Vierter Auftritt.

[13] Ehrenwehrt, Carolina und Sittenreich.

Ehrenwehrt und Sittenreich umarmen sich.


EHRENWERT. Die angenehme Vorstellung, meinen geehrtesten Freund zu sehen, hat mir den Weg von Leipzig bis hier tausendfach verlängert, und die Freude, so ich empfinde, da ich meinen liebsten Bruder umarme, ist unbeschreiblich.

SITTENREICH. So angenehm es mir jederzeit gewesen ist, von des Herrn Bruders Wohlseyn schriftliche Nachricht einzuziehen; so sehr vergnüget mich, daß ich dessen anietzo so unvermuthet persönlich von ihm versichert werde. Aber darf ich fragen, was für ein artiges Frauenzimmer der Herr Bruder mitgebracht hat?

EHRENWEHRT. Es ist meine Schwester. Sie war das ganze Jahr, als der Herr Bruder bey uns studirte, bettlägerig, so, daß man auch an ihrem Aufkommen zweifelte; allein sie hat sich nach der Zeit völlig erholet, und wer weiß, wem der Himmel sie vorbehalten hat. Ihre zärtliche Liebe zu mir hat verursachet, daß sie mir auf dieser Reise Gesellschaft geleistet.

SITTENREICH. Ist es möglich, daß ich in einer ganzen Jahresfrist nichts hievon vernommen habe? Ich schätze mich inzwischen beglückt, die Schwester eines vollkommenen Bruders kennen zu lernen, und in Ansehung der gemachten Freund- und Brüderschaft mit dem Herren Ehrenwehrt, nehme ich mir die Erlaubniß, mir auch dero Gewogenheit auszubitten.[13]

CAROLINA. Die Bekanntschaft mit einer Person, wovon mir mein Bruder so viel vortheilhaftes erzählet hat, kann mir nicht anders als höchstangenehm seyn, um so vielmehr, da ich gehöret, daß sie eine artige Schwester haben.

SITTENREICH etwas verwirret. Von ihrer Artigkeit wird nicht viel zu rühmen seyn. Das Frauenzimmer in Niedersachsen, einige wenige ausgenommen, wird mehr zur Hausarbeit, als zum Umgange mit Leuten angehalten. Wir müssen den Obersachsen, was die Erziehung des Frauenzimmers anbetrifft, den Vorzug lassen. Da kommt mein Vater.


Quelle:
Hinrich Borkenstein: Der Bookesbeutel. Leipzig 1896, S. 13-14.
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