Othello

[433] Komm, schwarzer Henker, komm, mache den Beschluß. Ich habe dich nicht hindenher geordnet, du kommst mir sonst zuletzt. Wanns an mir gelegen hätte, ließ ich dich nicht so hintendreintrappeln, du wärst mir zu schwarz. Nein, im Ernst, du bist nicht so schwarz wie Aron, aber doch schwarz genug um von einem schlauen Teufel verführt zu werden. O Dichter, warum mußtest du eben das grausamste Stück auf die Letze sparen, willt du deinen weichherzigen Lesern zur Letze noch übel machen, daß sie dich umutig und böse wegwerfen? Gewiß, du hast dies barbarische Stück darzu eingerichtet – und wann ichs hundertmal lese und zehnmal mir als ein Gedicht vorstellen will, so kann ich mir doch so gewisse, wehmütige Übligkeiten nicht erwehren. Du hast alles so unter einen hübschen Mantel versteckt, alles so süß und glatt ineinandern verwebt und lassest zuletzt auf einmal das Ungeheuer los. Du hast erst den Mohren viel zu gut gezeichnet und allzuviel Rühmens von ihm gemacht, daß man dies Gespenst nie hinter ihm suchen würde. Desdemona hast du zu einem Engel – daß man nie glauben würde, daß ihr solches begegnen könnte, gemacht; daß der Himmel je zugeben würde, daß solch ein neidischer Teufel, wie Jago, diese reizende Unschuld dahinbringen sollt. Du hast ein ganzes Korps gutmütige Menschen geschaffen und unter sie[433] einen feinen Teufel hingestellt, den sie alle wie einen Engel des Lichts verehren. Sollte einem da nicht schwindlicht werden, der so zusehen muß, wie sie alle diesen Teufel zu ihrem Ratgeber machen, wie gottlos unverschämt er sie hintereinandern hetzt, wie sie in der letzten Not noch ihre Zuflucht zu diesem Bösewicht nehmen, der ihnen Trost zuspricht und doch fast allen den Hals bricht. O Dichter, Dichter, du hättest den Teufel selbst nicht scheußlicher können zeichnen, in einem so ehrbaren Gewand. Das Herz schwillt eim von Anfang her empor – man möchte immer helfen und helfen und diesen schwarzen Verräter entdecken. Aber da hilft nichts – die anderen, Othello, Kassius, Desdemona, Roderigo, alle, alle müssen immer wie schwätzhafte, närrische Kinder dastehn, und dieser Feurdrache Jago allein regiert das Spiel. Und wies aufs Äußerste kommt, muß sich Desdemona da stellen wie ein Kalb beim Schlachtbank, das zittert und schlottert, aber kein Wort sagt. Muß eim das Herz nicht klopfen, wenn man diesen wütenden Mohren sieht sein schuldloses, folgsames Lämmchen zu Bette schicken und sein Vorhaben weiß und sie in ihr Schlafzimmer verfolgt, ihre ängstlichen Ahndungen, ihre Worte, Gebet und Gebärden, alles sieht und hört – möchte eim das Herz nicht zerspringen, wann man diesen wütenden Tiger sieht zur Tür hinein kommen und diesen schlafenden Engel noch küssen – das alles ginge noch hin, wann dieser Mohr in seiner Wut zuführe; aber er mußte noch so lange zaudern – man muß ihn noch hören diesem Engel den Tod ankünden und sie sehen wimmern, beben, hören bitten: nur bis[434] morgen – töde mich morgen – nur noch eine halbe Stunde, nur noch ein Gebet laß mich tun. Es ist zu spät, sagt der wütende Tiger. O das geht über alle Fassung hinaus. Welche verdammte Teufelsstreiche hat dieser unerhörte Jago gespielt. Roderigo, ein leichtgläubiger Edelmann, hat er so lange am Narrenseil herumgeführt, ihm all sein Gelt abgelockt, ihm immer versprochen Desdemona in die Arme zu führen – und zuletzt verwickelt er ihn bei Nacht und Nebel in einen Duell und verspricht ihm beizustehen. – Kassio war sein Gegner und Jago haßte ihn auch. Da geht der verruchte Bube Jago und sticht Kassio ein Bein durch, und als Roderigo verwundet zu Boden lag und jämmerlich um Hülfe schreite, ging er und erstach ihn selbst. Kassio hat er mit Desdemona teuflisch verleumdet, indem er dem Othello weis machte, sie gingen auf eine unerlaubte Art miteinander um – und dies hat er auf eine so eigene Art getan, auf eine so schlaue und verschmitzte Art, daß kein Mensch Böses argwohnen konnte, jedermann hielt ihn noch für den brävsten Mann. Aber seine Familie mochte wohl wissen, was sie für einen Mann hatte – aber hätte sie es früher geoffenbaret – doch Ehleute entdecken einandern auch nicht gern ohne Not; – aber es wäre dein eigen Glück gewest, Emilia, du mußtest deine zu späte Relation mit deinem Leben bezahlen. Und die gute Desdemona mußte ein Opfer der höllischen Wut werden, die dein ehrloser Jago ausgebrütet hatte.

Der redliche Kassio dauert mich auch in die Seele. Mußte er doch durch dieses Teufels schlaue Bosheit so in verdrießliche Händel verwickelt werden – und das[435] alles so unschuldig; mußte sich da auf dieses Erzschelmen verräterische Veranstaltungen hin betrinken und im Rausch hitzig werden, welches ihm die Kassierung zuzieht. Da mußte noch der arme Kassio seine Zuflucht zu diesem erzfalschen Freunde nehmen. O Kassio, hättest du gewußt, was es heißt, einem falschen Kerl in die Hände fallen, hättest du gewußt, daß eben dieser Freund schuld an deiner Kassierung war, hättest du gewußt, mit was für einem noch viel größern Unglück dieser Teufel schwanger ging – o dann hättest du allen diesen schröcklichen Trauerszenen vorbeugen können. Ha, wann mans allemal wüßte, aber diese falschen Teufel schleichen im Finstern wie die Kröte. Welch Unheil hat die schwarze falsche Bosheit schon angerichtet. Wie mancher Redliche schlaft und träumt ruhig in seinem Bette, indes ein verruchter Jago für ihn wachet, um sein Glück zu untergraben, ihm verfluchte Lotterfallen in den Weg zu legen. Der Redliche erwacht froh und geht ruhig seine Straßen, der falsche Teufel schleicht nebenher und leitet ihn als Freund mit einem lächelnden Gesichte, bis er in der Schlinge ist, oder er schleicht von ferne nach, um seine boshaften Augen an dem Fall seines unschuldigen Opfers zu weiden. Aber – o ihr Jagos, ihr seid elender dran als alle euere Opfer – ihr webt euer Garn, gleich tyrannischen Spinnen, und hockt irgend in einem Winkel – kommt eine unglückliche Fliege von welchem Ende der Welt hergeflogen und hängt sich an den geringsten Faden eueres Gewebs, so ist sie eine elende Gefangene von euch. Aber wenn ihr recht vollgestopft seid von dem Blute dieser armen, so gebt ihr[436] ein recht fettes Opfer für irgend ein Ungeheur der Nacht. Wißt, es ist eine Wiedergeltung – Rache wartet euer. Und wann ihr zu tausenden irgend an einem Ort zusammenkommt in der andern Welt, so braucht es weiter kein Teufel – ihr Jagos, ihr werdet euch Teufels genug sein. Gott – bewahre mich vor euerem Garn, vor euerer Gesellschaft und vor euerem Teil in Ewigkeit. Meine Seele komme nicht in eueren Rat, und euer Bild sei ein Panzer für meine Brust, daß kein falscher Gedanke hineinfliege.


Nun, mein teurer, mein hochwerter Sir William, nun hab ich alle deine Stücke durchgangen, nun will ich abrechnen mit dir, aber ich werde dir tausend Dank schuldig bleiben – wenn du auch mein gerührtes Herz und den Nutzen, den du bei mir geschafft, für dich auch noch so hoch anrechnen wirst. Ich für mein Teil bringe dir ein Opfer – so groß es sein kann, ohne Abgötterei zu begehen – ich zähle dich unter meine Heiligen und verehre dich in deinen Werken als einen Liebling des Himmels, als einen großen Hofmann des größten Königs – und wenn ich je die unverdiente Gnade über alle Gnade genieße, bei diesem heiligen Korp nur der Allergeringste zu werden, sollst du die Ehre haben, mein Werber zu heißen. Doch was sollen diese verblümten Reden, dies ungereimte Lob. Ich beneide dich nicht, daß dich der Himmel besonderer Gnade gewürdigt – du hast der Welt deine Gaben mitgeteilt, und für deine Treu wirst[437] du von einer mächtigen Hand belohnt werden, ohne den Lohn, den dir ein Wurm gibt, der auch von gleicher Gnade Leben und alles hat. Aber das sag ich noch, wenn die grobe Welt deine Arbeit verstünde – es könnte nicht anders sein, du müßtest mehr Nutzen schaffen als Millionen schwatzhafter Theologen mit allem ihrem Kram. Aber sie verstehts nicht, sie meint, du solltest all die Schandtaten und Liebespossen, die von Zeit zu Zeit in irgend einem Winkel der Erden sich ereignet haben, verborgen halten und nicht ans Tageslicht bringen. Die armen Leute! – Warum sind denn Davids und anderer israelitischen Könige Taten geschrieben worden? Ich verehre deine Gemälde – sie sollen in meinen Zimmern und überall vor meinen Augen hangen. Ich habe immer Stoff zu denken und meinen Gang zwischen allen Klippen hindurch zu richten, die ich vor Augen sehe.

Nun habe ich den Hauptinhalt aller 36 Stücke in diesem kleinen Bändchen, welches mich mehr freut, als wenn ich alle Stapferschen Werke abgeschrieben hätte.

1. Gleich im ersten Stück, welches mir eins von den schönsten ist, hab ich Bilder von Bösewichtern und von ehrlichen Menschen, einen guten Gonsalo und einen bösen Antonio. Kaliban, Trinkulo, Ariel sind wunderbare Geschöpfe, die einem mehr Denkens machen als hundert Alltagsmenschen.

2. Im zweiten hab ich wenigstens einen Squenz, Zettel, Schnauz, Schnok, Flaut, Schluker, in denen ich eine halbe Welt sehe.

3. Im dritten hab ich ein paar Freunde, Proteus und Valentin, zwei Frauenzimmer, Julie und Silvia,[438] und zwei Bediente, Skeed und Lanz, welche sechs Personen meine ganze Aufmerksamkeit nach sich ziehen und rege machen.

Doch ich bin müde. – Ich habe mir zwar vorgenommen, alle Stücke noch einmal durchzugehen und alle Personen, die mich am meisten interessiert haben, in eine Reihe hierher zu rangieren. Aber das Feur hat ein bischen nachgelassen – ich müßte alle wieder durchlesen und die Flammen wieder anblasen, ohne welche keine Feder fließt und alles Geschrieb einen abscheulich langweiligen Ton bekommt, – und zudem dachte ich doch, es wäre Wiederholung, indem ich keine von denen mir wichtigen Personen unbemerkt gelassen und ein Gedanke über jeden Charakterzug gemeldt, den wenigstens ich in der Folge wieder verstehe. An vielen Orten hab ich weniger geschrieben, als ich schreiben mochte, weil ich oft selbst gegen meine Gedanken mißträuisch war – und weiter nicht gern gegen mich Mißtrauen erregen möchte.

Und nun, ihr meine besten, lieben, günstigen Herren Kritiker meiner Kritik – aber ich leugne es schlechtweg, ich habe keine Kritik gemacht, es mag auch dreinsehen, wie es will – ich hatte pur allein die Absicht, aus allen Stücken des vortrefflichen Shakespeares etwas in ein Bändchen zu sammeln, was mir aus einem jeden das Schönste, das Angenehmste wär, damit ichs beisammen hätte, wovon in jedem Stück gehandelt wurde. Nehmt mirs nicht übel, ihr meine teuren Herren Freunde, die ich im Herzen hochschätze, ohne daß es der grobe Körper und der ungewöhnte Mund bezeugen[439] kann. Verzieht mir, wo ich das Schönste, das Beste verfehlt, ich gebe mich für keinen Kenner des Schönen dar – doch werde ich auch dürfen meinem eigenen Geschmack folgen wie ein anderer freier Weltbürger. Aber ich bin doch nicht so dumm, mein Geschmack für delikat und gut zu glauben – und wanns ich glaubte, so dächte ich doch dabei, ich hätte diese Torheit mit andern großen Weltbürgern gemein.

Ich hätte dieses Etwas meinem besten, größten Herren Freund und Wohltäter dediziert, wenn ich es wert gehalten hätte, auch nur einem lieben Bertold zuzueignen (der doch ein altes Weibermärchen nicht verachtet und die arme Schnecke im Weg würdigt mit seinem Schuh zu überschupfen), geschweige einem so großen, von lauter Güte fetten Herren. Doch weiß ich, daß sie und jede edle Seele dies unmündige Etwas – oder Nichts wie man will – nicht verachten oder ausspötteln würden – und ein gutes Lächeln verdient es und nicht mehr – und ein in hoher Sphäre fliegender Geist wird es nie zu Gesicht bekommen – ein solcher, der wie ein Bube, der in dem Gipfel eines Kirschbaumes hockt und sich mit den besten Kirschen füttert, einem armen Tropf, der unter dem Baum sitzt und hinauf gähnt und doch nicht klettern kann – spöttisch herablächelt – komm, komm herauf, armer Schelm – komm, komm – ei, wie sind das so gute Kirschen – dems aber nie in seinen Sinn kommt, ihm die Hand zu bieten und herauf zu helfen, der ihm noch einen Schupf gäbe, wenn er wollte klettern lernen – und wenn Kirschen da wären, daß sie die Vögel des Himmels nicht alle auffressen könnten.[440]

Dank euch, ihr edlen Seelen, die belohnende Hand des Höchsten wird euchs vergelten, die ihr hie und da einem armen Tropf an die Hand geht mit Rat oder Tat, die ihr nie glaubt, daß ihr nur für euch in der Welt seid, nie zweifelt, ob ein schmutziger Bauer mit Haaren überwachsen auch eine Seele habe, denen nichts zu gering, nichts zu armselig ist, eines Blicks zu würdigen. Und nun Dank, tausend Dank meinem guten, besten Herren, den ich im Innern ohne Worte verehre und hochschätze, der mir nebst andern Guttaten auch dieses schöne Werk in die Hände geliefert. Ich kann nicht schmeicheln – und wollte der Himmel, keine Schmeichler mißbrauchten Ihre Güte – Dank sei Ihnen, und kein Dank bringe Sie aus der Stellung der lautersten Absichten – Dank sei Ihnen für das Gute an jedem andern – aber nicht ich – der Himmel dank Ihnen – aus meinem Dank können Sie nichts kaufen. Gott weiß, wie sehr ich alle guten redlichen Seelen liebe, wie viel ich meine besten Freunde, ja die ganze H.Z.E. Gesellschaft ehre, wie sehr ich wünsche, und wie stark ich mich bemühe, ihrer würdig zu werden, meine Seele von allen unlauteren Flecken zu reinigen und auch eine je länger je bessere Seele in meinem Busen zu tragen. Man mag mich auch halten, wofür man will, gleichviel – einer weißts – und wo ich mich auch immer betrüge und in einem andern irre – 's macht nichts – wenn ich Frieden in meinem Busen und eine halbe Welt voll guter Seelen um mich denke – Gott, welche Wollust!

Nun noch einen Dank und dann weiter meine Empfehlung. Dank für den lieben Sir William Shakespeare[441] und nun meinen Urlaubpaß – aber noch nicht meinen Abschied. Heil und Segen müsse ein edles Paar begleiten, Friede und Ruhe bis in späte Jahre hinauf. Ein liebes Paar, das der Himmel zum Wohltun gemacht, das seiner Bestimmung mit willigem Herzen und frohem Gemüte folget, müsse im grauen Alter noch grünen und blühen, nie müsse der unfreundliche Boreas mit seinem mürrischen Surren ihre spätesten Tage belästigen, alles verdiente Lob müsse nie unedle Wirkungen machen und das falsche Schmeichlerwort von ihren Ohren zurückprellen; Bosheit und Undank müssen verschanzte Herzen antreffen und nie ihre unedlen Absichten erreichen; Verehrer und Kenner der Tugend müssen sie im Herzen segnen, redliche Wünsche als Opfer vor dem Thron des Höchsten hinlegen, und sie ihrem Lohn in der Ewigkeit mit frohem Blicken entgegen sehen. Amen!

Quelle:
Leben und Schriften Ulrich Bräkers, des Armen Mannes im Tockenburg. Bd. 1–3, Band 3, Basel 1945, S. 433-442.
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