Zweite Scene.

[127] MEPHISTOPHELES erscheint als Schatten zwischen den Säulen.

Faust! –

FAUST aufgeschreckt.

Ha, du wagst es, deinen Bann zu brechen?

MEPHISTOPHELES.

Die ihn verlangt, ist todt; ich will dich sprechen,

Denn retten will ich vor dir selber dich;

Dein Lebensgeist in neuen Flammen

Erheb' zu neuem, herrlichen Genusse sich:

Des Schmerzes Feste stürzt zusammen,

Und in phantastisch holder Hast

Wird die Ruine dir zum Lustpalast!

FAUST.

Wir sind geschieden –!

MEPHISTOPHELES.

Mit nichten! Wir sind nicht zu trennen mehr.

FAUST.

Hienieden!

MEPHISTOPHELES.

Das Jenseits also kümmert dich nicht sehr?

FAUST.

Kamst du, dein elend Werk dir zu beschauen,[128]

Die blitzgetroffne Eiche zu verhöhnen?

Nun willst mein Glück aus Trümmern du erbauen,

Um es aufs neu zertrümmern mir zu können?

Wie, sage, lohntest du mir mein Vertrauen,

Der du mir Leben heuchelnd zugesprochen?

Sieh, Lügner, mich umstarrt von Todesgrauen,

Mich selbst zersplittert, meine Kraft gebrochen,

Am offnen, frischgewühlten Grabe

Von aller, aller meiner Herzenshabe!

Und dennoch wagst du, wieder mich zu seh'n?

Kannst du mir Rede steh'n?

Schwelgerischen Vollgenuß,

Ewig grüne Freude,

Heißersehnt geschenkten Kuß,

Immer frische Herzensweide! –

Wie? Lautete nicht also deine Lüge?

Antworte mir!

Verzerre nur zu neuem Trug die Züge,

Ich fodre Rechenschaft von dir.

Kennst du den Pact? Leben um Leben!

Dir schuld' ich keins, du hast mir keins gegeben.

MEPHISTOPHELES.

Darüber ließe sich so Manches sagen!

Zum Beispiel, daß ich für den Tod nicht kann.

Was hattest du mit Treue dich zu plagen,

Von Treu stand nichts in meinem Lebensplan![129]

Ist dir ein Liebchen hingestorben,

Ich hätte hundert andre dir geworben;

Starb eurer Liebe süße Sündenfrucht,

Die Früchte wachsen überall;

Sank deinerwegen Robert hin verflucht,

Zu deinem Frommen war sein Fall.

Was also mehr?

FAUST.

Nichts weiter mehr, du Hund;

Kehr' heim in deiner Heimat gift'gen Schlund!

Wir haben fortan weiter nichts gemein,

Du bist nicht mein mehr, ich bin nicht mehr dein!

MEPHISTOPHELES.

Wozu, Herr Doctor, nur die vielen Worte!

Ihr seid ein gar zu heft'ger Mann;

Gefiel euch nicht die erste Lebenssorte; –

Ich kann mit andern dienen; sprecht: Wohlan!

Und ihr sollt seh'n, was unser Einer kann.

FAUST vor sich hin.

Das also ist der Hölle Leben!

Der Erde Leben welkt nicht schneller hin;

Du bautest mir ein Glück bei Erdebeben,

Der Boden brach, deß Herr ich worden bin.

Ein weites Grab klafft vor mir aufgerissen,

Darinnen liegt mein Können und mein Wissen,

Sie winken mir zu sich hinab,[130]

Zu ruh'n in ihrem kaum verglühten Schutt;

Des Kinds zerschmettert Häuptlein ist mein Kissen,

Voll Rosen noch von Blut;

Bianca's gramgebrochnes Herz dabei,

Robert, zerstückt durch mich in Raserei!

Soweit der Mond auch geht in seinem Lauf,

Ging über keinem solchen Grab noch auf;

Es sank noch keines Morgenrothes Schein

In eine gleiche Gruft hinein! –

MEPHISTOPHELES.

Bezähme männlich deine Qual,

Faust, und versuch' es noch einmal!

FAUST wüthend.

Du hier noch, Ungeheuer,

Giftmischer aller Menschheit, Höllenfreier,

Auswurf des Himmels! du noch hier?

MEPHISTOPHELES in drohender Stellung.

Ich weiche nicht von dir; –

Bist mein!

FAUST im höchsten Zorne.

Und wär' es so, und wär' ich einstens dein,

Jetzt, Knecht, fürcht' noch den Herrn in mir –

MEPHISTOPHELES will ihn erfassen.

Ich soll dir weichen? –[131]

FAUST.

Und wenn nicht mir, – doch – diesem Zeichen!


Er schlägt ein Kreuz; Mephistopheles versinkt unter lautem unterirdischen Angstgeheule. Blitze schlagen über ihm aus dem Boden und der Donner rollt.


FAUST sinkt in die Knie und betet stumm mit hocherhobenen Händen; es schallt Glockengeläute aus der Ferne.

ROSA kommt zurück.

Man sandte aus dem Kloster, Herr, nach euch,

Hört ihr die Glocken schallen?

Zum Todesamt des Kaisers rufen sie;

Erleuchtet festlich sind bereits die Hallen;

Herübertönt der Orgel Melodie,

Pater Anselmo wünscht, ihr kommt sogleich.


Es wird allmälig dunkel.


FAUST der sich bei Rosa's Eintritt erhoben.

Dank, Rosa, Dank! Bleib' bei der theuern Leiche,

Schließ im Gebet mich deiner Thränen ein,

Indeß ich in dem friedlichen Bereiche

Des Klosters Zeuge will des Festes sein.

Nacht bricht herein, ich habe nicht zu weilen;

Vorüber ist der unheilvolle Tag,

Was nun auch kommen mag,

Unvorbereitet wird mich nichts ereilen!


[132] Die Hand auf ihr Haupt legend.


Der Himmel sei mit dir,

Er ist dir nah, bleibst du ihm zugewandt!

Leb' wohl! Bald scheide ich von hier,

Denn mich verlangt es in mein Vaterland.


Beide ab.

Hier endet das Geläute.


Quelle:
Braun von Braunthal, [Karl Johann]: Faust. Eine Tragödie, Leipzig 1835, S. 127-133.
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