Fünfte Scene.

[82] GRAF ROBERT tritt auf.

Schnell schreitet die Verzweiflung, doch

Weit schneller geht die Rache noch;

Ihr Gang ist der des Blitzes: ungebahnt

Ist seine dunkle Straße;

So trifft der Streich aus überfülltem Hasse

Den Feind auch ungeahnt!

Ihr flogt dahin auf flammendem Höllenwege,

Der warf sein Schwefellicht in meine Nacht

Und führte mich in eure Schandgehege,

Die Sonne hätt' es besser nicht gemacht!

Zwar ging ich mich so athemlos

Und lebensmüde, kann nicht fürder mehr,

Möcht' sinken in der Erde Schoß,

So fühl' ich leidend mich und schwer,

So drückt auf mich die ungeheure Last;

Doch aber gönn' ich mir noch keine Rast;

Den stört kein Frost, der glühend haßt,

Der kalt bedenkt, was hindert ihn die Glut?

Zerstücket tausendmal, wächst meine Wuth,

So lange noch in mir ein Tropfen Blut!

Noch hat kein Mensch im Traume Das geseh'n,[83]

Was mir gescheh'n.

Das Unglück einer ganzen Welt

Vor meinem Jammer wie in Nichts zerfällt!

Mich traf ein Blitz aus heitrer Himmelsbläue,

Und ihm nach sanken alle meine Sterne:

Für Liebe Haß, für Glauben Reue,

Für Reichthum Armuth, für die Heimat Ferne.

Kommt also rasch das Unglück angezogen?

Um Alles, Alles – so im Nu betrogen?

Was dämmte nicht ein Gott des Schicksals Wogen,

Wenn über ihnen einer schwebt?

O mehr als grauenvolles Sein,

Auf einer Erde, die da ewig bebt,

Das Glück, das keimende, zu sargen ein!

Da ist der Tod das Ende nicht des Lebens,

Des Gartens Ausgangspforte nicht;

Er ist der Anfang alles Strebens,

Die Sonn' ist Wetterleuchten und kein Licht!

Und wie, o wie erbarmungsvoll zerstoben

Ist, was mein Herz sich jauchzend aufgespeichert;

Es hat die Hölle sich bereichert

Mit meinem Glück, das wuchernd sich erhoben!

Entsetzen hat sie mir dafür gesandt,

Ein Bettler steh' ich, aus mir selbst gebannt,

Hier unbeklagt wie ungekannt,

Als meiner eignen Leiche kalte Wache,

Nur ein Gefühl noch nährend, das – der Rache![84]

Ha, göttliches Gefühl der Rache, Himmel-

Entsunken, mahnend an Unsterblichkeit!

Du übertönst der Schmerzen Angstgetümmel,

O du versöhnst noch schneller als die Zeit,

Die gern an unsrer Qual sich weidet,

Die heuchlerisch den Abgrund links und rechts

Mit Blumen überkleidet,

Den Glauben höhnend des Menschengeschlechts!

Dir, Rache hab' ich mich geweiht!

Ein Opfer selbst, ein Opfer sucht' ich auf,

Es ist gefunden; – heut

Noch stürz' ich mit Entzücken mich darauf!

Dann mag des Lebens schöner Engel weinen,

Wenn es gescheh'n;

Dann mag die Sonne nicht mehr scheinen,

Was menschlich ist an mir zu Grunde geh'n!

Du, Faust, hast sie dir an dein Herz gelogen,

Du schwelgst in meinem Glück;

Doch eine Wolke kam dir nachgezogen,

Nur mit drei Leichen zieht ihr Blitz zurück.


Ab.


Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 82-85.
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