheit, als er; Weil es ihnen Noth thut zu tadeln, so haben sie an dem ersten Scheine genug. Wissen sie denn nicht, daß es zwar alle Behutsamkeit und Vorsicht braucht, damit man nicht fehle, aber daß dieses noch im höherm Grade vonnöthen ist, damit man nicht ungeschickt tadle; weil es ein doppelter Fehler ist, so man neben dem Fehler noch eine Ungerechtigkeit begehet?

Quelle:
Johann Jacob Bodmer: Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie und dessen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen. Zürich 1740, S. 113-136.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Papa Hamlet

Papa Hamlet

1889 erscheint unter dem Pseudonym Bjarne F. Holmsen diese erste gemeinsame Arbeit der beiden Freunde Arno Holz und Johannes Schlaf, die 1888 gemeinsame Wohnung bezogen hatten. Der Titelerzählung sind die kürzeren Texte »Der erste Schultag«, der den Schrecken eines Schulanfängers vor seinem gewalttätigen Lehrer beschreibt, und »Ein Tod«, der die letze Nacht eines Duellanten schildert, vorangestellt. »Papa Hamlet«, die mit Abstand wirkungsmächtigste Erzählung, beschreibt das Schiksal eines tobsüchtigen Schmierenschauspielers, der sein Kind tötet während er volltrunken in Hamletzitaten seine Jämmerlichkeit beklagt. Die Erzählung gilt als bahnbrechendes Paradebeispiel naturalistischer Dichtung.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon