Die 29. Histori sagt, wie Ulenspiegel zu Ertfort ein Esel lesen lert in einem alten Psalter.

[85] Ulenspiegel het groß Verlangen gen Ertford, als er die Schalckheit zu Brag het ußgericht, wann er besorgt sich, daz sie ihm nacheilten.

Als er nun gen Ertford kam, da dan auch ein mercklich grosse und berümpte Universität ist. Daselb schlug Ulenspiegel sein Brieff auch an. Und die Collegaten der Universität hetten vil gehört von seinen Listen und ratschlugen, was sie ihm fürgeben möchten, uff das es ihnen nit gieng,[86] wie den von Brag mit ihm gangen was, und mit Schanden beständen. Nun warden sie zu Rat, das sie Ulenspiegeln ein Esel in die Leer thun wolten, dan es sein vil Esel zu Erdtfurt, alt und jung. Sie besanten Ulenspiegeln und sprachen zu ihm: »Magister, Ihr hon kunstliche Brieff angeschlagen, daz Ihr ein jegliche Creatur in kurtzen Zeiten wöllen leeren schreiben und lesen. So seind die Herren von der Universität hie und wollen Euch ein jungen Esel in die Leer thun. Trüwen Ihr, ihn auch zu leeren?« Er sprach ja, aber er müst Zeit dazu hon, darumb so es ein unredlich und unvernünfftig Creatur wär. Das wurden sie mit ihm zufriden uff 20 Jar. Ulenspiegel gedacht: »Unser ist drei. Stirbet der Rector, so lig ich frei, stirb dann ich, wer wil mich manen, stirbt dann mein Discipel, so bin ich aber ledig«, und name das an. Und galt fünffhundert alter Schock, das zu thun. Des gaben sie ihm etlich Gold daruff. Also nam Ulenspiegel den Esel an und zoch zum Tornen in die Herberg, da zu der Zeit was ein seltzamer Wirt. Also bestalt er einen Stall allein für seinen Schüler und uberkam ein alten Psalter, den leget er ihm in die Kripff. Und zwischen jeglichs Blat legt er Haberen. Des ward der Esel innen und warff die Blätter mit dem Maul umbher, umb des Haberns willen. Und so er dann kein Haberen mer fand zwischen den Blätteren, so rufft er: »I-a, I-a!« Da Ulenspiegel das merckte von dem Esel, da gieng er zu dem Rector und sprach: »Herr, der Rector, wann wöllen Ihr eins sehen, was mein Schüler macht?« Der Rector sprach: »Lieber Magister, will er sich der Leeren auch annemen?« Ulenspiegel sprach: »Er ist uß der Maßen von grober Art, und ist mir seer schwer, ihn zu leeren. Jedoch so hab ich mit großem Fleiß und Arbeit darzu gethon, das er etlich Buchstaben und sunderlich etlich Vocal kant und nennen kan. Wollen Ihr so gon mitt mir,[87] so sollen Ihr das hören und sehen.« Also het der gut Schüler die Zeit gefastet bis uff drei Nachmittag. Als Ulenspiegel nun mit dem Rector und etlichen Magistri kam, da legt er seinem Schüler ein nüw Buch für. Sobald er das in der Kripffen fand, da warff er bald die Blätter hin und her, den Habern suchen. Als er nüt fand, da begunde er mit lauter Stirn zu schreien: »I-a, I-a.« Da sprach Ulenspiegel: »Sehen, lieber Herr, die zwen Vocal I und A, die kan er jetzundt. Ich hoff, er sol noch gut werden.« Also starb der Rector in kurtzen Zeiten. Darnach verließ Ulenspiegel seinen Schüler und ließ ihn gon, als ihn sein Natur ußweißet. Also zoch Ulenspiegel mit dem uffgenomnen Gelt hinweg und gedacht: »Solt du die Esel zu Erdtfurt all weiß machen, das würd vil Leibs bruchen.« Er möcht es auch nitt wol thun und ließ es also bleiben.

Quelle:
Ein kurtzweilig Lesen von Dil Ulenspiegel. Stuttgart 1978, S. 85-88.
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