Vorrede zur fünften Auflage.

[9] Die Einladung des Herrn Verlegers, diese neue Auflage meines »Narziß« mit einer Vorrede zu versehen, gebe ich um so bereitwilliger Folge, als ich mich dadurch des frohen Dankes gegen das deutsche Publikum erledigen kann, welches dem Werke seit mehr denn 21 Jahren seine unverminderte Liebe bewahrte.

Wie alles Geschaffene hat auch »Narziß« seine Geschichte, und ich glaube der bisherigen Schicksale des Stückes hier erwähnen zu dürfen. Möge die Darstellung derselben zugleich denjenigen Lesern als Gedenkblatt dargeboten sein, welche ihre Teilnahme für das Werk auch auf den Verfasser übertrugen.

An dies Drama knüpfen sich die schönsten und traurigsten Stunden meines Lebens und deshalb schon ist es mir ein alter unwandelbarer Freund geworden, der in meinem Herzen immer wieder Erinnerungen auffrischt, welche nur mit meinem Leben erlöschen können!

Die Idee zu »Narziß«, durch den bekannten Diderotschen Dialog: »Rameaus Neffe« von Goethe hervorgerufen, hat sich in mir innerhalb der Jahre 1852–1854 groß gezogen und die ersten ganz flüchtigen Szenenskizzen entwarf ich in dem Kaltwasserbade Görbersdorf im Riesengebirge. – Mit meiner Frau nach Berlin zurückgekehrt, wurde ich Sekretär des Krollschen Theaters und beendete nunmehr die Vorarbeiten zum »Narziß« bis September 1854; die Dichtung selbst wurde bis zum Schlusse des vierten Aktes etwa gegen Ostern 1855 gefördert. Durch frühere obwohl meist unaufgeführte Bühnenarbeiten verschiedenen Theatervorständen bereits bekannt, lernte ich in meiner damaligen Stellung diese Herrn persönlich kennen und Franz Wallner brach zuerst in der Öffentlichkeit für mein Talent eine Lanze. Das Manuskript des »Narziß«, ohnehin nur ein unfertiger Entwurf, kannte nur meine Frau und der mit mir engagierte, bald nachher gestorbene Schauspieler Desloges. – Durch die damals über die Direktion des Krollschen Theaters hereinbrechende Katastrophe wurde ich mit dem gesamten Bühnenpersonale plötzlich[10] brotlos, von Vollendung des Werkes konnte unter solchen Umständen mithin keine Rede sein. Da ist es denn Dr. B. Wolff, Besitzer der Nationalzeitung, gewesen, welcher, durch Dr. Titus Ulrich, damals Kritiker der Zeitung, aufmerksam gemacht, mich an seinem Telegraphenbureau mit der Nebenbedingung anstellte, mein Drama für die Bühne zu beenden. Das poetische Embryo erhielt nunmehr Leben und im allgemeinen die Gestalt, in welcher die Dichtung dem Publikum bekannt ist. Vollendet wurde sie von mir in der ersten Hälfte des Jahres 1855 und der Königlichen Generalintendanz eingereicht. – Um Michaeli 1855 wurde »Narziß« vom Hoftheater angenommen! – Indes schien meine einzige Hoffnung, die endliche Aufführung desselben, sich nicht erfüllen zu sollen! – Am Weihnachtstage wurde mir durch den Direktor Philipp Düringer eröffnet: »es seien so ernste Bedenken gegen das Stück laut geworden, daß betreffs Zulassung desselben erst eine königliche Bestimmung eingeholt werden müsse!« So stand ich denn – vor dem Nichts! – Dem Vorleser Sr. Majestät, Geheimen Hofrat L. Schneider, welchem die Unterbreitung der Angelegenheit oblag, ist es allein zuzuschreiben, daß alle Einwände beseitigt und »Narziß« alsbald einstudiert wurde, ihm zunächst also verdankte ich mein ferneres literarisches Geschick!!

Erst während des Einstudierens des »Narziß« machte ich Ludwig Dessoirs Bekanntschaft. Die erste Darstellung des Werkes fand am 7. März 1856 statt. – Bemerken muß ich hierbei, daß nach der ersten Vorstellung der ursprüngliche Schluß der Dichtung von mir auf den Vorschlag Dessoirs, des Hofrat Dr. Förster und Prof. Roetscher so geändert wurde, wie er jetzt ist. Nur die Bühne zu Karlsruhe hat auf Eduard Devrients lebhaften Wunsch den alten Schluß beibehalten, welchen ich indes nicht für den wirksameren halte.

Mehr denn 21 Jahre sind seit dieser ersten Aufführung verflossen und die Künstler des Königlichen Hoftheaters, welche in »Narziß« geglänzt haben, wallen als lichte, liebenswürdige Schar an meinem inneren Auge vorüber; allen denen aber, welche schon die Erde deckt, ist mein herzliches Andenken geweiht! – Die Titelrolle hat während dieser Reihe von Jahren nur zwei Hauptvertreter gehabt, Ludwig Dessoir und Richard Kahle. – Welch ein »Narziß« Dessoir gewesen, ist zu erörtern überflüssig. Er war es so sehr, so ganz und vollendet, daß mir selber dreist[11] ins Gesicht behauptet wurde, die Rolle sei Dessoir von mir »auf den Leib geschrieben!« Aus dem Gesagten erhellt, daß man hierüber im Irrtume war. Doch mit »Narziß« ist Dessoir von der Bühne geschieden, und was es für ein schmerzlich-tragischer Abschied gewesen ist, das dürfte den älteren Mitgliedern des Hoftheaters ebenso wie mir unvergeßlich sein! Dessoirs Beliebtheit, seine Mustergültigkeit als erster Gestalter des »Narziß« war so groß, daß nach ihm mehrere Jahre niemand gewagt hat, ihm die Rolle auf dem Berliner Hoftheater nachzuspielen; mit seinem Rücktritt von demselben schien das Drama für immer begraben! – Richard Kahles Verdienst ist dessen Wiederauferstehn! Er nahm, in geistvoller Auffassung seiner besonderen, höchst schwierigen Aufgabe, die Rolle wesentlich anders als sein Vorgänger, gewann ihr neue Seiten ab und setzte dieselbe und das Drama mit siegreicher Gewalt wieder in seine alte Gunst beim Publikum ein. Möge es mit ihm mich lange überleben!!

»Marquise de Pompadour« weist hingegen eine ganze Reihe Darstellerinnen auf, einen Kranz geistvoller, schöner und liebenswürdiger Frauen, deren Erscheinungen mir immer neu vor der Seele stehen. Die beiden ersten Darstellerinnen der Rolle, in heißem Wettstreite um den Beifall ringend, waren Frau Klara Liedtke-Hoppe und Fräulein Viereck. Letztere starb indes nur zu bald und ihr letzter Stolz ist die »Pompadour« gewesen. Fräulein Birch, nunmehr Frau von Hillern, noch mehr Frau von Bärndorf gastierten inzwischen mit größter Anerkennung in derselben. – Nach Klara Liedtkes Tode war Frau Jachmann-Wagner eine ausgezeichnete Vertreterin der Rolle, seit Jahren ist es nun mit außerordentlichem Beifalle Frau Ehrhartt (Gräfin Goltz.) Welchen Liebreiz Lina Fuhr der »Doris Quinault« verliehen, ist wohl noch in vieler Gedächtnis; Fräulein Meyer wurde deren empfindungsvolle Nachfolgerin.

Am 2. September 1874 feierte unter Leitung des technischen Direktors Julius Hein in den Hauptrollen mit Richard Kahle, Frau Ehrhartt und Fräulein Meyer der »Narziß« seine hundertmalige Vorstellung auf dem Berliner Hoftheater! – Meine teure Frau hat dieselbe und die mir widerfahrene Ehre und Anerkennung nicht mehr erlebt; sie – die so sehr mit dem Ursprung und Geschick des Werkes verknüpft gewesen, war mir schon den 12. November 1872 entrissen worden, mit ihr meines Lebens[12] allerschönster Teil! Meine Tochter beging mit mir diesen Tag allein! – – Von den Mitgliedern, welche am hundertsten Vorstellungstage des »Narziß« mitwirkten, sind nur zwei in allen Aufführungen in derselben Rolle aufgetreten, Berndal als »Choiseul« und Lichterfeld als »Silhouette«; Tod, Krankheit und Abgang von der Bühne ließen die übrigen Rollen zahlreich wechseln. Der alte Geist ist aber den Darstellungen wie der Künstlerschaft Berlins verblieben, mit ihm der alte Beifall!

Es gibt wohl kaum ein stehendes deutsches Theater, welches das Stück nicht aufgeführt hätte; alle größeren Bühnen haben Narziß noch heute auf dem Repertoir. – Am Hofburgtheater, das sich unter Laube erst – sehr spät entschloß, dem Stücke seine Hallen zu öffnen, sind als Narziß der verstorbene Joseph Wagner, nunmehr Sonnenthal – als Pompadour in nahezu höchster Vollendung aber Frau Therese Gabillon zu nennen. Zu Dresden spielten Davison und Emil Devrient die Titelrolle, Fräulein Pauline Ulrich hat noch die Pompadour inne. Zu München sich noch heute Possart und Klara Ziegler in den Hauptrollen rühmlichst aus.

Auch das Ausland machte sich »Narziß« gehörig zunutze. In Italien brachte ihn Madame Ristori als »il Daniele«, in Amerika und England Mister D. Bandmann durch zahlreiche Darstellungen zu großem Rufe, ohne daß ich indes je einen reelleren Lohn meiner Arbeit als – schöne Worte – genossen hätte; in Rußland wurde er auch vielfach gegeben. – Durch den »Narziß« und seine vielfachen herzlichen Erinnerungen bin ich mit Berlin, meiner zweiten Heimat, mit dem Königlichen Hoftheater, vor allem mit dem Manne verknüpft, unter dem sich die Lebensgeschicke des Werkes zutrugen und welcher mir seine edle Zuneigung zu allen Zeiten bewahrte, Herrn Generalintendant von Hülsen, Exzellenz. Ihm gebührt mein letztes und wärmstes Wort des Dankes!!

Dem lesenden Publikum ist das Drama Johanni 1857 zuerst im Verlage des Herrn H. Costenoble übergeben worden, und ich vereinige mich mit ihm in dem Wunsche, daß der Dichtung auch ferner eine Stätte im Hause und im Herzen des deutschen Publikums gesichert bleibe.

Berlin, im Januar.1878.

A.E. Brachvogel.[13]


Quelle:
Albert Emil Brachvogel: Narziß. Leipzig [o.J.], S. 9-14.
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