Inhalt und Vor-Bericht

Crœsus, ein so hochmüthiger, als reicher König in Lidien / dem Griechischen Philosopho Solon, dem er seine Schätze zeigete und seine Glückseligkeit rühmete / nicht glauben wollend / daß vor dem Tode kein Mensch sich glücklich nennen möge / muste nachmahls die Wahrheit selbigen Ausspruchs in der That erfahren / und mit seinem eigenen Beyspiel erweisen /daß wer am höchsten sitzet / am tieffesten fallen könne. Er hatte die von denen Assyriern, wider ihren Landes-Herrn Cirus, erregte Rebellion, nicht allein heimlich befördert / sondern auch öffentlich mit seinen Krieges-Schaaren gestärcket / und den dadurch beleidigten Persischen Monarchen so sehr erzürnet /daß derselbe / sich zu rächen / mit einem Krieges-Heer ihn überzog / die Lidier in der ersten Feld-Schlacht aufs Haupt erlegte / und den König selbst gefangen nahm / nachdem dessen vorhin stummer Sohn Atis, durch Krafft des natürlichen Triebes und kindlicher Liebe / in der / dem Herrn Vater obschwebenden höchsten Lebens-Gefahr / die Bande der Zungen zerrissen / mit denen Worten: Halt! erschlag den König nicht / eines feindlichen Soldaten mördlichen Hieb gehemmet / und ihn dadurch dem augenscheinlichen Tode entrissen hatte.

Der Siegreiche Perser war mit dieser Rache nicht vergnüget / verdammete den gefangenen König zum Feuer / und konte durch den Himmel selbst / der mit starckem Platz-Regen / als mitleidigen Thränen / die Flamen dämpfete / nicht besänfftiget werden; Wie aber zuletzt der Hülff- und Hofnung-lose Crœsus in der Bluth der von ihm vorm ahls verspotteten des Welt-Weisen Lehre eingedenck / in die Worte: O Solon, Solon! mit lautem Geschrey ausbrach und Cirus sich deren Bedeutung erklären liesse / schlug er in sich / betrachtete die Macht der Schickung / die Unbeständigkeit des irdischen Blückes / und die auch ihm dahero besorgende Gefahr; Befahl demnach / Crœsus vom Scheiter-Hauffen abzuführen / setzte ihn wieder in sein Reich / und vorige Hoheit / und verwandelte seinen Haß in eine beständige Freundschafft und nahe Verbündnisse.

Dieser / so weit aus Herodotus genommenen Geschichte / hat ein Italiänischer Poët die Erfindung beygehänget / daß ein Lidischer Fürst dem von ihm zur Regierung untauglich-geachteten stummen Printzen / um das Reich / benebenst Elmira, einer mit Atis verlobten Printzeßin aus Meden, an sich zu reissen /nach dem Lebentrachtet; Der Printz / nach erlangter Sprache / um für der daher zu befürchtenden schwerern Rachstellung desto sicherer zu seyn / sich in schlechte Bauren-Kleidung verstellet / und durch so thanes Mittel die Anschläge seiner Verfolger entdecket / und hat aus diesen theils wahrhafftigen / theils wahrscheinlichen Begebenheiten / mit Einmischung Sinnreicher Zufälle und Verwirrungen / ein auf zwo Repræsentationes eingetheiltes Sing-Spielin seiner Sprache verfertiget / woraus vor vielen Jahren ein hiesiger Liebhaber der Music undPoësie, auff Ansuchen vornehmer Freunde / bey seltenen müßigen Stunden /dieses gegenwärtige Sing-Spiel in die Deutsche Sprache gebracht / und theils nach der aus der Erfahrung verspührten Neigung hiesiger Zuschauer / mit Untermischung einiger Lustbarkeiten / noch mehr auff den Endzweck eingerichtet / daß nebst schicklichen Staats- und Sitten-Lehren / die Tugend zur Liebe und Nachfolge die Laster zur Vermeidung vorgestellet /am allermeisten aber aus dem Verlauff der an sich im Hauptwercke wahrhafftigen Geschichte die Unbeständigkeit weltlicher Ehre und Reichthums anerkandt werde; wodurch / weil es der Zeit einigen Applausum gefunden / und nur / daß es in der Aufführung etwas zu weitläufftig und langwährend wäre / bemercket worden / man es jetzo / mit einiger mehrern Einschränckung und Verkürtzung / von neuem aufflegen lassen / und wieder auf hiesige Schau-Bühne bringen wollen.

Quelle:
Reinhard Keiser: Der hochmütige, gestürzte und wieder erhabene Croesus. Hamburg [1711], unpaginiert.
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