Zweiter Auftritt.

[84] Choiseul. Quinault.


QUINAULT. Sie haben befohlen, Exzellenz! Pause.

CHOISEUL. Der Augenblick ist da, mein Fräulein. Zeigen Sie nun, was Sie für Ihre Königin zu tun vermögen. Fassen Sie Mut, und wir werden siegen.

QUINAULT. Exzellenz, den habe ich, obwohl mir das Herz schlägt.

CHOISEUL. Das Unternehmen ist groß und schwer. Wir haben zwar eine kranke Löwin zum Ziele unserer Jagd, aber es ist immer eine Löwin. Bieten Sie Ihre ganze Kunst auf, um den Verdacht zu meiden, daß Sie wüßten, warum Sie spielen. Sie sind übrigens von Freunden umgeben, also seien Sie kaltblütig. Eine Ungeschicklichkeit und Maria von Frankreich ist verloren.

QUINAULT. Das fühle ich, Herr Herzog!

CHOISEUL. Bedenken Sie ferner, daß wir, wenn die Marquise erst den Narziß Rameau gesehen, unseres Sieges sicher sind.

QUINAULT. Und wie können Sie das mit solcher Bestimmtheit sagen, Exzellenz? – Wer will bei der Marquise mit Gewißheit vorhersagen, was sie erschüttern wird?

CHOISEUL. Ich kann es, denn ich weiß, daß sie's nicht ertragen kann, den Mann in Lumpen als ihren Ankläger vor sich zu sehen, den sie einst geliebt und verlassen, dessen Andenken sie aber begleitet hat durchs ganze Leben; das muß sie niederschmettern!

QUINAULT sieht ihn erschrocken an, dann verständigend. Den Finanzpächter d'Etiolles meinen Sie?

CHOISEUL. Den Narziß Rameau meine ich.

QUINAULT starr. Um des Himmels Erbarmen, was sagen Sie?[84]

CHOISEUL. Ja, ich bin sicher meines Sieges, denn Jeanette Poisson wird ihre Schande gesehen müssen beim jähen Anblick ihres ersten Gatten!

QUINAULT entsetzt. Die Pompadour ist das Weib des Narziß?!

CHOISEUL. Nicht so laut, Mädchen – sie ist es!

QUINAULT jammernd. O mein ewiger Schöpfer, was hab' ich getan! – Ich Meineidige, ich Unselige! Flehend. Ersparen Sie dieses entsetzliche Wiedersehen dem armen schuldlosen Menschen!

CHOISEUL erstaunt und zugleich ängstlich. Mädchen, das ist zu spät, sie muß fallen! – Bedenke die Königin!

QUINAULT. Die Königin?! – Gebrochen. O, ich werde spielen! Sie geht durch die Mitte ab.


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 84-85.
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