XLV. Von Erdbeben.

[717] Von den Erdbeben schreiben die Physici, daß solche ihre gewisse natürliche Ursachen haben.1 Hildebrand in seinem Kunst- und Wunder-Buch fol. 421. schreibt: Ein Erdbeben ist nichts anders, denn eine Bewegung und Zerrüttung der Erden, welche entstehet von etlichen irdischen und wässerigen Dünsten, so innerlich in der Erde beschlossen seyn: denn die Erde hat an etlichen Orthen auch ihre Cavernas und Höhlen,[717] in welchen sich versammlen etliche mächtige und starcke Dünste, beyderley irdische und wässerige; wann nun diese beyderley Dünste, wegen ihrer widerwärtigen Natur mit einander kämpffen, suchen sie ihrer Natur nach über sich einen Ausgang, wann nun die Erde daselbst so vest ist, daß sie mit ihrer Subtiligkeit die Erde nicht durchdringen, so reissen sie mit Gewalt hindurch, und machen die Erde zitterend und bebend, dermassen, daß sie mit grossen Klüfften an etlichen Orten von einander gerissen und gespaltet wird, daß offt grosse Berge versencket und verschlungen werden: auch wird an etlichen Orthen die Erde aufgehaben, und lässet sich wieder nieder. Solche Erdbeben aber geschehen am meisten in den warmen Ländern, so am Meer gelegen, und hartes vestes Erdreich haben; dann das Meer machet solche Höhlen, darinnen sich solche Exhalationes und Vapores versammlen. Aber in den andern Ländern, welche dem Meer nicht so nahe gelegen sind, sonderlich, wo das Erdreich weich und sandig ist, da hört man selten von Erdbeben, denn die Dünste können das Erdreich durchdringen, und leicht ihren Ausgang finden. An harten und felßigten Orthen aber hat man sich dessen ebenfalls zu besorgen, wie wir noch bey Mannes Gedencken ein Exempel in Tyrol und umliegenden Landen sagen können.[718]

Wann nun solche Erdbeben enstanden, so folget gemeiniglich eine böse Land-Plage hernach, als allerhand gifftige Kranckheiten, Sterben und Pestilentz: denn diese aus dem Erdboden heraus gegangene Dünste vergifften gemeiniglich die Lufft.2

Es gehen aber gemeiniglich einige Zeichen vorher, welche unsere Vor-Aeltern angemercket haben, wann sich ein Erdbeben erheben will, als 1) wann das Wasser in Brunnen und Flüssen ohne eine wissendliche Ursache, unsauber wird, und stehet, gleich als wäre darinnen gerührt worden, und bekommet einen seltsamen und andern unnatürlichen Geschmack, oder Geruch, denn befürchtet man sich eines Erdbebens, sonderlich an den Orthen und Enden, da sonst mehr Erdbeben entstanden seyn.3 Es können 2) auch die Meer-fahrende die bevorstehende Erdbeben abmercken, wann sie sehen, wie das Wasser im Meer schnell und eilig wächset, sonderlich bey stillem Wetter, oder wann vorher kein Sturmwind gewesen. 3) Auch sehen die Schiffleut, wie das Meer kleine und geringe ledige Sachen im Schiff beweget, woraus sie wissen, daß sich die Erde erschüttern und aufbrechen will. 4) Wann an den Orthen, wo sonst Winde zu wehen pflegen, die Lufft gantz still stehet, und von keinem Wetter oder Wind in etlichen Monathen etwas vermercket oder[719] gespühret wird, so ist es ein unfehlbares Zeichen eines darauf erfolgenden Erdbebens. Wenn sich 5) der feucht und dicke Dampff zu Hauff versammlet, und wie lange oder runde Wolcken-Stützen hoch aufrecht, gleich wie die Tannen, ausstrecket, schmale und hohe Pyramides vorstellet, wo solches geschiehet, ist gemeiniglich Erdbeben fürhanden. 6) Auch pflegen wohl die Vögel und vierfüßige Thiere die Oerter, wo Erdbeben entstehen werden, zu verlassen, und sich anderswo hin zu begeben. 7) Man höret auch gemeiniglich allerhand Schall und Klang, fast als wann das Vieh brüllete und schrye, oder Menschen heuleten, oder allerhand Getümmel von Wehr und Waffen sich ereigneten. Auch 8) wann sich die Vögel furchtsam auf die Erde setzen, denn sie vernehmen aus dem aufsteigenden Dampff und Dunst, daß Gefahr wegen eines Erdbebens fürhanden sey.

Ob nun wohl gedachter massen die Erdbeben eine natürliche Sache sind, so sind sie doch auch eine grosse Straffe GOttes, welche nicht ohne grossen und mercklichen Schaden abgehen, wenn solche zu geschehen pflegen.4 Von Mausol wird berichtet, daß Anno 1666. am 22. Sept. daselbst und in den umliegenden Plätzen ein sehr erschröcklich Erdbeben gewesen, dergleichen bey Menschen Gedencken nicht erhört worden; es hat etliche Tage gewähret,[720] und ist Ninive in grosser Gefahr des gantzen Ruines gewesen, gestalten 45. Dörffer gantz und gar verderbet, und 5. Städte in die Erde gesuncken. Vier grosse Berge hatten ihre gewöhnliche Stelle verlassen, und sich eine gute Zeit schütterende gegen einander gestossen, mit einer solchen Gewalt, bis sie (so zu reden) zu Staub worden, weßhalber sich die Menschen des jüngsten Tages besorget.5 Das Jahr darauf, Anno 1676. den 6. April / frühe zwischen 10. und 11. Uhr / erhube sich ein groß Erdbeben in Dalmatien, welches fast in einem Augenblick die Stadt Ragusa, in Illyrico gelegen, fast gantz übern Hauffen geworffen, den Fürsten auf dem Schloß und alle Diener erschlagen /denn alle Einwohner waren in ihren Geschäfften, kocheten, brateten, und was sie sonst verrichteten. Aber zu diesem kam ein grosser Wind, und bließ alle solche Feuer untereinander auf, daß also, was nicht von Steinen und Gebäuden zerquetscht worden, für Dampff ersticken muste, und solche Brunst hielt etliche Tage nacheinander an, da dann in 5500. Menschen jämmerlich zerquetscht, zermalmet und erschlagen worden. Uberdiß waren auch zugleich alle Brunnen ausgetrocknet, daß die wenige noch überbliebene und halb Todte nicht Wasser zu trincken bekommen können, sondern, ihren Durst zu löschen,[721] ihr eigen Wasser trincken müssen. Ein grosser Berg hat sich gleich mit ins Meer gestürtzt, auch ist an andern umliegenden Orten grosser Schade geschehen. Aber im Novembr. des folgenden Jahres hat sich zu Ragusa noch ein Erdbeben erhoben, wobey ein groß Ungewitter entstanden, so abermahl in selbiger Stadt und nahe herum gelegenen Orten grossen Schaden verursachet.


Eben in demselben 1668sten Jahr im Herbst ist in Asien ein solch Erdbeben entstanden, so 80. Tage lang gewähret, daß fast alle Menschen in Asien meist ihre Wohnung verlassen und davon lauffen müssen, und viel tausend Menschen verschüttet worden.6 Ein Schreiben aus Angori berichtet auch sehr kläglich von einem grossen und langwührigen Erdbeben, so in selbigem Jahr sich am 15. Septembr. erhoben, welches also lautet: Am 3. Julii starb allhier ein Schotte, und eben da wir bemühet waren, selbigen zu begraben, und gleich, als man den Cörper bey stillem Wetter in die Erde setzete, entstunde ein erschröckliches Erd beben / welches nach etlichen Tagen, des Tages wohl 3. oder. 4. mahl sich aufthät, und öffters zur Nacht mit einem abscheulichen Gepolter unter der Erde, und solches continuirte bis auf den 20. dito. Da sagete das einfältige Volck: [722] Man müsse / damit die Plage nachlasse / den Cörper des Schotten / welchen die Erde nicht vertragen könte / wieder ausgraben und verbrennen; welcher Meynung doch andere widersprochen, daß die Leiche liegen blieben. Dieses Erschüttern hat sich dergestalt vermehret, daß den 15. Augusti / an einem Sonntage / durch ein starckes Donnerwetter und Rasen unter der Erde, und durch Wirbel-Winde in der Lufft, die Stadt Angori dermassen hart geschüttert worden, daß nicht allein die Feuer-Mauren, Häuser, Ställe, Stadt-Mauren, sondern auch das auf einem Hügel liegende Castell an vielen Orten in Hauffen gefallen; es hatte aber dennoch nur 2. Menschen das Leben gekostet, weil sich alles Volck nach einem offenen Platz salvirt und unter Hütten und Gezelt verborgen hatte. Am 18. dito darauf in der Nacht (wiewohl das Schüttern noch alle Tage gewähret hatte) gab es einen sehr erschrecklichen Stoß, und des andern Tages zur Vesper-Zeit noch einen; drey Tage aber hernach, um den Mittag, noch 3. hefftige Stösse, (differirend etwa 3. oder 4. Minuten) also, daß die Felsen rissen, und Steine von 7- bis 800. ja zu 1000. Pfunden / herab fielen; unten aber öffnete sich die Erde, woraus etliche blaue[723] schweffelechte Feuer-Flammen mit grossem Gestanck aufstiegen. Das Klagen, Seufftzen und Heulen der Weiber und Kinder und die Alteration der Männer, war nicht zu beschreiben, alles reterirte sich auf hohe Berge und Klippen, und in die Gärten und Weinberge, so daß die Stadt ledig bliebe, schlechterdings besetzt mit Türckischen Officirern, als dem Sardaer des Castels, welcher, samt den andern, bey Verlust seines Kopffs den Ort nicht verlassen dörffen, in Betrachtung der Muscof daselbst vornehmlich beruhet.

Zu Bolle, ist die Haupt-Stadt des Königreichs Pontus, allda Mithridates seinen Königlichen Sitz gehabt, hat man unter den Ruinen 18000. Todte / und unter denen 60. bis 70. Kauffleute / so Armenier, als Anatolier, gefunden. Zu Castomine am schwartzen Meer sind unterschiedene Häuser in Hauffen gefallen, dadurch etliche Menschen todt blieben, die meisten aber beschädiget worden. Ein Dorff ober Flecken zwischen Baysacer und Amias ist gantz verfallen, und andere Orte mehr; man saget von 6000. die ums Leben kommen.

Was ist aber wohl grausamer, als lebendig von der Erden verschlungen werden?7 Solches gibt uns Gelegenheit, dem geneigten Leser das brennende Zorn-Gewitter des feurigen Æthnæ allhier vorzustellen,[724] weil von allen niemahl kein grausamers gesehen worden. Der Anfang einer Erschütterung ereignete sich am 9. Jan. 1693. auf einem Freytag / gegen halber 10. Uhr (nach unserer Uhr) zu Nachts; das andere des folgenden Sonntages, Nachmittags gegen 3. Uhr, wiewohl sich zwischen diesen beyden unglückseligen Tagen noch viele Erschütterungen gleichsam spühren liessen. In dem Thal di Mazzara merckte man es erstlich gelinde; in den Thälern di Domina und di Noto aber um desto hefftiger, daß viele Häuser herunter stürtzeten, und die schüchterne Einwohner auf das Feld gejaget wurden. Am 11. darauf folgete ein Erdbeben mit unbeschreiblicher Hefftigkeit in der Stadt Palermo, woselbst das Schloß des Vice-Königs und das Spital S. Bartholomæi grossen Schaden gelitten, den alten Glocken-Thurn zu S. Nicolo di Tolentino bey den Augustinern warff es gewaltsam herunter, und beschädigte die zugehörige Capelle sehr; die Kirche zu Como verlohr nur ein Stück von ihrem Gebäude; die Kirche della nunciada aber, mit ihrem Oratorio, nebst der Kirche S. Blasii, S. Jacobi, und ein grosses Theil der Kirche S. Antonii Abbatis, wurden völlig ruinirt. S. Leo Papa fiel gäntzlich ein, und von der prächtigen Dominicaner-Kirche bliebe nichts, als ein erbärmlicher Stein-Hauffen, welch Unglück auch das herrliche[725] Closter der PP. Reformatorum Observantium, welches eines der schönsten in dieser Provinz, nebst andern köstlichen Gebäuden mehr traf. Die Stadt Aci Aquileja, sonst Jaci Reale, so am Ufer des Meeres lieget, wo es an den Æthna spühlet, begrub fast alle ihre Einwohner unter die Stein-Hauffen, welches Unglück auch die Städte Jaci S. Antonio, Jaci S. Philippo, S. Gregorio, Pedara, Frecastagni, la Via grande, Motta, Bonacorsi, Mesterbianco, Nicolosi, Fenicia, nebst andern Flecken und Dörffern, so am Fuß des Æthnæ, oder sonst diesem Berg naheliegen, erfuhren. Gleichmäßigen Untergang beklaget die Volck-reiche Stadt Paterno, 12. Meilen von Catanea, am Æthna gelegen, woselbst meist alle Clöster niederfielen; welches auch die Stadt Aderno, so dem Hertzog von Mont'Alto, nebst der vorigen, gehörete, zu beseufftzen Ursach hatte, Catalbianco, Piemonte im Thal di Demona Francosonte und Palagonia im Thal di Nota, wurden fast gantz zu Boden geworffen, und in lauter Gräber ihrer so unglückselig-erschlagenen Einwohner verwandelt. In diesem erschröcklichen Trauerspiel muste die vornehmste und älteste Stadt des gantzen Königreichs, Catanea, welche vor diesem eine Residentz vieler Monarchen gewesen, eine klägliche Vorstellung machen, die sich folgender Gestalt [726] præsentirte: Ein Pater / Nahmens Antonio Serronta, der die Fasten-Zeit über allda predigen solte, reisete dahin, und als er sich der Stadt des Sonntags am 11. Jan. um 10. Uhr bis auf wenig Meilen genähert hatte, sahe er über der Stadt eine schwartze dicke Wolcke, welche den gantzen Horizont über derselben, nach ihrer Ausbreitung verfinsterte. Aus dem Schlunde des Æthnæ sahe er viel feurige Flammen heraus fahren, die sich mit ihrem Dampff um die gantze Gegend Catanea ausbreiteten, und das Meer fing an schnell zu brausen, die Wellen über die Gewohnheit sich in die Höhe zu thürmen, und darbey hörete man so erschröckliches Donnern und ungeheures Knallen, als wann alle Stück und Mörser des gantzen Erdbodens auf einmahl loßgefeuret würden. Es schien, daß sich die gantze Natur verändern wolte. Die Vögel schwärmeten gantz schüchtern zwischen Himmel und Erden herum, die Thiere auf dem Felde brülleten und heuleten gantz erbärmlich, die Pferde, worauf er mit seinen Reiß-Gefehrten saß, wurden für Entsetzen stutzig, sie zitterten an allen Gliedern, daß die erschrockene Reuter gezwungen wurden, eiligst sich zu demontiren, und auf der Fläche des Erdbodens in unerhörter Todes-Angst ihr Ende zu erwarten. Sie waren also kaum abgestiegen,[727] so empfunden sie schon gantz eigentlich, daß ihre Leiber zu mehrmahlen über zwey Hand hoch von dem wanckenden Boden empor gehoben würden, und als der Pater seine Augen auf Catanea wendete, benahm ihm die von schwartzem Grauß und Staube dick angefüllete Lufft das Gesicht völlig, so daß ihn nicht anders dünckte, als ob die gantze Stadt durch eine Mine wäre in die Lufft gesprenget worden. Gestalt dann auch einige, damahls auf der Höhe des Meers seeglende Fischer eine feurige Flamme um der Stadt-Mauer angemerckt. In der Stadt Catanea ging eine Manns-Person vor dem Erdbeben auf den Marckt, und fühlete, wie er nach dem Thurn gehen wolte, daß er mit den Füssen ein wenig von der Erden in die Lufft gehoben worden, worauf er sogleich nieder fiel, und eine ziemliche Wunde in die Stirn schluge; sobald er sich wieder aufgerichtet und erhohlt hatte, vermeynte er, er seye in eine andere Welt geführet, weil er von den Häusern und Pallästen wenig mehr sahe, und die meisten in den Abgrund gesuncken, ohne der Capelle von S. Agatha la Rotonda, dem Castell von S. Ursino und dessen Mauer, mit einigen sehr geringen Wohnungen, unter dem Schutt des eingefallenen Bischöfflichen Pallasts, der Thum-Kirche und des Thurns, wohin sich die durch das vorige freytägige Erdbeben erschrockene Einwohner begeben hatten, die[728] Reliquien der Heil. Agatha in Procession zu begleiten, wurde eine unbeschreibliche Menge Volcks / die man allein bis auf 15000 gerechnet, begraben. Hierbey war remarquabel, daß die grosse Kirche eben in dem Moment, als man die Todten-Küste mit der Reliquie der Heil. Agatha öffnete, einstürtzete, und die gantze Versammlung bedeckte, ausser daß viele von dem Adel mit einigen Canonicis ihr Leben in der Capelle dieser Matron erhielten: Hingegen wurden indessen die Carmeliter, welche in der Procession von der Pforte d'Aci in die Gasse delle Piscine giengen, alle bis auf einen überschüttet, und so ergieng es meinst allen Ordens-Leuten, sammt den Closter-Jungfern, und alle auf den lustigen Hügeln um die Stadt gelegene Land-Häuser wurden in Staub verkehret, und stelleten ein trauriges Ebenbild der schnellen Veränderung irdischer Güter vor. Ein schröckliches Blitzen / knallende Donnerschläge / und ein gewaltiger Platz-Regen einer kleinen Sünd-Fluth gleich, vergesellschafftete diesen entsetzlichen Anblick, und verursachete den noch übergebliebenen Einwohnern eine neue Erstaunung, als die hochgeschwollene Wogen des wüthenden Meers sich in die Stadt ergossen, und nicht allein bis auf den Marckt-Platz S. Philippi andrangen, sondern auch den[729] geringen Uberrest der Vor-Wercke völlig überschwemmeten. In dem ersten Erdbeben am 9. Jan. fiel zu Leontini, einer von den ältesten Städten Siciliens, das Minoritten-Kloster ein, und schlug darin 4. Ordens-Leut todt, und die übrige blieben durch sonderbare Schickung bey Leben, welche Freude jedoch ihnen nicht lang gegönnet wurde, denn die letzte Erschütterung schlug vollends die gantze Stadt zu trümmern, daß auch kein eintziges Hauß gerade stehen bliebe, und dadurch büsseten über 4000. Einwohner / welche von den ersten Erdbeben wieder dahin gekommen waren, der Meynung, ihr noch übriges Vermögen in Sicherheit zu bringen, ihr unglückliches Leben ein. Ein Bruder des Franciscaner-Ordens / welcher in der Kirch Maria degli Angeli die Glocke läutete, ward mit dem Glocken-Thurn im Läuten zu Boden gestürtzt, und blieb auf eine wunderbare Art beym Leben, ohne Schaden, da doch der Thurn in einen Stein-Haussen verwandelt wurde. Ingleichem wurde ein Carmeliter / welcher im Dormitorio kranck lag, durch die Bewegung der Erde, so das gantze Kloster verwüstet, tieff herab gestürtzt, und fande man ihn dennoch unversehrt unter freyem Himmel im Bett liegen. In gleichen trübseligen Jammer gerieth die neuerbauete Stadt Leontini, allwo das[730] schöne Schloß di Licodia niederstürtzte, und die darinnen befindliche Marquisin de Martini mit ihren Kindern erschlug. Die Volck-reiche Stadt Bizzini, so an dem Freytage des ersten Erdbebens noch vom Untergange etwas befreyet bliebe, ward an folgendem offterwehntem tödtlichem Sonntag völlig verheeret; und die Stadt Sortino und Cassaro folgeten ihrer Schwester in so einem erbärmlichen Ruin, welcher die erst-erwehnte allein von 3000. Einwohnern entblöste: von den Bergen bey dieser Stadt, wurden grosse Felsen abgerissen, welche sich wie ein plötzlicher Donnerschlag über die Häuser stürtzeten; und unter andern risse sich eine in Felsen gehauene Cisterne loß, flohe herunter bis an den vorbey-rauschenden Fluß, und behielte ihr Wasser in sich, ungeachtet einer so grausamen Bewegung; Agosta, eine auf einer Insul erbauete Handels-Stadt / gieng auf einmahl in die Lufft, welches hauptsächlich eine grosse Last Pulvers, so im Castell bey der Erschütterung sich entzündete, mit verursachte, dadurch die ohnedem meist versehrte Gebäude den letzten Stoß bekamen, sogar, daß die Stücker davon bis aufs Feld hinaus sprungen, die entronnene Bürger mit einem Hagelschlag loßgerissener Werck-Stücker verfolgeten, und solche elendiglich ermordeten. Dieser tobende Donner[731] des entzündeten Pulvers, welcher 1300. (etliche vergrössern die Zahl auf 3000.) niedergeschlagen, erstreckte sich so weit, daß er auch das Volck auf der Maltheser Galeeren nicht unbeschädiget ließ: ja was noch mehr zu bewundern, so ward ein Reisender, welcher noch über 3. welsche Meilen von Agolla entfernet, durch einen von diesen Steinen getroffen und tödtlich verwundet. Die Häuser der Strada grande fielen aufeinander, wie ein zusammen geschlagenes Vogel-Netz, und erdrückten sehr viele. Dieses der Höllen Anerstaunung gleiche Spectacul muste noch weit grausamer werden, denn das Winseln und Weheklagen so viel jämmerlich-Erschlagenen, die offt wiederholte Mord-Schläge der niedergestürtzten Palläste, das unerhörte Heulen der unter-irdischen Winde, die sinckenden Gründe des wanckenden Erdbodens, der von Dampf, Nebel, Staub und Regen dick-geschwärtzte Horizont musten alles noch nicht genug seyn, den Tod so vielen tausenden zu dräuen.


Es war noch ein erzürntes Element übrig, dessen Grimm sich mit den dreyen vereinigen muste: denn die ungestümme Wellen des stürmenden Meers /lieffen bis an die Mauren des Dominicaner-Klosters, welche denen Schiffenden auf den Galeeren mit einem unvermeidlichen Schiffbruch droheten, wiewohl sie sich[732] noch kümmerlich salvirten. In der alten Stadt Syracusa hörete man am 9. Jenner zu Abends unter der Erden ein starck Rasseln, über 50. mahl, und ein jeder empfunde einen starcken Schweffel-Geruch, auch warff die eine halbe Meile davon entlegene Insul de Cani nach zween Tagen feurige Flammen aus, welches alles traurige Cometen eines folgenden Unglücks waren, indem die Stadt mit vielen 100. Einwohnern bis auf den 3ten Theil zerschmettert wurde. Die Erde risse sich auf dem Piazza d'arme von einander, und that sich wieder zusammen. Aus dreyen Grüfften ergosse sich ein seltsames Meer-Wasser, und öffneten sich an andern Orten mehr Quellen, aus welchen das Wasser bis 4. Ellen hoch in die Höhe fuhr, und viel Sand mit auswarff: währender Erschütterung floß das Wasser 3. mahl nach einander ab und zu, daß der Grund des Meers 50. Schritt vom Ufer trocken gesehen wurde; worbey es sich auch zutruge, daß ein Soldat / so von dem Kirch-Thurn herunter stürtzte / unverletzt auf Erden stehen blieb; Noch mehr aber war zu bewundern, daß 3. aus dem Flecken Sciortino auf einem Stein sitzende Personen, von demselben bis auf anderthalb Meil sitzende oder fliegende, herab gestürtzet, und auf die St.[733] Peters-Brück gesetzt wurden: Als sie nun von solchem unerhörten Lufft-Sprung von der Brücke kaum weggegangen, fiel dieselbe ein; welche Begebenheit einer sonderbaren Anmerckung wohl würdig ist; Palazzuolo la Ferla und Buscemi wurden zu Aschen-Hauffen, worunter die Fürstin di Pantellaria, welcher die Herrschafft über das Bascemische Gebiet zustunde, nebst vielem Volck ihre klägliche Grab-Stätt finden muste. Der Volckreiche nahe am Meer gelegene Flecken Spacafurno, welcher alle Gebäude, und sein herunter-stürtzendes Castell bedeckte; viele in der Tieffe stehende Wohnungen, und die Anzahl der so unglückselig-Erschlagenen belieff sich bey nahe bis auf 2000. darunter sich der Marchese Statelli mit befand. Der Marggraf Settino / Beherrscher der Stadt Gieratana, reterirte sich von diesem seinem Eigenthums-Ort, wegen des tobenden Erdbebens in ein klein Häußlein, und wie er des folgenden Sonntags entflüchtete, sunck er mit seiner Gemahlin und 3. Kindern unter einen grossen Stein-Hauffen, woselbst er eine Zeitlang ohne Hülff liegen muste, solang, bis er an einem Zipffel von seinem Kleide, den man zwischen einer Spalten erblickte, und erkennete, hervor gezogen wurde, wiewohl ihm der unglückselige Tod seiner liebsten Gemahlin den übrigen Rest seines[734] Lebens so kümmerlich machete. Melitella, im Thal di Noto, und der Flecken Occhiula empfunden auch des Elends Antheil, und der gröste Theil der Burger wurde von Mineo mit allen Beambten bis auf einen entseelt, nachdem die gantze Stadt zu Grunde gangen. Gleichmäßiges Verhängnis muste die wegen ihres ansehnlichen Raths und Adels berühmte Stadt Caltagirone beseufftzen. Die meisten prächtigen Gebäude, worunter die Haupt-Kirche mit ihrem hohen Thurn, der wohlgebauete Collegial-Tempel zu S. Giuliano, S. Georg, S. Jacob, und das schöne Kloster an der grossen Kirch der andächtigen Conventualen, nebst der Kirch und Kloster S. Bonaventuræ, wurden in Grund gerissen; und das treffliche Jesuiter-Collegium, nachdem es vorhero das obere Gesims, und gantzes Fronton mit dem Capital eingebüsset, muste seinen Thurn verliehren, zu geschweigen, was die Carmeliter / Augustiner / Creutz-Herrn / Dominicaner und Pauliner für Unglück verschmertzen musten. Die 4. Nonnen-Klöster zu S. Georgen, S. Clara, S. Salvatoris und S. Stephani mit dem Waysen-Hauß schlugen darnieder, daß die Nonnen zu ihren Anverwandten aufs Land flüchten musten. Endlichen stürtzte auch das mit schönen [735] Statuen geschmückte Rathhauß ein, und hatte das Ansehen, als wann die andern Gebäude ihrem Ober-Haupt hierinn getreulich folgen müsten, weil wenig davon überblieben, die sich nicht zu gleichen Falle neigeten. Die Haupt-Stadt der Grafschafft des Admirals von Castilien, Modica, ein wohl-bewohnter Ort, muste ebenfalls eine Gefährdin ihrer unglückseligen Schwestern werden, und wurde in solchem Jammer von Ragusa, Scichli, Chiaramonte und dem Flecken Comisi begleitet. Da dann zu Ragusa 5. Priester und 2. Clerici unter dem Schutt ihrer eingefallenen Kirchen, auf folgende wunderbare Weise erhalten worden: Einer unter ihnen hatte seinen Weyh-Wedel in der Hand behalten / und weil der Stiehl von Eisen war, so liehe dieser getreue Unglücks-Bruder denselben den andern, womit sie ihre von grossem Durst erhitzte und lechzende Zungen abkühleten, und sich damit 7. gantzer Tage labeten: zuletzt wurde der Pfarrherr Serofano Rathes, daß er 3. Rohr-Stäbe an einander stellete, selbige mit aller Gewalt durch den Schutt in die Höhe stiesse, und weil sich davon eine Bewegung spühren liesse, so urtheilete das eben herum gehende Volck nicht unrecht daraus: daß lebendige Menschen darunter vergraben, und zogen sie heraus, ingleichem wurde ein[736] in den Armen seiner todten Mutter liegendes Kind / lebendig gefunden.

Es konten auch die unvernünfftige Thier diese ausserordentliche Bewegung nicht ohne Erstaunen empfinden; etliche auf dem Feld weydende Schaafe, wurden vor dem letzten Erdbeben gantz unbändig, lieffen als betäubet und Schwindelsüchtig durch einander, und hielten sich mit den Forder-Füssen beym Anfang der Erschütterung so vest an den Erdboden, als wann sie bezaubert wären. Die Pferde / Maul-Thier / Kinder und Kälber lieffen gantz verwirret mit stetigem Schreyen und Blöcken hin und her, und untereinander. Die Vögel lagen auf der Erden mit ausgebreiteten Flügeln, als erschrocken und unempfindlich, der Hühner ihr Gekrähe war gräßlich, und die Katzen lieffen für Furcht und Schröcken aus den Häusern auf die Felder. Noch vielmehr wäre von solchem Untergang zu melden; es ist aber der Jammer dieser Sicilianischen Land-Straffe mit keiner Feder beweglich genug auszudrucken: Denn diese Verwüstung 2. Bischoffthümer / 700. Kirchen / 250. Klöster / 49. Städte und Flecken und 73554. so jämmerlich in wenig Tagen umkommen, ist Erbarmens-würdig genug, und müste wohl ein stockisches und unempfindliches Gemuth seyn, welchem dies nicht zu Hertzen gehen solte.

Marginalien

1 Haben ihre gewisse natürliche Ursachen.


2 Was auf die Erdheben erfolget.


3 Vorhergehende Zeichen der Erdbeben.


4 Exempel etlicher Erdbeben.


5 Erdbeben in Dalmatien.


6 Erdbeben in Asien und anderer Orten.


7 Grausames Erdbeben in Sicilien.


Quelle:
Bräuner, Johann Jacob: Physicalisch= und Historisch= Erörterte Curiositaeten. Frankfurth am Mayn 1737, S. 717-737.
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