Siebenter Auftritt.

[89] Die Vorigen. Narziß.


NARZIß mit gewaltiger Stimme. »Ja, sieh her!«

QUINAULT. O entsetzlich! Sie ist bemüht, sich immer so zu stellen, daß sie die Pompadour und Narziß einander zu sehen hindert.

POMPADOUR erschreckt. Ha, was ist das! – Sie erhebt sich aus dem Sessel. Diese Stimme!

NARZIß. »Sieh ihn, den du verachtet und verstoßen!«

POMPADOUR entsetzt. Bin ich von Sinnen? – Das ist

NARZIß. »Er reißet dir dein gleißend Diadem –« –

POMPADOUR stößt die dicht vor ihr stehende Quinault mit aller Kraft beiseite.

NARZIß UND POMPADOUR sehen sich mit namenlosem Entsetzen an.

POMPADOUR aufschreiend. Narziß! – Sie sinkt ohnmächtig in den Sessel zurück indem sie stöhnt.[89]

NARZIß aufschreiend. Allmächtiger Gott! – Mein Weib!! Er stürzt auf sie zu, sinkt vor ihr auf die Knie, umfängt sie sprachlos und bedeckt ihre Hände mit Küssen.

QUINAULT krampfhaft. O Gott! Sie starrt in lautloser Angst auf Pompadour und Narziß.


Kurze Pause, alles steht entsetzt.


CHOISEUL tritt, Pompadour atemlos beobachtend, auf die rechte Seite.

NARZIß. O mein teures, mein einziges Weib, ich habe dich wieder – dich wieder! – Ich habe dich gesucht und gesucht, ach, und du wolltest dich nicht finden lassen, mein Lieb! – Wo bist du so lange geblieben?

QUINAULT mit gespanntester Angst. Ha, sie kommt zu sich, sie wird nicht sterben.

POMPADOUR die sich erholt, ihn umfangend, matt. Mein Narziß, mein armer, lieber Narziß! – Sie küßt ihn. O Gott, kannst du mir verzeihen, daß ich dich so namenlos elend gemacht und dein Leben verödet? Lauter, voller Freude und Zärtlichkeit. Aber sieh, nun hab' ich dich wieder! Ich halte dich umfangen, bis der neidische Tod mich aus deinen Armen reißt! – Doch nein, ich will leben, ich werde leben! Dir zur Liebe, zum Glücke! Innig. O, ich hatte es anders beschlossen! Nur noch eine kurze Zeit, und du hättest mich doch wieder gehabt – aber besser, Narziß, besser, nicht so bedeckt mit Schande, wie jetzt. Feierlich. Doch sie ist gesühnt, gelöst in diesem Augenblicke vor der gemeinen Erbärmlichkeit dieses Mannes, Auf Choiseul deutend. dieses elenden Gesellen, den ich groß gesäugt mit meinem Herzblut! Knirschend. Aber noch habe ich Kraft, ihn zu zertreten, und ich werd's! – Sie haben dich hierher gebracht, Narziß, damit du mich morden sollst mit deinem lieben Antlitz. Alle diese sind meine Mörder, sie zielen nach meinem Herzen! – Das ist eine Verschwörung der Königin gegen mich, und der falsche Choiseul hat seine mörderische Hand an sie verkauft! Pfui, Judas!

CHOISEUL wie vernichtet, halblaut. O Gott, sie erholt sich, sie wird leben! – Nur im Tode läßt sie ihre Macht!

POMPADOUR erhebt sich mit riesiger Energie.[90]

NARZIß der bisher zärtlich um sie bemüht war, unterstützt sie.

POMPADOUR. Ja, leben! – Die Pompadour ist noch die Gebieterin Frankreichs! – Wer d'Amboises Nachfolger sein will, melde dem König, was geschehen, und rufe die Palastwache! Ihr müßt mich morden, Choiseul! – Morden mit kaltem Blute – ein wehrloses Weib! So kommt doch und wagt's! – Doch wenn mein Blut an Eurem Stahle klebt, höhnisch. ist Maria Leszczynska so beschimpft, daß sie nicht mehr Königin sein kann; – das hattet Ihr vergessen bei der Rechnung! – O!! – Sie fällt in den Sessel zurück, indem sie die Hände nach Narziß ausstreckt. Mein Narziß!

NARZIß stiert sie entsetzt an.

CHOISEUL ruft. Kapitän Saint-Lambert!!


Die Vorhänge der Arkaden teilen sich, man sieht den Hintergrund mit Soldaten besetzt.


LAMBERT durch die Mitte.

ZWEI GARDISTEN folgen ihm und besetzen die Türen links und rechts.


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 89-91.
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