Erster Auftritt.

[36] Choiseul und Dubarry sitzen in tiefem Gespräch auf ihren Sesseln.


DUBARRY. Ihr früherer Gatte, der Generalpächter d'Etiolles, kann es nicht gewesen sein, er ist tot, und hieß François, nicht Narziß, soviel man ermitteln konnte.

CHOISEUL. Ich bin erstaunt über diese Mitteilung! Das klingt ja völlig romanhaft, Herr Kammerherr![36]

DUBARRY. Und Sie wüßten von diesem Ausruf der Marquise wirklich nichts?

CHOISEUL. Ich muß bedauern. Man brachte sie in voller Geistesstumpfheit hierher, und sie verließ das Hotel, ohne eine Silbe zu sprechen.


Kurze Pause.


DUBARRY. Die erlauchte Marquise ist nach diesem Vorfall sehr übel.

CHOISEUL. So sagt man – aber bei ihrer eisernen Natur kann sie noch lange leben – lange genug für alle, denen sie hinderlich ist.

DUBARRY. Ich kenne niemand am Hofe, dem sie das wäre.

CHOISEUL. Das ist mir lieb zu hören.


Kurze Pause.


DUBARRY. Gleichwohl ist die Gesundheit der Marquise so geschwächt, daß es nicht ungerechtfertigt ist, wenn die Vaterlandsfreunde sich fragen, welchen Stand die Dinge nach ihrem Tode haben werden.

CHOISEUL. Gewiß, und da Sie die Frage wohl erwogen haben werden, so bitte ich um Ihre Meinung, Herr Kammerherr. Welche Kombinationen haben Sie?

DUBARRY. Herr Premier, halten Sie's für möglich – daß unter – diesem Regime die Zügel der Herrschaft wieder ein – jemand anderer, als eine Frau in die Hände nehmen könne?

CHOISEUL. Das brauche ich dem Kammerherrn nicht zu beantworten – auch würde ich mich hüten, es zu tun!

DUBARRY. Wenn Madame de Pompadour stirbt, wird der König eine Lücke in seinem Leben empfinden, und der, der sie ausfüllt, wird Frankreich beherrschen.

CHOISEUL. Und dieser Der wird möglicherweise eine Die sein.

DUBARRY. Hahahaha! Getroffen! Es wird ein Weib sein, das ihn fesselt und zugleich weise genug ist, dem Herzog von Choiseul die Sorge für Frankreichs Wohl zu überlassen.[37]

CHOISEUL. Sehr gütig, Graf. Das läßt sich hören. Da wäre zum Beispiel die Königin.

DUBARRY aufspringend. Teufel, Sie spaßen! – Und darum hätten wir gearbeitet? – Das hieße Ihren eigenen Fall mit Bewußtsein vorbereiten!

CHOISEUL. Wenn er Frankreich nützt – was liegt daran? – Nun den anderen Fall genommen. Also eine neue Liebe?

DUBARRY. O sicher, ganz sicher! – Herzog, bin ich Ihrer Hilfe gewiß, wenn ich gewählt habe?

CHOISEUL. Nun, wenn die Wahl vorteilhaft ist! – Aber die Frau von Pompadour lebt noch – eine Dame, der ich vielen Dank schuldig bin und die ich verehre.

DUBARRY steht auf. Ach ja! – Nun, ich will Ihre kostbare Zeit nicht länger –

CHOISEUL drängt ihn in den Sessel zurück. Hahaha! kommen Sie, Graf! – Wir durchschauen uns gegenseitig, aber da wir Gegner sind in der Gunst des Königs, so wollen wir voreinander sicher sein, wie? – Also ohne Umschweife. Sie haben noch etwas auf dem Herzen, sonst würden Sie wohl nicht zu Choiseul gekommen sein!

DUBARRY. Es ist wahr! Das ganze Gespräch ist unnütz, denn Madame lebt noch.

CHOISEUL gespannt. Also wünschten Sie vorerst doch, die Marquise wäre – tot?

DUBARRY. Ich nicht, ich wahrhaftig nicht – aber andere Leute.

CHOISEUL lauernd. Ja, das Parlament, die Nation, die Partei der Königin –

DUBARRY. Und leise. der König selbst!

CHOISEUL aufspringend. Was? Und das hat er laut ausgesprochen?

DUBARRY. O wo denken Sie hin! – Aber als gestern früh die Frau Marquise in Versailles ankam und man dem Könige in der ersten Bestürzung sagte, sie liege im Sterben, war er sichtlich erfreut – als der Leibarzt jedoch[38] erklärte, sie könne noch lange leiden, verließ er mit einem Seufzer ihr Boudoir.

CHOISEUL. Nur eine Bestätigung dessen, was ich längst bemerkt. Er ist ihrer überdrüssig, besonders jetzt, wo sie ihn zu der Mesalliance drängt.

DUBARRY leise. Sr. Majestät geschähe sicher ein großer Dienst, wenn ein – Ohngefähr den Leiden der armen Dame ein Ende machte.

CHOISEUL entsetzt. Dubarry, das ist ein teuflischer Gedanke!!

DUBARRY erschrocken. Was denn? – Was habe ich denn gesagt? – Um Himmels willen, Sie verstehen mich doch nicht falsch, Herr Herzog?

CHOISEUL. O, ich verstehe Sie sehr gut, zu gut fast, Dubarry! – Die Idee ist von Ihnen, die Ausführung haben Sie mir zugedacht. Meiner Freundschaft trauen Sie klugerweise nicht, der Mitschuldige ist sicherer. Lachend. O, nur nicht beleidigt, lieber Graf, die Prüderie steht Ihnen nicht. Teilen Sie mir Ihren Plan mit, denn den haben Sie doch wohl in der Tasche.

DUBARRY. Wenn man einem Nervenschlage, einem jähen Schreck die Tür öffnen könnte? – Die Marquise sank auf dem Boulevard du Temple mit dem Schrei »Narziß« zusammen. Was würde es wohl für Folgen haben, wenn man diesen Unbekannten plötzlich vor sie brächte?

CHOISEUL. Ha, der Plan ist gut! – Selbst wenn sie dieser Begegnung physisch nicht unterliegt, fallen muß sie durch sie! – Wo aber soll man den Menschen finden?

DUBARRY. Das ist es eben – in dem großen Paris!

CHOISEUL nimmt Dubarry bei der Hand, ernst. Kammerherr, Ihr Vorteil heißt Sie schweigen. Morgen ist Audienz in Versailles; bis dahin werde ich mit mir im reinen sein, bis dahin werde ich den Menschen ermittelt haben, Lächelnd. und merken Sie sich noch, daß Sie mich sehr leidend getroffen haben.

DUBARRY. Also morgen nach der Audienz, lieber Herzog!


Er geht durch die Mitte ab.


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 36-39.
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