Erster Auftritt.

[53] Marquise Epinay und Choiseul im eifrigsten Gespräch.


CHOISEUL. Ist's denkbar?

EPINAY. Er bejahte und beschrieb genau die königliche Equipage.

CHOISEUL. Das glaube ich nicht.

EPINAY. Und doch mußte Rameau der Narziß gewesen sein, den die Frau Marquise de Pompadour sah, denn kaum war das Wort aus seinem Munde, als die Quinault davoneilte und diesen Menschen mit sich nahm. – Man hat ihn seitdem nicht wieder gesehen.

CHOISEUL nach kurzer Pause sehr ernst. Marquise, Sie wissen, was unserer wartet, wenn Frau von Pompadour stirbt; schweigen Sie daher über alles, was bei Holbach geschah.

EPINAY eifrig. Sie müssen diesen Menschen sogleich polizeilich aufheben lassen, die Quinault hält ihn sicher verborgen!

CHOISEUL. In diesem Falle ist jedes gewaltsame Mittel unpolitisch. Spitz. Was die Königin einmal weiß, kann man ihr nicht mehr entreißen. – Sie zittern ja so, meine Gnädige? Er führt sie in den Sessel. Setzen Sie sich doch! – Scharf. Sie werden also schweigen, nicht wahr?

EPINAY neigt bejahend das Haupt.

CHOISEUL. Ferner werden Sie Ihren ganzen Einfluß aufbieten, um die Vermählung der Marquise mit dem König zu beschleunigen. – Wenn Choiseul auch krank ist, so hört er doch jede Stecknadel in Frankreich fallen. – – Lächelnd. Trösten Sie sich aber, der echte Narziß ist schon mein, die Quinault hat sich, wie Sie, in der Person gröblich getäuscht.

EPINAY aufstehend, bleich, stotternd. Herr Herzog!

CHOISEUL einfallend. Vergessen Sie keines meiner Worte, Gnädige, und melden Sie meine Anwesenheit der hohen Frau vor allen Dingen.

EPINAY geht wankend links ab.


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 53-54.
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